Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 148 Passendorf, Kirchhof 1546

Beschreibung

Grabstein aus Sandstein vermutlich für Angehörige der Familie Türk, in einer Nische der nördlichen Kirchhofsmauer aufgestellt. Auf dem halbkreisförmig abschließenden, reliefierten Grabmal zwei kleine, nackte und kniende Kinder, ein Junge und ein Mädchen, die den kindlichen, in einer Wolkengloriole erscheinenden Erlöser anbeten. Derselbe streckt einladend seine rechte Hand aus und hält im linken Arm das Kreuz mit der Dornenkrone und in der linken Hand die Weltkugel. In der mittleren Reliefzone ein Wappen: zwischen den Kindern eine Jahresangabe eingehauen.1)

Maße: H.: 154,5 cm; B.: 86 cm; Bu.: 4,5 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/1]

  1. ANNO A / CHR(IST)O NATO / MDXLVIa)

Übersetzung:

Im Jahr nach Christi Geburt 1546.

Wappen:
Kruschwitz gen. Türk (?)2)

Kommentar

Die Buchstaben sind zwischen den erhaltenen Hilfslinien recht sorgfältig gearbeitet und weisen Serifen auf. Das M hat schräge Schäfte und einen bis zur Mittellinie reichenden Mittelteil; die Cauda des R ist am Ende hakenförmig gebogen.

Der Grabstein ist vermutlich zwei Kindern des erzbischöflichen Kanzlers Dr. Christoph Kruschwitz, genannt Türk, zugedacht. Christoph (von) Türk (1497–1547) stammte aus Leipzig, erwarb 1514 in seiner Heimatstadt den akademischen Grad eines Bakkalaureus und beschloß seine Studien in Italien, wo er vermutlich zwischen 1517 und 1519 in Ferrara promoviert wurde. Türk erscheint erstmals 1523 als Rat des Erzbischofs von Magdeburg, Kardinal Albrecht von Brandenburg, und war bereits 1524 dessen Kanzler. Seine schnelle und erfolgreiche Karriere krönte Türk 1530 mit dem erblichen Adelsstand und der Würde eines päpstlichen Hofpfalzgrafen. Türk bewährte sich als Diplomat des altgläubigen Erzbischofs und Protagonist der erzbischöflichen Politik. Spätestens seit 1542 aber führte er im Auftrag Albrechts Verhandlungen mit dem lutherischen Herzog Moritz von Sachsen (1541–1553) über die faktische Säkularisierung der Stifte Magdeburg und Halberstadt, was ihn nach dem Tod des Kardinals 1545 in Ungnade brachte. Der neue Erzbischof Johann Albrecht von Brandenburg erhob Anklage gegen den entlassenen Kanzler und zog dessen in den Stiften Magdeburg und Halberstadt gelegene Güter ein, darunter das Gut in Passendorf, das Türk 1531 erworben hatte. Christoph Türk siedelte in das sächsische Leipzig über und diente fortan Herzog Moritz. Mit Hilfe seines neuen Dienstherrn erhielt er während des Aufenthalts Karls V. in Halle 1547 vom Kaiser seine Besitzungen zurück – und starb bald darauf, ohne leibliche Erben zu hinterlassen.3) Das Gut in Passendorf ging an die Familie Barth über, mit der Türk verschwägert war.4)

Textkritischer Apparat

  1. MDXLVI] Zwischen dem ersten, zweiten und dritten Zahlzeichen größere Abstände.

Anmerkungen

  1. Auf der in gegenwärtiger Aufstellung nicht sichtbaren Rückseite des Grabsteins sind weitere Inschriften zu erwarten.
  2. Geviert, 1/4. schrägrechts geteilt und mit Adlerklaue belegt, 2/3. drei linksschräge Balken.
  3. Scholz 2002, passim.
  4. Katharina Barth, eine Tochter des Leipziger Ratsverwandten Christian Goldhahn, war eine Schwägerin Türks (vgl. Scholz 2002, S. 232) und Ehefrau des testamentarischen Erben Dr. Kaspar Barth (d. Ä.); vgl. Dreyhaupt 2, 1750, S. 940, 942–944 (Nr. 601); Gauhe 1, 1740, Sp. 1933–1936; Gauhe 2, 1747, Sp. 39 f.; siehe auch Nr. 271.

Nachweise

  1. Lorius 2006, S. 183.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 148 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0014808.