Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 210(†) Rathaus † / Salinemuseum 1577

Beschreibung

An den Wänden des ehemaligen Gefängnisses im Rathaus Name (A, B, D), Spruchdichtung (C, D) und Gebete in Form von Spruchdichtung (B, E) eingekratzt: A unter dem Luftloch der nördlichen Zelle, B über dem Eingang der südlichen Zelle, C und D über der Tür des Vorraums;1) E an der Laibung derselben Tür. Bei Abbruch der hofseitigen Anbauten 1862 entdeckt und spätestens bei Abbruch der Rathausruine 1948 verlorengegangen.2) Der Träger von Inschrift E aber bei archäologischen Grabungen am Standort des Rathauses 2005 aufgefunden und im Salinemuseum geborgen. Hochrechteckiger Quader mit Türfalz und Riegelschlaufe, unter der E eingeritzt ist.

A, C und D nach Rathaus 1862; B nach Rühl, teilweise ergänzt nach Rathaus 1862.

Maße: H.: 87,5 cm (E); B.: 36 cm (der ursprünglich freiliegenden, mit Türfalz versehenen Seite von E); Bu.: 2,5–3 cm (E).

Schriftart(en): Kapitalis (B, E).3)

Stadtarchiv Halle (Saale) [1/1]

  1. A †

    ANTONIVS · FISCHER · 1577 ·

  2. B †

    [AL]MECHTIIGERa) · EWYGER · GOT · VERLAS · NYCHT · MYCH [·] / [W]EYL · YCH · VNRECHT · LEYDE · ALHYE · GEWALTYKLYCH · / [VE]RSTOS · MYCH · HER · NYCHT · VON · DEYNEN · ANGESYCHT4) · / [WEY]Lb) · MYR · GROSER · HON · VNT · VBERMVT · AVF · ERDEN · GESCHYETc) · /[D]AN · HER · HAST · MYCH · GESCHAFFEN · VON · DER · ERDEN · / [HA]ST · MYR · AVCH · LEYBd) · VNT · LEBENe) · DARZV · GEBEN · / [D]V · WYRST · AVCH · MEYNER · ARMEN · SELEN · PFLEGEN ·/ [A]NTONYVS · FYSCHER · 1577f)

  3. C †

    [- - -] VNVORZAGT ·GOTTES · GNADE · IST · NIEMANT · VORSAGT ·WER · WEYS · WER · EYNANDER · AVS · HALLE · IAGT ·

  4. D †

    ZV · HALLE · HAT · MAN · EIN · NEVES · RECHT · GESCHAFFEN ·DAS · MAN · DIE · SO · RECHT · VNT · AVFRICHTIG · HANDELN · SOL · ZV · SCHELMEN · MACHEN · /ANTONIVS · FISCHER · 1577 ·

  5. E

    O VATER GV[T] /HALTg) MYCH INh) DEYNE / HVTi) /TVE MEYNER ARMENj) / SELENk) GVT

Versmaß: Sieben (B), drei (C, E), zwei (D) Reimverse.

Kommentar

Die Texte der Inschriften C und E wurden hier gemäß der Editionsprinzipien versweise gegliedert und die letzte Zeile von D der Vorlage entsprechend abgesetzt. Die Inschriften C, D und E sind bei Rathaus 1862 zentriert wiedergegeben, waren aber ursprünglich sicherlich wie die original erhaltene Inschrift E unregelmäßig geschrieben. Inschrift C ist wahrscheinlich nicht vollständig überliefert.

Die Ausführung der Inschriften B und E ist grob und unregelmäßig. Die Schriftzeilen von E fallen nach rechts ab. Das G besteht aus einem Bogen und einer abgewinkelten Cauda, die oft unter die Grundlinie hinabreicht. Das Y in B ist aus der Verschmelzung zweier, in ALMECHTIIGER noch ausgeschriebener I entstanden, wie an einzelnen Buchstaben dieser Inschrift noch nachvollziehbar ist. Geschrieben wurde zumeist ein Schaft, dessen Endungen sich gabeln. Über den oberen Endungen steht je ein Punkt. Die in deutlich kleinerem Schriftgrad ausgeführten Worte in E (IN, HVT) sind vermutlich nachgetragen worden. Schreibweise und Buchstabenform weisen darauf hin, daß die Inschrift zusammen mit Inschrift B entstanden ist. Als Worttrenner sind bei Rathaus 1862 Punkte auf der Mittellinie angegeben.

Der Verfertiger der Inschriften, Anton Fischer, soll „wegen Verlästerung des Raths und der Gerichte“ zwölf Jahre im Gefängnis gesessen und nach seiner Entlassung 1587 den Rat der Stadt Halle vor dem Reichskammergericht in Speyer verklagt haben, bald darauf aber gestorben sein.5) Die städtischen Karzerzellen waren im Erdgeschoß des Rathauses verborgen und hatten keine Wandöffnung ins Freie.6)

Textkritischer Apparat

  1. ALMECHTIIGER] Ergänzung der Vorsilbe unsicher; nicht bei Rathaus 1862, Kerker 1862.
  2. WEYL] Ergänzung nach Schreibung in zweiter Zeile.
  3. GESCHYET] Das zweite E unzial.
  4. LEYB] E über den Balken des L geschrieben.
  5. LEBEN] Das erste E über den Balken des L geschrieben.
  6. 1577] Es folgen die Initialen C.R. oder G.R., die etwas über der Grundlinie stehen und dem Duktus nach später hinzugesetzt wurden.
  7. HALT] T über den Balken des L geschrieben.
  8. IN] In wesentlich kleinerem Schriftgrad über die Zeile zwischen MYCH und DEYNE geschrieben.
  9. HVT] In kleinerem Schriftgrad zwischen die zweite und die dritte Zeile geschrieben.
  10. ARMEN] Paarweise Nexus litterarum.
  11. SELEN] Das zweite E über den Balken des L geschrieben.

Anmerkungen

  1. Alle Angaben nach Rathaus 1862, S. 1377.
  2. Zur Geschichte des Rathauses s. Einleitung, S. XXX f.
  3. Die Schriftform der übrigen Inschriften ist zwar nicht ausdrücklich bezeugt, aber vermutlich dieselbe wie bei B und E.
  4. Vielleicht Paraphrase von Ps 51,13.
  5. Olearius 1667, S. 313 f.
  6. Vgl. Rühl 2008a, S. 37–39 und Anhang.

Nachweise

  1. Rathaus 1862, S. 1377.
  2. Kerker 1862, S. 237 f.
  3. Rühl 2008a, S. 38 f. (B und E unvollständig), 40 (Abb. 36: B).

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 210(†) (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0021009.