Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 304† Georgenkirche 1598

Beschreibung

Ein „Gemälde“ – vermutlich ein Porträt des Andreas Runge – mit mehreren Inschriften: Autorenvermerk (A) und ein Epigramm als Memento mori (B). Ein Sterbevermerk (C) „unter dem Gemälde“ angebracht,1) das vermutlich bei Brand, Abbruch und Neubau der Kirche 1740–1744 verlorengegangen ist.2) Die Schriftform der wahrscheinlich gemalten Inschriften nicht bekannt.

Nach Olearius.

  1. A

    In obitum Ornatissimi Juvenis D(omi)n(i) Andreae Rungii, Pharmacopaei, scripsit Joh(annes) Rungius, frater moeres:

  2. B

    Ut solet herba virens solis marcescere ab aestuAtq(ve) perire cito, qvi modo svavis, odor:Sic hominum vita est praesens vaga, plena malorum,Et cadere ante diem fessa labore solet.Fixa manet nunqva(m), sed mox fugit hinc velut umbra,Ut docet exemplum, Frater amande, tuum.Sed gaude nimium, nimium laetare, qvod omniSint tua morte pia membra soluta malo,Tu pacem nactus, vos angimur undiq(ve) bellis,Vitaq(ve) nos multo mixta dolore manet.Idcirco luctum penitus deponimus omnemExemplo placide discimus atq(ve) mori.

  3. C

    Anno 1598 den 23. Octob(ris) früh um 5. Uhr, ist in GOtt selig entschlaffen, der Erbar und wohlerfahrne Andreas Rungius, ein Apothecker-Gesell, von Grypswalde, seines Alters 27. Jahr.a)

Übersetzung:

A Zum Tod des vortrefflichsten Jünglings, des Herrn Andreas Runge, eines Apothekers, schrieb Johannes Runge, der Bruder, in Trauer:

B Wie das grünende Kraut durch die Hitze der Sonne zu verwelken und der Duft, der eben noch angenehm war, schnell zu verfliegen pflegt, so ist das gegenwärtige Leben der Menschen unstet, voll von Übeln, und endet gewöhnlich von Mühsal geschwächt vor der Zeit. Niemals bleibt es fest, sondern flieht bald von hier wie ein Schatten, wie dein Beispiel,

liebenswerter Bruder, lehrt. Aber freue dich überaus und sei überaus froh, daß deine Glieder durch einen frommen Tod von allem Übel erlöst worden sind. Du hast den Frieden gewonnen; wir werden von überall her von Kriegen bedrängt, und ein von viel Leid durchmischtes Leben bleibt uns. Deshalb entledigen wir uns im Innern aller Trauer und lernen am Beispiel, friedvoll zu sterben.

Versmaß: Sechs elegische Distichen (B).

Kommentar

Andreas und Johannes entstammten sicherlich der Greifswalder Gelehrtenfamilie Runge.3)

Textkritischer Apparat

  1. Schrägstriche bei Olearius wurden hier durch Kommata ersetzt.

Anmerkungen

  1. Alle Zitate nach Olearius 1674, S. 192.
  2. Zur Geschichte der Georgenkirche s. Einleitung, S. XXXII f.
  3. Vgl. DI 77 (Greifswald), Nr. 266, 267, 412, 422, 437. Johannes ist vielleicht identisch mit dem J. Runge, der 1602 gestorben, oder einem J. Runge, der 1600 in Wittenberg promoviert wurde; Lange 1898, S. 283 (Nr. 21 f.).

Nachweise

  1. MBH Ms 319, 5, o. S.
  2. Olearius 1674, S. 192.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 304† (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0030406.