Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)

Nr. 371 III† Baden-Baden, Neues Schloß, Palas 1579–1594

Beschreibung

Wandmalerei mit Monatsbildern und Tierkreiszeichen.1 Auf den für die Bildnisse der Markgrafen nicht benötigten Wandflächen des Saales, vor allem nahe der Fenstergewände. Die Monatsbilder veranschaulichten die für die Jahreszeit typischen Arbeiten und Handlungen, die in jeweils zwei Versen (A–L) auch sprachlich charakterisiert wurden. Die Aussagen decken sich größtenteils mit den überlieferten Bildbeschreibungen. In das Umfeld des Geselligkeit und Trinkgelage liebenden Januar war ein Mensch mit Inschrift (A) gestellt. Auf die Fastnachtsumzüge verwies der Februar mit Reim (B), auf die Wiederaufnahme bäuerlicher und militärischer Tätigkeiten der März mit (C). Die April-Szene zeigte von Kräutern übersäte Wiesen und knospende Wälder (D). Der Mai widmete sich der Liebe und Erholung (E), der Juni der Wollschur und dem Fischfang (F). Der Juli führte Wiesenmahd und sengende Hitze (G) vor Augen, der August die Ernte und das Einfangen von Hasen (H). Der September lenkte die Aufmerksamkeit auf das Umpflügen der Felder und die Hirschjagd (I). Der Oktober pries den Rebensaft und den Frohsinn der Winzer (J), während der November dazu riet, Holz zu sammeln, das Korn zu dreschen und sich an gemästeten Gänsen zu laben (K). Die Schlachtung größerer Tiere gehörte neben anderen Weihnachtsvorbereitungen zu den üblichen Tätigkeiten im Dezember (L).

Die Tierkreiszeichen hatte der Maler nach den antiken Entstehungsgeschichten2 bildlich umgesetzt und nur in blauer bzw. brauner Farbe ausgeführt: An erster Stelle war der auf dem Rücken des Adlers emporgetragene Ganymedes wiedergegeben (Wassermann), es folgten der Delphin Neptuns (Fische), die kretische Ziege Amalthea als Amme des Zeus (Steinbock), der Europa raubende Stier, Jupiter in Gestalt eines Schwans und die aus den Eiern hervorkommende Nachkommenschaft der Leda (Zwillinge). Daneben erschienen der Krebs, wie er der Lernäischen Hydra Hilfe leistet, der von Herkules überwältigte Nemeische Löwe, die thespische Jungfrau Persephone, die Waage und der Skorpion als Mörder des Orion, außerdem der Pfeilschütze Gyron sowie der Widder des Phryxis.

Inschriften nach Descr. 65/11288.

  1. A

    Guta) wein vnd speÿsz Jch Jetz nit spahr, Dasz Jch Erleb viel newer Jahr.

  2. B

    Jm Hornung wan fastnacht Regirt Die narrentheÿ als dan sich ruhrt;

  3. C

    Der Mertz Bawts veldt, sähet reichlich ausz Dasz vieh vnd Krrigs volckh teügt3) von hauszb)

  4. D

    Der Aprill Bringt Laub vnd Grasz Von Gott als dann wirdt Gmehret dosz.

  5. E

    Jch Bin der Meÿ schön wohl Gestalt, Bring frewdt vnd wollust manigfalt.

  6. F

    Die Schaaf Geben Jetz Gute woll Die wasszer seind Jhrer fruchtc) auch voll.

  7. G

    Rechd) Ein dasz hew Liebs Mädelein, So können wir Baldt Jm Schatten sein.

  8. H

    Schneÿt Ein dasz Korn, vnd treib Kurtzweil Zue dieszer Zeit mit federspiel.

  9. I

    Die Erdt bereit Zum winterbaw, vnd Jage) den Hirsch durch Grune aw

  10. J

    Frisch auf Jm Herbst, vnd Ghabt Euch wohl Trinckth most Genug die fassz seind vollf).

  11. K

    Fuhr Holtz vnd Korn, dasz Jst Getröschtg) Bring auch herh) die Gäntz Gemest.

  12. L

    Rindt vnd schwein Jns Hausz Jetz schlachti), vnd anders Genug auf die weinnacht.

Versmaß: Freie Knittelverse.

Kommentar

Während sich die Annahme, daß der Verfasser der deutschen Verse am Gesims der Saaldecke mit dem Maler identisch ist, zumindest auf die Überlieferung im Anhang an Tobias Stimmers Reimgedicht berufen kann (siehe Abschnitt I.2/M–T), mangelt es in der Frage nach der Urheberschaft der poetischen Monatsbeschreibungen bislang an ähnlich konkreten Indizien. Die Vermutung, daß sie von demselben Dichter stammen, liegt freilich nahe und kann folgende Argumente für sich beanspruchen: So ist die prosodische Struktur der Verse recht ähnlich. Es handelt sich beidemal um Freie Knittelverse, die in den Inschriften (I.2/M–T) aus sechs bis zehn, hier aus sieben bis neun Silben bestehen. Die Taktfüllungen variieren zwischen einer und drei Silben, die Kadenzen sind stets männlich und die Verse beginnen überwiegend, aber nicht immer mit einem Auftakt. Neben diese metrischen Beobachtungen treten Besonderheiten bezüglich der meist einsilbigen und teilweise unreinen Reime. Auffällig ist, daß in beiden Verszyklen Silben mit den Vokalen /ie/ und /ü/ oder /o/ und /a/ ungeachtet ihrer Länge reimend aufeinander bezogen werden. Für die Herkunft des Dichters ist freilich bezeichnender, daß in Kurtzweil und federspiel auch als Monophthonge bzw. Diphthonge geschriebene Laute einen Reim bilden (H). Offensichtlich bediente sich der Autor hier bereits der üblichen Schreibweise, sprach jedoch die Graphemfolge weiterhin als Monophthong. Diese schweizerdeutsche Eigenheit findet sich in Stimmers Reimgedicht mehrfach.4 Daß es sich bei dem Verfasser der Inschriften zu den Monatsbildern um einen Eidgenossen handeln dürfte, legt überdies die Verwendung des Idioms „täuggen“3 in Inschrift (C) nahe. Ob es sich allerdings zwangsläufig um den aus Schaffhausen stammenden Tobias Stimmer handeln muß, bedarf noch einer endgültigen Klärung. Denn schon Paul Boesch stellte die berechtigte Überlegung an, ob nicht auch Johann Fischart als Schöpfer des Reimgedichts in Frage käme.5 Dann müßte jener auch als Verfasser der Inschriften in Betracht gezogen werden. Dieser Erwägung steht aber immerhin entgegen, daß das Reimgedicht nach dem Titel und am Textende den Namen bzw. die Initialen Tobias Stimmers trägt.6

Das Motiv der Monatsbilder hat in der europäischen Kunst eine lange Tradition und findet seine Wurzeln bereits in antiken Friesen und Mosaiken.7 Seit dem 9. Jahrhundert entwickelte sich dafür ein immer wiederkehrender ikonographischer Kanon, der jeden Monat durch die Darstellung bäuerlicher Tätigkeiten charakterisiert.8 Sehr häufig wurden dabei Bezüge zu den entsprechenden Sternzeichen hergestellt, wodurch die unlösbare Einbindung des Menschen in kosmologische Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge zum Ausdruck gebracht werden sollte.9 Im Spätmittelalter verloren die Monatsbilder allmählich ihre religiös-belehrende Funktion und entwickelten sich zunehmend zu einer selbständigen, den Lebensgenuß empfehlenden Bildgattung, die in Kalendarien, Stundenbüchern, auf Teppichen oder an den Wänden repräsentativer Wohnräume eine vielfältige Verwendung fand.10 Vordergründig läßt sich auch der Monatszyklus in Baden-Baden in einem unterhaltenden Sinne verstehen. Unter den hauptsächlich traditionellen Szenen sind hier die etwas selteneren Verknüpfungen von Februar und Fastnacht11 sowie von Oktober und Mostgenuß12 hervorzuheben. Andererseits bestanden hintergründige Beziehungen zu den übrigen Wand- und Deckenmalereien. Ihnen allen gemeinsam ist der indirekte Verweis auf eine göttliche Prädestination, die den Ablauf natürlicher, individueller und gesellschaftlicher Lebensprozesse unverrückbaren, aber erkennbaren Regeln unterworfen hat. Deren Befolgung sicherte somit diesseitiges Glück und jenseitige Erlösung.

Wann die Malereien ausgeführt wurden, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Anscheinend entstanden sie erst nach Fertigstellung der Decke und des oberen Wandfrieses (1579; siehe I.3/V). Die Zeit der Oberbadischen Okkupation (1594–1622) läßt sich insofern ausschließen, als Baden-Durlach sein militärisches Einschreiten mit der drohenden Landesverpfändung gerechtfertigt hatte.13 Die angestrebte Sanierung der Finanzen dürfte der Ausgestaltung des Neuen Schlosses 1594 ein vorläufiges Ende gesetzt haben. Da sich aber die erst nach 1622 vorgenommene Ergänzung innerhalb des Markgrafenzyklus auf eine Inschrift bzw. ein Bildnis beschränkt, dürften die Monatsbilder, die ja zwischen den übrigen Porträts angebracht waren, vermutlich schon vor 1594 vollendet worden sein.

Textkritischer Apparat

  1. Muth, Bruchstücke.
  2. teügt von hausz] Ergänzt nach Descr. 176, Descr. 65/10 (teügt hier nachträglich zu zeügt korrigiert), Descr. 47/20, Descr. K 27; ziehen aus Descr. 65/11288 (hier von zweiter Hand mit Bleistift in die verbliebene Lücke nachgetragen); weicht von Hausz Descr. 65/37; fehlt in Bruchstücke; zieht von Haus Descr. Hochf.
  3. frücht Descr. 176.
  4. reich Descr. 176.
  5. Jagt Descr. 176; jagdt Descr. 65/37.
  6. woll Descr. 176.
  7. getröst Descr. 47/20, Descr. 65/10, Descr. K 27.
  8. herbeÿ Descr. K 27; herbei Descr. Hochf.
  9. schlagt Descr. 176.

Anmerkungen

  1. Beschreibung nach Descr. Hochf. (wie unten) 172f.
  2. Vgl. zu den antiken Quellen im Einzelnen Hunger, Lexikon 488–491.
  3. Schweizerisches Idiom im Sinne von „langsam gehen, schlendern“, vgl. Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache, ges. auf Veranstaltung der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich unter Beihülfe aus allen Kreisen des Schweizervolkes, hg. mit Unterstützung des Bundes und der Kantone, begonnen von Friedrich Staub u. Ludwig Tobler u. fortgesetzt unter der Leitung v. Albert Bachmann u. Otto Gröger, Bd. 12, bearb. v. G. Saladin u. a., Frauenfeld 1961, Sp. 1148 (Lemma: täuggen).
  4. Vgl. Archives de la Ville de Strasbourg 1 AST 100/53, T[obias] Stymer (wie unten), abgedr. in Boesch (wie unten) 67–90, hier 68 (sinn/Eyn), 71 (Pfeil/will), 77 (vil/pfeil), 80 (Disciplin/sein), 81 (gmein/sindt; Lieb/weib), 87 (pfeil/will), 89 (will/Zeil).
  5. Vgl. Boesch (wie unten) 67 Anm. 11.
  6. Vgl. Archives de la Ville de Strasbourg 1 AST 100/53, T[obias] Stymer (wie unten), o. S. (Titelblatt), fol. 15r.
  7. Vgl. Gerlinde Strohmaier-Wiederanders, imagines anni. Monatsbilder. Von der Antike bis zur Romantik, Halle 1999, 9–24; s. a. LCI, Bd. 3, Sp. 274–279 (Lit.); Paul Brandt, Schaffende Arbeit und Bildende Kunst im Altertum und Mittelalter, Leipzig 1927, 145–212 (Lit.); ders., Schaffende Arbeit und Bildende Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Leipzig 1928, 17–38.
  8. Vgl. Strohmaier-Wiederanders (wie Anm. 7) 28–32; Heinrich Dormeier, Bildersprache zwischen Tradition und Originalität. Das Sujet der Monatsbilder im Mittelalter, in: „Kurzweil viel ohn’ Maß und Ziel“. Alltag und Festtag auf den Augsburger Monatsbildern der Renaissance, hg. v. Deutschen Historischen Museum Berlin, München 1994, 102–127, hier 102f.
  9. Vgl. Dormeier (wie Anm. 8) 109f.
  10. Vgl. ebd. 111–127, insbes. 122.
  11. Seltene Parallelen dazu bilden die Gobelins in der Münchner Residenz nach Kartons von Peter Candid (1610–1614), vgl. Strohmaier-Wiederanders (wie Anm. 7) 87f., sowie das entsprechende Bild im Festsaal der Abtei Benediktbeuren (Lkr. Bad Tölz-Wolfratshausen), vgl. Anni Wagner, Monatsbilder im alten Festsaal der ehemaligen Benediktinerabtei Benediktbeuern, in: Die Kunst und das schöne Heim 95 (1983) H. 2, 105–112, hier 106f.
  12. Auch nachweisbar in einer Kalenderillustration der Ausgburger Universitätsbibliothek, vgl. Dormeier (wie Anm. 8) 109.
  13. Vgl. zur Oberbadischen Okkupation Einl. Kap. 2, XVIIIf.

Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 371 III† (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0037135.