Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 313† Ulrichskirche 1600

Beschreibung

Größte Glocke des ehemals dreiteiligen Geläuts, 1894 gesprungen und zu Anfang des 20. Jh. umgegossen.1) „Die Glockenform hat über dem Halse einen scharfen Knick als Übergang zur Haube und biegt sich erst ziemlich weit unten stark aus, um dann mit scharf abwärts gehendem Kranze zu schließen.“ Unter der Schulter umlaufend eine Bezeichnung der Glockenfunktion in Form einer Glockenrede (A) und eine Devise (B); „das Ornament am Streifen der Halsumschrift besteht aus Blättern und kleinem Kartuschenwerk in Wiederholung.“2) Auf der Flanke (?) „unterschiedene Bilder der 12 Apostel und anderer Heiligen; item Münzen (ein Hispanischer und Braunschwiger Thaler) zwo Wapen“ und die Namen von Kirchvätern (C).3) Am äußeren Rand ein umlaufender Gießervermerk (D). Die Buchstaben erhaben, nur der deutsche Teil von D „leicht eingeritzt“.

Nach BKD Prov. Sachsen NF 1.

Maße: D.: 178 cm.4)

Schriftart(en): Kapitalis (?).

  1. A

    EN · EGO · CAMPANA · NVNQVAM · DENVNCIO · VANA · LAVDO DEVM · VERVM · VOCO · PLEBEM · CONGREGO · CLERVM ·

  2. B

    V(ERBVM) · D(OMINI) · M(ANET) · I(N) · AE(TERNVM)a)5) ·

  3. C

    AEDILES · SACRI · FVEREb) / IACOBVS · MICHAEL · CONSVL IOHANNES · KOEHLERc) · CAMMERARIVSd)

  4. D

    HAEC · CAMPANA · REFVSA · EST · IN · SEDIS · VACANTIA · ANNO · CHRISTI · MDC · MENSE · JVLIO GEORG WOLGAST · ZV · HALL · GOSS · MICHe)

Übersetzung:

A Siehe, ich, die Glocke, verkünde niemals Nichtigkeiten; ich lobe den wahren Gott, rufe das Volk (und) versammle die Geistlichkeit.

B Das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit.

C Kirchenverwalter waren der Ratsmeister Jakob Michael (und) der Kämmerer Johannes Köhler.

D Diese Glocke ist während der Sedisvakanz im Jahr Christi 1600, im Monat Juli umgegossen worden. (...)

Versmaß: Zwei Hexameter, zweisilbig leoninisch gereimt (A).

Kommentar

Gustav Schönermark schreibt, daß verschiedenartige Trennungszeichen zwischen den Wörtern stünden.6) Die Funktionsbezeichnung in Form der Glockenrede (A) hat eine bis ins Hochmittelalter zurückreichende Tradition (vgl. Nr. 4). Die Devise (B) war noch zur Entstehungszeit der Glocke gebräuchlich gewesen;7) das Zitat aus dem ersten Petrusbrief hatte als reformatorisches Bekenntnis (vgl. Nr. 152) große Verbreitung gefunden. Nach Olearius und Dreyhaupt soll neben oder nach den Namen der Kirchväter (C) M. Paulus Nicander Pastor gestanden haben.8) Da aber ein drittes Wappen nicht angebracht war und der Verfasser des Inventars, Gustav Schönermark, die vollständigste Abschrift ohne den Namen des Pfarrers bietet, könnte eine Interpolation der älteren Autoren vorliegen. Der Ratsmeister Jakob Michael (Mühlbeck) war seit 1592 Kirchvater (s. Nr. 378). Johannes Köhler saß seit 1578 im Rat und wirkte von 1593 bis zu seinem Tod 1623 als Ratskämmerer. 1588 wurde er zum Achtmann und 1595 zum Kirchvater der Ulrichskirche gewählt; nach 1615 war er zeitweilig Vorsteher des Hospitals.9) Die Sedisvakanz war das Jahrzehnt zwischen der Resignation des Administrators Joachim Friedrich, der das Erzstift Magdeburg 1598 verlassen hatte, um die Nachfolge seines Vaters als Kurfürst von Brandenburg anzutreten, und der Huldigung seines Sohnes Christian Wilhelm als Administrator 1608.10)

Die Glocke ist, wie aus Inschrift D hervorgeht, durch Umgießen einer älteren entstanden. Die dritte, 1902 oder 1905 wiederum durch Umgießen gefertigte Glocke erklang nur wenige Jahre, bis sie 1917 zur Kriegsverwendung abgegeben werden mußte.11) Der Bronzegießer Georg Wolgast ist seit 1598 in Halle nachweisbar (s. Nr. 307). Auch bei der einzigen signierten und in Halle erhaltenen Glocke Wolgasts steht der deutschsprachige Gießervermerk am äußeren Rand und schließt sich unmittelbar einem lateinischen Text an (Nr. 328).

Textkritischer Apparat

  1. IN · AETERNVM] Bei BKD Prov. Sachsen NF 1 das A wohl irrtümlich zum I gezogen und durch Worttrenner von E getrennt.
  2. FVERE] Sic! Für FVERVNT.
  3. KOEHLER] Koler Olearius, Koeler Dreyhaupt.
  4. CAMMERARIVS] Sic! Zwischen den Namen vermutlich, wie bei BKD Prov. Sachsen NF 1 angedeutet, ein größerer Abstand, da sie unter die Wappenschilde geschrieben waren.
  5. GEORG WOLGAST ZV HALL GOSS MICH] Bis auf die Versalien des Namens in kleinerem Schriftgrad geschrieben.

Anmerkungen

  1. Nach Ragotzky 1918, S. 51: 1902; nach Ulrichskirche 1939, S. 23: 1905. Die älteste Glocke soll 38¼ und die zweite 50 Zentner gewogen haben; Olearius 1667, S. 342.
  2. BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 187.
  3. Olearius 1667, S. 342. Möglicherweise sind jene „kleine(n) unkenntliche(n) Figuren, Münzen und dergleichen“ gemeint, die laut BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 187 als Worttrenner dienten.
  4. Nach Notiz am Glockenstuhl; nach BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 187: 160 cm.
  5. 1 Pt 1,25.
  6. BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 187.
  7. Vgl. Walter 1913, S. 353 (Glocke von 1634).
  8. Magister Paul Nicander aus Kissingen war Amtsnachfolger seines Bruders Nikolaus (s. Nr. 418) und wirkte als Pfarrer an der Ulrichskirche von 1585 bis 1603; Röber 1618a, S. 161.
  9. StAH H A 14, S. 53; StAH H B 2, S. 91 f., 94–96, 98, 100 f., 103 f., 106 f., 109 f., 112 f.; Röber 1618a, S. 171, 173; Olearius 1667, S. 69.
  10. Vgl. auch Brademann 2006, S. 35 und Einleitung, S. XVIII.
  11. Ulrichskirche 1939, S. 23.

Nachweise

  1. Olearius 1667, S. 342 (A, C unvollständig).
  2. Dreyhaupt 1, 1749, S. 1053 (A, C, D unvollständig).
  3. Stiebritz 2, 1773, S. 55 (A).
  4. BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 186 f.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 313† (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0031305.