Inschriftenkatalog: Greifswald

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 77: Greifswald (2009)

Nr. 2 Greifswald-Eldena, Zisterzienserkloster St. Marien um 1290

Beschreibung

Grabplatte für Nikolaus Friso und seine Ehefrau. Kalkstein. Hochrechteckiges Fragment in der Westwand der Sakristei. Das untere Drittel des Steins fehlt. Eine weitere Fehlstelle in der Mitte des Fragments, die vom linken zum rechten Rand verläuft und sich keilförmig verjüngt, wurde mit Mörtel ausgefüllt, der Schriftverlust dabei frei ergänzt. Die zwischen einfachen Linien umlaufende Inschrift beginnt mit einem griechischen Kreuz in der Mitte der oberen Schmalseite. Davor vier Vierpässe als Zeilenfüller. Schriftverlust im unteren Bereich der beiden Langseiten sowie an der gesamten unteren Schmalseite. Der untere Bereich der Grabplatte ist darüber hinaus wegen einer eingebauten Bühnenplattform nicht mehr einsehbar. Im Innenfeld ein lilienbekrönter Wimperg, an den Seiten zwei halbe, ebenfalls lilienbekrönte Fialen. Im Giebelfeld des Wimpergs ein in einen Kreis eingeschriebener Vierpass. Darunter zwei Spitzbögen mit Dreipässen, unter denen zwei Figuren in Ritzzeichnung dargestellt sind. Links eine männliche Person, rechts eine weibliche mit einem Kopftuch. Die Köpfe sind einander leicht zugewandt, die rechten Hände weisen auf die jeweils andere Figur. Einige Architekturornamente wie die Krabben und Lilien an Wimperg und Fialen waren mit einer vermutlich dunklen Masse ausgelegt, ebenso die Buchstaben der Inschrift, die mit einer breiten, rechteckigen Kerbe eingehauen sind.

Inschrift ergänzt nach Pyl und Foto LAKD, Abteilung Archäologie und Denkmalpflege, Schwerin.

Maße: H. 217 cm, Br. 123 cm. Bu. 6,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Jürgen Herold [1/3]

  1. + HIC ˑ IACE/Ta) ˑ NICOLAVS FRISO Q(V)Ib) ˑ ISTI [ˑ ALTARI - - - ] / [ - - - ] / [ - - - ]L[..] [P(RO) SER]VITIOc) ˑ C(ON)DONAVIT

Übersetzung:

Hier liegt Nikolaus Friso, der für diesen Altar (...) zum Dienst vermachte.

Kommentar

Das Maßwerk der Platte zeigt Einflüsse der französischen Hochgotik, die im westlichen Pommern in reduzierter Form während der 1280er Jahre vordrang und über die frühen 1290er Jahre hinaus nicht mehr wirksam war. Als Charakteristika gelten Wimperge über Spitzbögen, die von Dreipässen unterfangen werden, sowie Kreiselemente mit eingefügten, stehenden Vierpässen, hier im Zwickel des Wimpergs; ferner die auf einem Wulst sitzenden, bekrönenden Lilien auf Wimperg und Fialen sowie die nicht eingerollten Krabben.1) Theodor Pyl ging davon aus, dass die beiden Figuren im Innenfeld der Platte die Verkündigung an Maria darstellen. Die Literatur folgte ihm in dieser Ansicht bis in die jüngste Zeit.2) Die Haltung der beiden Figuren zeigt zwar durchaus Ähnlichkeiten mit einer Verkündigung,3) jedoch ist kein Beispiel für die Verwendung dieser Szene auf mittelalterlichen Grabplatten bekannt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass mit den dargestellten Personen in der üblichen Weise die Verstorbenen gemeint sind, also Nikolaus Friso und seine Ehefrau, auch wenn diese in der Inschrift nicht erwähnt wird.

Vom Ende des 13. bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts sind vier Personen namens Nikolaus Friso nachweisbar.4) Da zwar in der Inschrift kein Sterbedatum genannt wird, die gotische Majuskel auf Stein aber nur bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts in Gebrauch war, kommen nur die beiden ältesten Personen infrage: ein zwischen 1291 und 1299 verstorbener Greifswalder Bürger oder sein jüngerer Verwandter, der um 1350 starb und Mönch des Eldenaer Klosters war. Dessen Lebensdaten veranlassten Pyl, ihn mit dem auf der Grabplatte Genannten zu identifizieren. Die Darstellung eines Ehepaares zeigt jedoch, dass der Verstorbene verheiratet und die Platte für das gemeinsame Grab der Eheleute bestimmt war. Diese Hinweise sowie das Formenspektrum der Architekturelemente sprechen für den älteren Nikolaus Friso, der 1291 als lebend sowie 1299 im Rahmen einer Erbauseinandersetzung seiner Neffen erwähnt wird, also zuvor ohne direkte Erben gestorben sein muss.5) Er hatte für die Kirche des Klosters Eldena einen Altar gestiftet. Darauf, dass er und seine Ehefrau dann in dessen Nähe bestattet wurden, deutet der inschriftliche Hinweis ISTI ALTAR[.] hin. Da in den 1280er Jahren und somit zu Nikolaus’ Lebzeiten Chor, Querhaus und östliches Langhaus eingewölbt wurden, ist es denkbar, dass er auch an der Baufinanzierung dieses Teils der Kirche beteiligt war. Die kunsthistorische Einordnung dieser aufwändig gestalteten Platte verweist auf eine Anfertigung um 1290 und somit noch zu Lebzeiten des darauf Erwähnten. Auch das verwendete Formular ‚Hic iacet N. N.‘, das bei der Textgestaltung keine Rücksicht auf das Sterbedatum erfordert, stützt die Vermutung, dass Nikolaus Friso die Platte vor seinem Tod hat anfertigen lassen.6)

Textkritischer Apparat

  1. IACE/T] E schräg in die Ecke gesetzt.
  2. I hochgestellt.
  3. Zwischen L[..] und -VITIO heute durch Mörtel gefüllte Fehlstelle, darauf die sinnlosen Zeichen I I O V.

Anmerkungen

  1. Die gleichen Elemente finden sich am Portal der Greifswalder Marienkirche, deren Datierung in die zweite Hälfte der 1280er Jahre durch die relativchronologische Bauabfolge gesichert ist. Die Reihung einander nicht berührender Vierpässe am Beginn der Inschrift findet man für die gleiche Zeit am Sockel der Statue der Anna Selbdritt in der Stralsunder Nikolaikirche; siehe Lutze, Backsteinarchitektur, S. 59–69. Für weitergehende kunsthistorische Hinweise danken wir André Lutze (Greifswald).
  2. Pyl, Eldena, S. 130–132; Lissok, Eldena, S. 36.
  3. Vgl. etwa die geschnitzte Verkündigung am Hauptaltar der Zisterzienserklosterkirche Doberan; Abb. bei Gloede, Doberaner Münster, Tf. 163f. Vielleicht hat eine solche Szene als Vorbild für die Personendarstellungen auf der Grabplatte gedient; siehe Herold, Äbte, S. 363.
  4. Pyl, Eldena, S. 131f.
  5. Poeck, Stadtbuch, S. 3 (Nr. 4, 1291), S. 7 (Nr. 45, 1299).
  6. Als Parallele kann auf die Grabplatte für den ebenfalls kinderlosen Hinrich Rubenow († 1462) und seine Ehefrau Katharina Hilgemann (Kat.-Nr. 138) verwiesen werden. Die Platte weist dasselbe Textformular auf und wurde nachweislich zu Lebzeiten Rubenows hergestellt. Auch für Sophia († 1326–1329), Ehefrau des Everhard Letzenitz, wurde zu Lebzeiten eine Inschrift nach dem Formular ‚Hic iacet N. N.‘ angefertigt (Kat.-Nr. 9A2).

Nachweise

  1. Kirchner, Grabsteine Eldena, Teil 2, S. 152.
  2. Pyl, Eldena, S. 124, Anm. 4, S. 130-132.
  3. Haselberg, Kreis Greifswald, S. 75.
  4. N. N., Grabsteinkunst, S. XVI, Tf. 5.
  5. Herold, Äbte, S. 362.
  6. LAKD, Abteilung Archäologie und Denkmalpflege, Schwerin, Fotosammlung

Zitierhinweis:
DI 77, Greifswald, Nr. 2 (Jürgen Herold, Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di077g014k0000204.