Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 214 Salinemuseum 1578

Beschreibung

Hostiendose aus Elfenbein mittelalterlichen Ursprungs mit vergoldeten Silberbeschlägen der Frühen Neuzeit, die verschiedene Inschriften tragen; aus der Moritzkirche, heute als Leihgabe im Salinemuseum. Auf dem runden Deckel der zylindrischen Dose ein Buckel mit Knauf angebracht, dessen Befestigung an der Unterseite des Deckels mit einem reliefierten Medaillon abgedeckt ist. Darauf das Abendmahl und ein umlaufendes Bibelzitat (A). Den Rand des Deckels umgibt eine silberne Zarge mit einem charakteristischen Fries aus durchbrochenen Ornamenten, der auch die übrigen drei, die Dose umschließenden Reifen schmückt. Auf der Oberseite des Deckelreifs eine Rankengravur. Der unterste Reif trägt die Dose und ruht selbst auf drei Füßchen in Form einzelner Beeren mit gewundenen Stielen. In der Mitte des Dosenbodens ein zweites Reliefmedaillon mit Darstellung des Kampfes Christi gegen den Drachen und einer umlaufenden Inschrift (B). Dessen Befestigung an der Unterseite der Dose mit einer flachen runden Platte abgedeckt, die ein umlaufendes graviertes Schriftband mit Stiftervermerk ziert (D). In der Mitte ein Wappen. Unter dem untersten Reif eine umlaufende Inschrift, die den Stiftungsanlaß, den frühen Tod der Tochter des Stifters, in Erinnerung hält und das Gewicht der Goldschmiedearbeit angibt (C). Dieses in kleinerem Schriftgrad unter die Zeile geschrieben. Die Inschriften C und D graviert. Die beiden im Inneren der Dose angebrachten Medaillons vielleicht Abschläge von Avers und Revers einer Medaille; ihr Material nicht eindeutig bestimmt.1)

Maße: H.: 12 cm; D.: 10,8 cm; Bu.: 0,2 cm (A, B, C), 0,5 cm (C), 0,3 cm (D).

Schriftart(en): Kapitalis.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/4]

  1. A

    DESIDIERIOa) · DISIDERAVIb) · HOC · PASCHA · MANDVCARE · VOBISCVM · AVTEc)2) · SV · IV · XIId) · // 1578

  2. B

    ALSO · AVCH · GOTT · LVCIFRe) HVMVTf) · VND · GEVALT · ZV · BRAHCg) : 4 · // FVh)

  3. C

    IVMPFERi) · MADALENA · LEVDERS · IST · GESTORBEN · DEN 16 · MARTIj) · ANNO · 1578 · / WIGT 26 ½ LOT

  4. D

    HANNS · LEVDER · ANNO · 1578 ·

Übersetzung:

A Es verlangte mich mit Sehnsucht, mit euch das Passalamm zu essen, bevor (ich leiden werde).

Wappen:
Leuder3)

Kommentar

Die gedrungenen Buchstaben in A und B weisen überwiegend eine Linksschrägenverstärkung, gelegentlich auch eine Rechtsschrägenverstärkung auf. Die Buchstaben in C und D sind durch einen schmalen gleichmäßigen Strich und überwiegend kurze, strichförmige oder unregelmäßige Sporen gekennzeichnet. Die zweite Zeile der Inschrift C ist in kleinerem Schriftgrad unter die erste gesetzt. Die Worttrenner in A und B haben unterschiedliche, schwer zu beschreibende Formen; die Worttrenner in C und D sind als sechsstrahlige Sternchen ausgebildet.

Inschrift A nimmt Bezug auf die Einsetzung des Abendmahls, das der Dose ihre Funktion gibt, nämlich die Oblaten für das Abendmahl aufzubewahren. Inschrift B ist bei Herstellung des Medaillons so entstellt worden, daß sich ihr Sinn nicht vollständig erschließt.

Die Elfenbeinpyxis soll nach Johann Michael Fritz „siculo-arabischen“ Ursprungs und im 12. oder 13. Jh. gefertigt worden sein. Fritz vermutet, daß sie „mit großer Wahrscheinlichkeit“ aus dem Hallischen Heiltum stammt, weil ihre Form mit der einer im Aschaffenburger Codex, einem illustrierten Inventar des Heiltums, wiedergegebenen Elfenbeindose übereinstimmt.4) Die im Codex abgebildete hat jedoch gänzlich andere Beschläge, so daß nur die Pyxis selbst dem Heiltum entstammen kann. In Anbetracht der von Fritz eingeräumten weiten Verbreitung solcher Elfenbeingefäße kann aber auch eine andere Herkunft der vorliegenden Dose erwogen werden. Sie wurde vermutlich als Stiftung Hans Leuders mit Beschlägen versehen und zum Gedächtnis seiner Tochter Magdalena der Moritzkirche gestiftet. Leuder (gestorben 1598) war seit 1560 im Stadtrat, wirkte von 1588 an als Ratskämmerer und hatte außerdem schon 1578 das Amt des Achtmannes oder Kirchvaters an der Moritzkirche übernommen.5) Seine Stiftung ist „eine der ältesten protestantischen Hostiendosen“, wie Fritz schreibt.6)

Textkritischer Apparat

  1. DESIDIERIO] Sic! Für DESIDERIO.
  2. DISIDERAVI] Sic! Für DESIDERAVI.
  3. AVTE] Sic! Für ANTE. Zu ergänzen ist QVAM PATIAR.
  4. SV IV XII] Die Bedeutung dieser Buchstaben- bzw. Zahlenfolge ist unklar. Sie läßt sich nicht als Nachweis jener Bibelstelle emendieren, die zu belegen wohl beabsichtigt war.
  5. LVCIFR] Sic!
  6. HVMVT] Sic! Die Lesung der ersten beiden Buchstaben unsicher.
  7. BRAHC] Sic! Für BRACH? Die Lesung des vorletzten Buchstabens unsicher.
  8. FV] Sic! Vielleicht aus „ETC.“ verlesen, wobei in der Vorlage ein et-Haken aus Schaft, Deck- und Mittelbalken gestanden haben könnte. Davor eine Unterbrechung der Schriftzeile durch den Kreuzbalken und ein aus vier Rauten gebildetes Kreuz. Danach Unterbrechung der Schriftzeile durch die Lanze Christi.
  9. IVMPFER] Sic! Für IVNGFER.
  10. MARTI] Sic!

Anmerkungen

  1. Freundliche Mitteilung von Herrn Uwe Meißner, Halle (Saale).
  2. Lc 22,15.
  3. Waagerechtes Messer oder Pflugschar, oben und unten je ein sechsstrahliger Stern.
  4. Fritz 2004, S. 412 (Nr. 150); Katalog Halle 1, 2006, S. 82 f. (Nr. 20; Ursula Timann). Vgl. Halm/Berliner 1931, S. 30 (Nr. 68) und Taf. 33a. Zum Hallischen Heiltum s. Einleitung, S. XV f.
  5. StAH H B 2, S. 82 f., 85 f., 88, 91, 93 f., 96 f., 99, 101; Schubart 1662, fol. E4v; Olearius 1667, S. 71; Bindseil 1856, S. 14. Unklar bleibt, ob er mit dem zwischen 1584 und 1590 dreimal gewählten Oberbornmeister gleichen Namens gleichzusetzen ist; s. StAH H B 2, fol. 92r, 93r/v.
  6. Fritz 2004, S. 412 (Nr. 150).

Nachweise

  1. BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 165 (C, D).
  2. Fritz 2004, S. 412 (Nr. 150: A, D).
  3. Katalog Halle 1, 2006, S. 83 (Nr. 20: D unvollständig).

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 214 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0021407.