Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 310 Marienbibliothek (1598/99)

Beschreibung

Sechs porträthafte Gemälde der Kurfürsten des Reiches mit kleinformatigen Vollwappen und Wappenbeischriften in Stirnhöhe der Dargestellten (A–F), 1681 (oder kurz zuvor) aus dem Rathaus übernommen, mehrfach restauriert.1) Die nachgedunkelten Brustbilder in Öl (?) auf Leinwand ausgeführt, jetzt auf verschiedenartige Träger aufgezogen und in unterschiedlicher Weise gerahmt. Die porträtierten Männer reiferen Alters, bis auf einen (A) bärtig und durch ihre Kleidung standesmäßig unterschieden: zwei mit Halskrausen und breiten Pelzkragen (A, B), einer mit schlichtem Kragen (C)2) und drei mit Spitzenkragen und goldenen Halsketten (D–F). Drei der Porträtierten im Halbprofil von rechts (A–C), drei im Halbprofil von links (D–F) abgebildet. Die Inschriften aufgemalt.

Maße: H.: 53–53,9 cm; B.: 52,8–53,5 cm;3) Bu.: 0,8–1 cm.

Schriftart(en): Fraktur.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/3]

  1. A

    Chur · Mentz

  2. B

    Chur · Köln:

  3. C

    Chur · Trier:

  4. D

    Chur am Rheyn:

  5. E

    Chur Sachssen:

  6. F

    Chu[r] · Brandenburg:

Wappen:
Erzbischof Wolfgang Kämmerer von Worms genannt von Dalberg4)(A)
Erzbischof Ernst von Bayern5)(B)
Erzbischof Johann von Schönenburg6)(C)
Kurpfalz7)(D)
Kursachsen8)(E)
Kurbrandenburg9)(F)

Kommentar

Über jedem u stehen zwei Punkte. Worttrenner und Satzzeichen sind nicht zweifelsfrei zu erkennen.

Anhand ihrer Wappen lassen sich die dargestellten Erzbischöfe leicht identifizieren. Es handelt sich um Wolfgang Kämmerer von Worms genannt von Dalberg, Erzbischof von Mainz 1582–1601, Herzog Ernst von Bayern, Erzbischof von Köln 1583–1612,10) und Johann von Schönenburg (oder Schönenberg), Erzbischof von Trier 1582–1599. Individuelle Merkmale bekräftigen die Identifizierung: Wolfgang Kämmerer von Worms gen. von Dalberg (Gemälde mit Inschrift A) ist auch auf anderen zeitgenössischen Porträts bartlos dargestellt;11) Johann von Schönenburg (Gemälde mit Inschrift C) lebte nach zeitgenössischer Überlieferung bescheiden und trug gern, wie hier wohl angedeutet, eine schlichte Kleidung.12)

In den sich zwischen 1583 und 1599 überlagernden Regierungszeiten der geistlichen Kurfürsten herrschte Friedrich IV., Pfalzgraf bei Rhein (1583–1610), als ranghöchster der weltlichen Kurfürsten. Als dritter konnte der vormalige Administrator Joachim Friedrich von Brandenburg identifiziert werden.13) Das Jahr seines Regierungsantritts in der Mark Brandenburg 1598 und das Todesjahr Erzbischof Johanns von Trier 1599 grenzen die Entstehungszeit der Bildserie ein.14) In diesen Jahren hatte unter Vormundschaft Herzog Friedrich Wilhelms I. von Sachsen-Weimar der noch minderjährige Herzog Christian II. die sächsische Kur inne. Er muß auf dem entsprechend bezeichneten Gemälde (E) abgebildet sein, auch wenn dieses Bildnis wenig Ähnlichkeit mit anderen zeitgenössischen Porträts des Herzogs aufweist, sondern eher an seinen Vater Christian I. (1586–1591) oder gar den Großvater August (1553–1586) erinnert.15)

Die entgegengesetzten Blickrichtungen der geistlichen (A–C) und der weltlichen Kurfürsten (D–E) deuten darauf hin, daß die Dargestellten auf ein in ihrer Mitte plaziertes Kaiserporträt blickten. In einer solchen Anordnung hätten sich dann wie üblich die geistlichen Kurfürsten zur Rechten und die weltlichen zur Linken des Kaisers befunden. Entsprechend der vorgeschlagenen Datierung der Kurfürstenbildnisse könnte es sich bei dem verlorenen Porträt um das Kaiser Rudolfs II. (1576–1612) gehandelt haben. Aus Druckschriften und Archivalien ist bekannt, daß sich außer dem Kurfürstenzyklus mehrere Kaiserbilder (und weitere Bildzyklen) im Rathaus befanden.16) Unter den Kaiserbildnissen war auch ein Gemälde Rudolfs II.; es ist heute wie alle übrigen Kaiserporträts verloren.

In einer Quelle ist von sieben Kurfürsten die Rede.17) Der siebte im Kurfürstenkollegium war der König von Böhmen, dessen Territorium, Rang und Titel jedoch an die Habsburger gefallen waren und durch Kaiser Rudolf selbst repräsentiert wurden. Vielleicht ist jener siebte Kurfürst mit Moritz von Sachsen (1541–1553) gleichzusetzen, dessen Porträt Gottfried Olearius vor 1667 im Rathaus gesehen haben will.18) Es läßt sich jedoch weder diesem noch einem anderen der überlieferten bzw. rekonstruierbaren Bildzyklen aus dem Rathaus (Nr. 510) sinnvoll zuordnen.

Kurfürstenzyklen gehörten seit dem ausgehenden 13. Jh. zur bildkünstlerischen Ausstattung von Rathäusern nicht nur in Reichsstädten, sondern auch in großen, relativ autonomen Mediatstädten wie Halle.19) Die im 14. Jh. anwachsende und vor allem im 15. Jh. häufige und vielgestaltige monumentale Umsetzung des Bildprogramms als Tafel-, Glas- und Wandmalerei bricht im dritten Jahrzehnt des 16. Jh. ab und lebt nur noch einmal im letzten Viertel des Jahrhunderts auf.20) Zu diesen späten Beispielen gehören die hallischen Gemälde. Die Ursache für das nochmalige zeitweilige Auftreten des Bildthemas ist bislang weder in Halle noch in anderen Städten erschlossen. Auch ist der semantische Gehalt entsprechender Darstellungen in den Mediatstädten schwer aufzuzeigen. Von der Interpretation vergleichbarer Bildzyklen in den Reichsstädten ausgehend, kann man sicherlich festhalten, daß sie – mit unterschiedlichen Konnotationen – die Ordnung des Reiches repräsentieren sollten.21)

Anmerkungen

  1. Zur Herkunft s. Einleitung, S. XXX f. Die erste Restaurierung erfolgte nach Übernahme der Porträts, wie Entlohnungsnachweise aus dem Jahr 1681 dokumentieren; vgl. Nickel 2002b, S. 205.
  2. Es ist auf der nachgedunkelten Leinwand allerdings nicht sicher erkennbar, ob dieser auch einen Pelzkragen trägt.
  3. Gemessen wurde die Rückseite der Bildträger.
  4. Geviert: 1/4. Erzstift Mainz, 2/3. Kämmerer von Worms genannt von Dalberg; vgl. Drös 2009, S. 60 f., S. 125 (Abb. 18), 127 (Abb. 20, W 11).
  5. Siebmacher 1605, S. 23 mit abweichender Tingierung von 4. Das Wappenbild des Herzschilds (sicherlich Herzogtum Bayern) ist auf vorliegendem Gemälde allerdings kaum noch erkennbar. Als die erste Ausgabe des „Siebmacher“, auf deren Nachdruck oben verwiesen wird, 1605 erschien, lebte Erzbischof Ernst von Bayern noch. Deshalb enthält das Werk das von ihm als Erzbischof geführte Wappen.
  6. Geviert: 1/4. Erzstift Trier, 2/3. Schönenburg; vgl. Siebmacher I, 5, 1, Taf. 90–92 (Erzbistum Trier); vgl. auch Siebmacher I, 5, 1, Taf. 196 (Georg von Schönenburg als Bischof von Worms); Siebmacher 1605, S. 143 (Schönenburg). Alle drei Erzbischöfe wurden bereits im Katalog Halle 2002, S. 269 f. (Nr. 229–231) identifiziert.
  7. Siebmacher 1605, S. 23; das Wappen eben dieses Pfalzgrafen (vgl. Anm. 5).
  8. Zwölfteilig mit Herzschild; vgl. Siebmacher I, 1, 1, Taf. 27. Abgebildet ist dort aber das Kurwappen der ernestinischen Linie des Hauses Wettin, bevor die sächsische Kurwürde 1547/48 an die albertinische Linie der Wettiner gefallen war. Ein Vergleich mit Tafel 29 desselben Bandes zeigt, daß alle Wappen und Helmzierden übernommen wurden.
  9. Achtzehnteilig mit Herzschild; vgl. Siebmacher I, 1, 3, Taf. 121.
  10. Gatz 1996, S. 163–171 (Franz Bosbach).
  11. Ebd., S. 117 f. (Friedhelm Jürgensmeier).
  12. Ebd., S. 647–649 (Wolfgang Seibrich).
  13. Das vorliegende Porträt entstand nach einer ähnlichen Vorlage wie ein Kabinettbildnis im Schloß zu Wörlitz; vgl. Katalog Berlin 2009, S. 243 f. (Nr. V.38; Gerd Bartoschek). Die in demselben Artikel und an anderen Stellen des Katalogs wiedergegebenen Bildnisse von Joachim Friedrichs Vater und Vorgänger in der Kurwürde, Johann Georg (1571–1598), zeigen diesen mit einer so charakteristischen Frisur, daß eine Verwechslung mit seinem Sohn ausgeschlossen ist.
  14. Die von Heinrich L. Nickel im Katalog Halle 2002, S. 269 f. (Nr. 229–234) vorgeschlagene Datierung der Gemälde in das 2. Viertel des 17. Jh. negiert den durch die Identifizierung der drei geistlichen Kurfürsten gewonnenen zeitlichen Ansatz.
  15. Bildnisse Augusts (in seinen letzten Lebensjahren), Christians I. und Christians II. (als Jugendlicher) bei Sponsel 1906, S. 39 f. (Nr. 79–81), 42 (Nr. 88), Taf. 31 f., 34; Katalog Dresden 1990, Abb. auf S. 91–93 (Nr. 149, 151, 152). Christians Vormund, Herzog Friedrich Wilhelm, kann nicht dargestellt sein, denn er führte, wie zwei Porträts von 1597 zeigen, das Kurwappen nicht; vgl. Kunde 2006.
  16. Siehe Einleitung, S. XXX f.
  17. MBH, PfA Unser Lieben Frauen, Belegungen zur Kirchenrechnung von Cantate 1681 biß dahin 1682, W 13, W 14.
  18. Olearius 1667, S. 29.
  19. Zum Beispiel in Lüneburg, Gemälde in der Ratsstube von 1572 (?); Haupt 2000, S. 160–166.
  20. Vgl. Hoffmann 1982.
  21. Weder Einzelstudien noch Übersichtswerke zu Bildprogrammen öffentlicher Gebäude in Städten vermochten den Bedeutungsgehalt der Kurfürstenzyklen in überzeugender Weise zu erschließen; vgl. insbesondere Hoffmann 1982, Wolf 1990, Tipton 1996.

Nachweise

  1. Katalog Halle 2002, S. 269 f. (Nr. 229–234).

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 310 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0031004.