Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 275† Stadtgottesacker 1591

Beschreibung

„Grabstein“ für Lorenz Oehm, „auff welchen zugleich des Verstorbnen Bildnüß gehauen“ und eine „Meßingen(e) Taffel“ angebracht,1) die eine gegossene Inschrift mit Weiheformel (A), Sterbevermerk, Grabbezeugung, Totenlob (B) und Stiftervermerk (C) trug, heute verloren. Die Schriftform nicht überliefert.

Nach Olearius.

  1. A

    Uni (et)a) Trino S(acrum)

  2. B

    OHMIUS hac sub mole jacet, post fata sepultus, /A Lauro nomen dulce virente gerens. /Experta illius sex lustra (et)a) qvatuor annos /Aula fuit pactam Parthenopaea fidem. /Christus erat scopus, haud nocuit, sed profuit, omnes /Dilexitq(ve) bonos, sustinuitq(ve) malos. /Qvo melior fuit ingenio, hoc (et)a) amantior idem /Cum chara charae conjuge prolis erat. /Utq(ve) piis nunqvam studiis sua praemia desunt, /Auctus (et)a) hic opibus pignoribusq(ve) fuit. /His (et)a) susceptis undenis sena supersunt /Dum natis natae tres (pia turba,)b) tribus. /Jamq(ve) aderat vitae finis cum laude peractisc) /Tradit ovans animam vota ferenda DEO. /Tradit, at angelicae subito excepere cohortes, /Hisq(ve)d) sacra in coelum mox retulere die, /Qvando decem lustris nonus fuit additus annus /Cynthia bisq(ve) replet cornua luce vaga. /Mortis erat vivens, huic nunc sed mortua mors estSemper (et)a) aeternum vivit is ante DEUM. /Laurea, Laurenti, datur ergo corona beata, /Vincenti mortis grandia monstra tibi. /Ergo tibi victrix debetur laurea fama /Cujus in hoc laurus, ceu viret, orbe viret. /Est sice), Laurenti nitidi novus incola coeli /Laurenti duplici nomine nomen habens. /Felix, qvi duce agit coelo Te CHRISTE redemtus, /Hoc (et)a) apud cunctos vivit in orbe bonos.

  3. C

    D(OMI)N(O) LAURENTIO OHMIO, Illustr(issimae) Aulae Magdeb(urgensis) / a Secretis, Marito Dulciss(imo) Luctuosae / Memoriae ergo Conjux moestissima CLARA / H(oc) M(onumentum) P(oni) C(uravit) 1591.

Übersetzung:

A Dem einen und dreieinigen (Gott) geweiht.

B Unter diesem Grabmal liegt Oehm, nach dem Tod (hier) bestattet. Den süßen Namen (Laurentius) trug er nach dem grünenden Lorbeer. Sechs Lustren und vier Jahre lang erfuhr der Magdeburgische Hof dessen versprochene Treue. Christus war das Ziel; er schadete nicht, sondern nützte, er liebte alle Rechtschaffenen und ertrug die Böswilligen. Was er im Geist voraushatte, das war derselbe (auch) mit der teuren Ehefrau um so liebevoller (seinem) geliebten Nachwuchs. Und wie den frommen Bestrebungen niemals ihr Lohn vorenthalten wird, so wurde auch dieser durch Vermögen und Kinder erhöht. Und von diesen elf empfangenen Kindern sind noch sechs am Leben, weil drei Söhnen drei Töchter (fromme Schar!) zugesellt sind. Und schon trat das Ende des löblich vollbrachten Lebens ein. Die vorzutragenden Gebete freudig betend übergibt er (seine) Seele Gott. Er übergibt sie, und sofort nahmen Engelscharen sie auf und brachten bald darauf die Seele an diesem heiligen Tag in den Himmel zurück, als zehn Lustren ein neuntes Jahr hinzugefügt worden war und Cynthia die Hörner ein zweites Mal mit fahlem Licht wieder füllte. Lebend war er des Todes, aber nun ist für diesen der Tod gestorben. Und immer lebt er vor dem ewigen Gott. Dir, Laurentius, wird also der selige Lorbeerkranz verliehen als einem Sieger über die gewaltigen Dämonen des Todes. Dir also wird gewährt der lorbeerbekränzte, siegreiche Ruhm, dessen Lorbeer grünt, gleichwie er in dieser Welt grünt. So ist es, Laurentius, neuer Bewohner des strahlenden Himmels, der du nach der doppeldeutigen Bezeichnung des Laurentius den Namen hast. Glücklich, wer unter Dir, Christus, als Leitstern erlöst im Himmel und (zugleich) in dieser Welt bei allen Rechtschaffenen lebt.

C Herrn Lorenz Oehm, Sekretär am durchlauchtigsten Hof von Magdeburg, dem so liebevollen Ehemann, ließ die tiefbetrübte Ehefrau Klara um der schmerzlichen Erinnerung willen dieses Grabmal 1591 errichten.

Versmaß: Vierzehn elegische Distichen (B).

Kommentar

Lorenz Oehm stammte aus Preußen, hatte in Wittenberg studiert und war in Halle in den Dienst des Administrators getreten. Außerdem war er „Gegenschreiber im Thal“.2) Aus der Grabinschrift geht hervor, daß Oehm 39 Jahre in Hofdienst stand und im 60. Lebensjahr gestorben ist. Den Grabstein hatte seine zweite Ehefrau Klara errichten lassen. Doch die Ähnlichkeit der Ausführung läßt vermuten, daß er zur gleichen Zeit wie der Grabstein für Laurentius’ erste Ehefrau Magdalena Oehm entstanden ist (Nr. 207).

Cynthia im neunten Distichon meint Artemis, die den Beinamen nach ihrem mythischen Geburtsort, dem Berg Kynthos (lat. Cynthus) auf der Insel Delos, erhalten hatte.3) Die griechische Göttin wurde schon früh mit der italischen Göttin Diana gleichgesetzt, die ihrerseits mit der italischen Mondgöttin Luna identifiziert4) und in dieser Vielwesenheit verehrt und tradiert wurde. Als Luna füllte Diana das cornu (Pl. cornua), die hornförmige Sichel des zunehmenden Mondes, mit Licht, bis der Vollmond leuchtete. Laut Inschrift ist Lorenz Oehm beim zweiten Vollmond nach Vollendung seines 59. Lebensjahres gestorben.

Der Pentameter des siebten Distichons Tradit ovans animam vota ferenda DEO (Die vorzutragenden Gebete freudig betend übergibt er seine Seele Gott.) bringt zum Ausdruck, daß Oehm im Gebet Gott anrufend gestorben ist, wie es die Vorstellung vom guten Sterben gebot. Folglich hat seine Seele das ewige Leben erlangt, ein Vorgang, der im achten und zehnten Distichon konkret beschrieben wird.5) Damit hat Lorenz Oehm sterbend den Tod überwunden, ist Sieger über den Tod geblieben und hat im metaphorischen Sinn den Lorbeerkranz des Siegers, die Laurea corona des elften Distichons, erworben.6) Der immergrünende Lorbeer ist auch eine Allegorie des ewigen Lebens,7) das Oehm zuteil geworden ist. Auf Laurea, Lorbeer, spielt der Pentameter des dreizehnten Distichons an, wenn er von der Doppeldeutigkeit des Namens spricht: Laurenti duplici nomine nomen habens. Die symbolische Deutung des Vornamens kehrt auch in der Epitaphinschrift für Laurentius Hoffmann wieder, die vor 1625 entstand (Nr. 431B). Die cuncti boni (cunctos bonos) des letzten Distichons sind alle jene Gläubigen, die Lorenz Oehm in ehrendem Gedenken halten.

Textkritischer Apparat

  1. et] Olearius: et-Ligatur.
  2. (pia turba,)] Klammersetzung bei Olearius.
  3. peractis] Sic! Lies peractae.
  4. Hisqve] Sic! Lies Hacqve.
  5. sic] hic Dreyhaupt.

Anmerkungen

  1. Alle Zitate nach Olearius 1674, S. 146 f.
  2. Dreyhaupt 2, 1750, S. 681.
  3. Georges 1, 1995, Sp. 1867.
  4. Zu Diana s. Pauly 1, 1964, Sp. 1510–1512 (Werner Eisenhut); zu Luna siehe ebd. und Pauly 3, 1969, Sp. 779 f. (Werner Eisenhut).
  5. Zur lutherischen Soteriologie s. Einleitung, S. XLII.
  6. Zu corona s. auch Einleitung, S. XLIV.
  7. Vgl. Lurker 1988, S. 429.

Nachweise

  1. MBH Ms 319, 3, o. S.
  2. Olearius 1674, S. 146 f.
  3. Dreyhaupt 2, 1750, S. 681.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 275† (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0027500.