Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 219 Laurentiuskirche 1580

Beschreibung

Grabstein (?) für Nikolaus Gerlach, in der östlichen Außenwand der Kirche eingemauert. In die mit einem Segmentbogen abschließende Platte aus Sandstein mehrere Inschriften übereinander eingehauen: Sterbevermerk, biographische Angaben und Stiftervermerk (A), Bibelzitat (B) und Spruchdichtung (C). Die Linien der Schriftzeilen vergleichsweise tief eingehauen und gut erhalten. Die sonst völlig schmucklose Platte partiell beschädigt und verwittert.

Ergänzungen nach Olearius.

Maße: H.: ca. 160 cm; B.: 89 cm; Bu.: 3 cm, 4,5 cm (Versalien).

Schriftart(en): Kapitalis, griechische Großbuchstaben (A).

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/1]

  1. A

    ANNO CHRISTI 1580 · DIE 21 · OCTOB(RIS)a) / INTRA 3 · ET 4 · HORAM POMERIDIANAM / NICOLAVS GERLACH VIR PIETATE DOC=/TRINA ET PRVDENTIA ORNATISS(IMVS) / IN ARDENTI INVOCATIONE FILII DEI / PLACIDE OBDORMIT ANNO AETATIS 50 · / CVRRENTEb) QVI CVM ANNOS 20 · / SCHOLAM HVIVS LOCI FIDFLITERc) ET / VTILITER GVBERNASSET. PRESBYTE=/RIO ECCLESIAE HVIVS COOPTATVS. / IN DELIBERABERATIONIB(VS)d) AD HANC / ET SCHOLAM. PERTINENTIB(VS) FIDELEM / ΠΑΡΑSΑΤΗΝe) PASTORI SVO SE PRAEBVIT. / IN IMMINENTIS IGITVR RESVRRE=/CTIONIS MORTVORVM. ET DEFVNCTI / HVIVS MEMORIAM HAEREDES MOESTI / HOC MONVMENTVM PONI FECERVNT.

  2. B

    2 · TIM · 4f) / ICH HABE EINEN GVTEN KAMPF GE=/KEMPFFET. ICH HABE DEN LAVFT VOL[=]/LENDET. ICH HABE GLAVBEN GEHALTEN / HINFVRT IST MIR BEIGELEGT DIE KRON / DER GERECHTIGKEIT. WELCHE MIR DER / HERR DER GERECHTE RICHTER. AN IENEM / TAGE GEBEN WIRD. NICHT MIR ABER / ALLEIN SONDERN ALLEN. DIE SEINE / ERSCHEINVNG LIEB HABEN1)

  3. C

    HIE LIEG ICH VND MUS VERWESEN /DAN EIN SVNDER BIN ICH GEWESEN /DOCH HOF ICH EIN IWIGESg) LEBEN /[WE]LCH[ES] MIR MEIN CHRISTVS WIRD / [GEBEN]

Übersetzung:

A Im Jahr des Herrn 1580, am 21. Tag des Oktober, zwischen der 3. und 4. Stunde nachmittags stirbt Nikolaus Gerlach, ein Mann, der durch Frömmigkeit, Gelehrsamkeit (und) Weisheit reich geschmückt war, sanft, in leidenschaftlicher Anrufung des Gottessohnes, im laufenden 50. Jahr (seines) Alters, nachdem er 20 Jahre die Schule dieses Ortes treu und nutzbringend geführt hatte. Er war in das Presbyterium dieser Kirche gewählt worden. Bei den sich auf diese und die Schule erstreckenden Beratungen erwies er sich seinem Pfarrer als eine treue Stütze. Also ließen zur Erinnerung an die bevorstehende Auferstehung der Toten und an den Verstorbenen die trauernden Erben dieses Grabmal errichten.

Versmaß: Vier Reimverse (C).

Kommentar

Die ziemlich regelmäßig ausgeführten Buchstaben weisen trotz gleichbleibender Strichstärke bei Balken und Schäften eine leichte Bogenschwellung auf. Das A ist gelegentlich nach rechts geneigt. Kleine, zumeist keilförmige Sporen zieren auch die oberen Schaftenden von A und M. Die Bögen des B und Bogen und Cauda des R setzen nebeneinander an der Schaftmitte an. In ΠΑΡΑSΑΤΗΝ tritt eine Mischung griechischer und lateinischer Buchstaben auf. Die ersten Buchstaben jeder einzelnen Inschrift wurden überhöht. Als Kürzungszeichen sind Punkte auf die Mittellinie gesetzt.

Die Pfarreischule auf dem Neuen Markt ist aus einer Schule des ehemaligen Neuwerkstifts hervorgegangen und 1555 erstmals mit einem eigenen Lehrer besetzt worden. 1557 wurde Nikolaus Gerlach Schulmeister.2) Der Verfasser der Inschrift A beabsichtigte allem Anschein nach, das Verhältnis des Schulmeisters vom Neumarkt zum lokalen Pfarrer so darzustellen, wie das Verhältnis des Praeceptor Germaniae Philipp Melanchthon zu Luther gesehen wurde. In einer lateinischen Inschrift auf einem etwa zeitgleichen Porträt Melanchthons wird dieser als „PARASTATES“ Luthers gewürdigt.3)

Textkritischer Apparat

  1. OCTOBRIS] Ein Kürzungszeichen nicht mehr erkennbar.
  2. CVRRENTE] Danach größerer Wortabstand.
  3. FIDFLITER] Sic! Für FIDELITER.
  4. DELIBERABERATIONIBVS] Sic! Für DELIBERATIONIBVS.
  5. ΠΑΡΑSΑΤΗΝ] Sic! Der erste Buchstabe besteht aus einem Schaft und einem rechts ansetzenden, einfach abgewinkelten Oberbalken und stellt den griechischen Majuskelbuchstaben Π dar. Das Wort ist verschrieben aus der Akkusativform ΠΑΡΑΣΤΑΤΗΝ des griech. ΠΑΡΑΣΤΑΤΗΣ; lat. Akkusativ PARASTATAM (so auch bei Olearius).
  6. 2 · TIM 4 ·] Zeile zentriert.
  7. IWIGES] Sic!

Anmerkungen

  1. 2 Ti 4,7–8.
  2. Dreyhaupt 2, 1750, S. 772.
  3. Vgl. DI 56 (Stadt Braunschweig 2), Nr. 690.

Nachweise

  1. MBH Ms 319, 5, o. S.
  2. Olearius 1674, S. 186 f. (A, B).
  3. Wagner 1906, S. 45 (Übersetzung von A; B und C unvollständig).

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 219 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0021909.