Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)
Nr. 89 Gernsbach, kath. Pfarrkirche Unserer Lieben Frau um 1470
Beschreibung
Drei Glasscheiben mit einer Kreuzigungsszene. Ehemals im Chorachsenfenster der Gernsbacher St.-Jakobs-Kirche.1 Nach 1775 an die katholische Gemeinde der Liebfrauenkirche verkauft und in ein Südfenster des Chores eingesetzt. Seit dem Umbau von 1830/342 im nördlichen Seitenschiff im dritten, dreibahnigen Fenster von Osten. Hier in der mittleren Zeile innerhalb einer neugotischen Ornamentverglasung von 1894.3 Farbiges Glas, Schwarzlot, Verbleiung. Die drei Scheiben zeigen je eine Figur der Kreuzigungsgruppe. Auf der mittleren, die die beiden übrigen um etwa 30 cm überragt, Christus am Kreuz, flankiert von Sonne und Mond. Oben am Kreuzstamm ein weißes Schriftband mit dem Kreuztitulus (A). Auf der linken Scheibe die Figur Marias im Betgestus. Auf der rechten Johannes Evangelista, der in einem aufgeschlagenen Buch blättert. Auf den drei sichtbaren Seiten das Gebet (B) zwischen dünnen Zeilenlinien. Figuren und Kreuz sind bis auf geringfügige Flickstellen noch original; der gesamte Hintergrund 1894 ergänzt.
Maße: H. 103,5, B. 135,4 Bu. ca. 2 (A), 0,2–0,3 cm (B).
Schriftart(en): Gotische Minuskel (A), Gotische Minuskel mit Versalien und kursiven Elementen (B).
- A
· i · n · r · i ·5)
- B
Deus · in ad/iutoriu(m) me/u(m) · inte(n)de / d(omi)ne · ad ad/[iuvandum] me //a) uestinab)6) / Glori/a · pa[tr]/i · [et filio et spiritui] //a) sancto · Sic/ut · erat in / (prin)cipioc) (et) / (nun)cc) et / (sempe)ṛc) (et) / [. . .]d)7)
Übersetzung:
Gott, stelle dich zu meinem Schutz ein, Herr, eile mir zu Hilfe. Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie von Anbeginn, so jetzt und immer (und in ewige Zeiten). (B)
Textkritischer Apparat
- Übergang auf die nächste Seite des Buches.
- So für festina.
- Der ergänzte Teil des Wortes wird durch das vorherige Blatt im Buch verdeckt und ist deshalb nicht ausgeführt worden.
- Die letzte Zeile durch eine Bleinaht des Fensters zerstört, teilweise auch durch die vorherige Seite perspektivisch verdeckt. Vermutlich trug das verbliebene Feld Buchstaben aus dem letzten Teil der Kleinen Doxologie: „in saecula saeculorum“.
Anmerkungen
- Sämtliche Angaben nach CVMA Dtld. II/1 (Baden/Pfalz) 43–51.
- Vgl. Kdm. Rastatt 157.
- In dasselbe Fenster wurden außerdem drei Scheibenfragmente einer ursprünglichen Farbverglasung der Liebfrauenkirche eingesetzt, vgl. dazu CVMA Dtld. II/1 (Baden/Pfalz) 46f.
- Die Höhenangabe bezieht sich auf die größte Scheibe in der Mitte, die in die obere Fensterzeile hineinragt. Die Breitenangabe ist die Summe aus den Breitenmaßen aller drei Scheiben (je 45 cm).
- Io 19,19.
- PsG 69,2.
- Kleine Doxologie.
- Vgl. CVMA Dtld. II/1 (Baden/Pfalz) 48f.; s. a. nr. 85.
- Vgl. CVMA Dtld. II/1 (Baden/Pfalz) 51.
- Vgl. DACL, Bd. 4.1, Sp. 679f.; Benedictus de Nursia, Regula Benedicti. Die Benediktusregel, lateinisch-deutsch, hg. im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, Beuron 1992, 130, cap. 18 (quo ordine Psalmi dicendi sunt); Officium de conceptione Beate Marie Virginis. Ad matutinas. Ad tertiam horam, in: Heures a lusaige de Romme (…), [Paris 1510], a facsimile edition of the book of hours preserved in the library of the Hungarian Academy of Sciences, Budapest (Ant. 76), first published by Helikon Kiadó, Budapest 1985, [mit einem Kommentar von Csaba Csapodi], Budapest 1985, o. S.
Nachweise
- GLA Karlsruhe N Mone 108, Mone, Aufzeichnungen Murgthal, fol. 47r (erw.).
- RP Karlsruhe (Denkmalpflege), Photoarchiv, Neg.-nr. 5469.
- Langenbach, Gründung der Pfarrei Gernsbach, o. S. (erw.).
- Paul Frankl, [Rezension zu] Paul Frankl: „Peter Hemmel. Glasmaler von Andlau“, in: Kunstchronik 14 (1961) H. 10, 281–286, hier 282 (erw.).
- Kdm. Rastatt 161f. (Abb. 93).
- CVMA Dtld. II/1 (Baden/Pfalz) 51, Taf. 19 (Abb. 60 zu B, 62 zu A).
- Kunitzki, Gernsbach 63 (erw.).
- Marbach, Liebfrauenkirche 11 (Abb.), 17 (erw.).
Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 89 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0008900.
Kommentar
Die Buchstaben in (A) sind an den Schaftenden und an den Brechungstellen mit spitzen Dornen versehen. An der Fahne des r setzt unten ein nach rechts gekrümmter Zierstrich an. Zwischen den Buchstaben sitzen je zwei senkrecht übereinandergesetzte Quadrangel, die durch eine geschwungene Haarlinie miteinander verbunden sind. Inschrift (B) zeigt dagegen eine deutlich lockerere Minuskel mit einzelnen buchschriftlich-kursiven Elementen. Die Versalien weisen deutliche Bogenschwellungen auf. Als Worttrenner dienen Punkte auf halber Zeilenhöhe.
Die von Becksmann vorgeschlagene und hier übernommene Datierung der Glasmalerei resultiert aus dem ursprünglichen Standort der Scheiben in der Gernsbacher St.-Jakobs-Kirche, die zwischen 1467 und 1471 neu errichtet wurde.8 Stilistische Vergleiche lassen darauf schließen, daß man damals offenbar eine Speyerer Werkstatt mit der Anfertigung der Scheiben beauftragte.9
Die hier erstmals edierte Inschrift (B), zusammengesetzt aus einem Psalmzitat und der Kleinen Doxologie, ist ein bereits in der Regula Benedicti vorgeschriebenes und seit dem 8. Jahrhundert belegbares Gebet, das in zahlreichen liturgischen Texten wiederkehrt.10