Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)
Nr. 30 Söllingen (Gde. Rheinmünster), kath. Pfarrkirche St. Mauritius M. 14. Jh., 1385
Beschreibung
Sturz. Ursprünglicher Standort unbekannt. 1884 von dem Söllinger Pfarrer Otto Halter am Gasthaus „Zum Anker“ bezeugt.1 Im Jahre 1941 außen in die Südwand der Pfarrkirche eingelassen.2 Hier befindet sich die Spolie noch heute im Bereich des westlichsten Langhausjoches etwa in Augenhöhe. Sandstein. Querrechteckiger Werkstein. Die Oberkante ist in der Mitte mit einem kleinen, nach oben ausgezogenen Bogen versehen. Die Unterkante weist eine rechtwinklige Aussparung für das Türblatt oder den Fensterrahmen auf. Die Stirnseite wird durch die zeilenweise eingemeißelte historische Nachricht (A) fast vollständig ausgefüllt. In der Mitte der dritten Zeile befindet sich ein einzelner, in den Text von unten hineinragender Buchstabe (B), während das rechtsbündig gesetzte Textende von (A) nur das letzte Zeilenviertel beansprucht. Die rechte Schmalseite des Steins wurde zu unbestimmter Zeit neu angestückt und die Inschrift dabei nicht originalgetreu ergänzt.
Maße: H. 31, B. 98, Bu. 5–6 cm.
Schriftart(en): Gotische Majuskel mit einzelnen Minuskelbuchstaben.
- A
· ANNO · D(OMI)NI · MCCCLX̣[X]/XVa) · CO(N)f(IR)MAtV(M)b) · ESTc) · HOC · CẸ[N]/OBIVMd)
- B
L
Übersetzung:
Im Jahr des Herr 1385 ist dieses Kloster bestätigt worden.
Textkritischer Apparat
- Das zerstörte X nachträglich neu eingemeißelt.
- Rechts über dem f ein rechtsschräg gestellter Kürzungsbalken. Die übrigen Kürzungen nicht gekennzeichnet. Links unter dem V Inschrift (B). consecratum Kraus, Kdm., Gutmann.
- Das E retrograd.
- Die dritte Zeile rechtsbündig. Das offenbar retrograde E teilweise überputzt und falsch nachgearbeitet. Heutiger Befund infolge unsachgemäßer Ergänzung: CRAt/OBIVMM. oratorium M(auritii) Kraus; O[RATORIVM] Kdm., Gutmann.
Anmerkungen
- Vgl. Privatbesitz Patrick Götz, Schwarzach (Gde. Rheinmünster), Postkarte des Söllinger Pfarrers Otto Halter an Karl Reinfried vom 18.6.1884, o. S.: „Bewußte Inschrift vom ‚Anker‘ lautet nach Mittheilung (…).“ S. a. Schmitt (wie unten) 179; Gutmann, Stadtgeschichte Stollhofen 65.
- Vgl. Schmitt (wie unten) 179. In Kdm. (wie unten) wird die Spolie hingegen in der Kirchhofsmauer bezeugt.
- Vgl. Kraus (wie unten); Kdm. (wie unten), hier ohne Hinweis auf die konkrete Schrift des Franz Xaver Kraus.
- Vgl. Wolfgang Müller, Beginen und Inklusen, in: Die Klöster der Ortenau 470–482, hier 481; Gutmann, Stadtgeschichte Stollhofen 62f.
- Vgl. zu den kirchlichen Verhältnissen Landkreis Rastatt, Bd. 2, 452, 456.
- Vgl. zum Abriß der Klostergebäude Marzolff, Baugeschichte 30f.; Scheurer, Abteikirche 11. Zur Errichtung der Pfarrkirche in Söllingen vgl. Schmitt (wie unten) 183–191; Kdm. (wie unten).
- Vgl. zur Gründung und Geschichte der Abtei Schwarzach allg. Einl. Kap. 2.1, XXXI–XXXIII; Landkreis Rastatt, Bd. 2, 446–448; Andermann, Lehnwesen 195f.; Gartner, Frühgeschichte 137–152; Gartner, Kloster Schwarzach 263–341; Benediktinerklöster 574–588.
- Vgl. Niermeyer, Lexicon, vol. 2, 216; Mittellat. Wb., Bd. 2, 775.
- Vgl. Gartner, Kloster Schwarzach 292f.
- Vgl. zu den frühen Steinmetzzeichen allg. Falk Jaeger, Die Steinmetzzeichen des 13. Jahrhunderts in Esslingen: Eine Felduntersuchung, in: Burgen und Schlösser 33 (1992) nr. 2, 72–84; Karl List, Frühe Steinmetzzeichen am Oberrhein, in: Freiburger Diözesanarchiv 105 DF 37 (1985) 5–45.
- Vgl. die Balkensporen am L in nrr. 13, 23, 37, 42, 44, 45, 47.
- Vgl. Gartner, Kloster Schwarzach 292.
Nachweise
- Franz Xaver Kraus, [Lesung der Inschrift], überliefert in: Privatbesitz Patrick Götz, Schwarzach (Gde. Rheinmünster), Postkarte des Söllinger Pfarrers Otto Halter an Karl Reinfried vom 18.6.1884, o. S. (nach Mitteilung von Franz Xaver Kraus, nur A).
- RP Karlsruhe (Denkmalpflege), Photoarchiv, Neg.-nr. 664/62.
- Kdm. Rastatt 348 (Abb. 202).
- Gerhard Schmitt, Heimatbuch Söllingen. Aus der Vergangenheit des Dorfes Söllingen, hg. v. d. Gemeinde Rheinmünster: Ortsteil Söllingen, Elchesheim-Illingen 1986, 47 (erw.), 179 (Abb.).
- Gutmann, Stadtgeschichte Stollhofen 66 (Abb.).
- Kieser u. a., Kunst- u. Kulturdenkmale RA/BAD 320 (erw.).
- Landkreis Rastatt, Bd. 2, 452 (erw.).
- Ernst Gutmann, Die Mutterpfarrei Stollhofen, in: Die Ortenau 85 (2005) 251–260, hier 260 Anm. 24.
Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 30 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0003000.
Kommentar
Die eingemeißelten Buchstaben haben kräftige Kerben und weisen deutliche, teilweise spitz ausgezogene Bogenschwellungen auf. An unzialen bzw. runden Formen erscheinen das geschlossene E, das H, das links geschlossene M sowie das N. Frei auf der Grundlinie endende Bogenenden münden in dünne, hakenförmige Zierlinien. Das pseudounziale A hat einen beiderseits überstehenden Deckbalken. In ANNO mündet sein linker, geschwungener Schrägschaft in eine bis unter die Grundlinie gezogene Zierlinie. Das C und das S sind vollständig geschlossen. Den Balken des L ersetzt ein Balkensporn, und über dem V befindet sich stets ein Punkt. Als Worttrenner dienen kräftige Punkte auf halber Zeilenhöhe.
Das bisherige Verständnis der Inschrift beruht auf einer falschen Lesung Franz Xaver Kraus’, Großherzoglichen Konservators der Altertümer, der den Stein deshalb als Spolie der 1842 abgerissenen St.-Mauritius-Kapelle interpretierte.3 Da jedoch statt ORATORIVM eindeutig CENOBIVM zu lesen ist, steht die Herkunft erneut in Frage. Das dem Ort Söllingen am nächsten gelegene Kloster war – abgesehen von einer kleinen, bereits 1377 nachweisbaren Beginenklause zu Stollhofen4 – die Abtei Schwarzach. Ihr war die Pfarrei Stollhofen und mithin die Filialkirche Söllingen inkorporiert.5 Vielleicht gelangte der Schriftstein nach der Säkularisation und dem anschließenden Abriß der Schwarzacher Klostergebäude als Baumaterial nach Söllingen, wo 1842/43 die gegenwärtige Kirche errichtet wurde.6 Auf den ersten Blick scheint die Inschrift dieser Hypothese zu widersprechen, da die Abtei Schwarzach nicht erst 1385 ihre Bestätigung erhielt.7 Doch kann der Begriff „coenobium“ neben der monastischen Einrichtung und dem Bauwerk auch die Gemeinschaft der Mönche bezeichnen.8 Schwarzach war in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in große finanzielle Schwierigkeiten geraten,9 weshalb es durchaus nachvollziehbar wäre, wenn man dem befürchteten Ansinnen, die Größe des Konvents zu verringern, durch den inschriftlichen Verweis auf eine urkundliche Bestätigung entgegentreten wollte.
Da Inschrift (B) in den Text von (A) hineinragt, dürfte sie bereits früher ausgeführt worden sein. Möglicherweise handelt es sich dabei um ein Steinmetzzeichen oder eine Versatzmarke.10 Der kräftige Balkensporn verrät jedoch, daß der Buchstabe und wohl auch der Sturz nicht lange vor 1385 entstanden sein kann.11 Offenbar ist der Werkstein den um die Mitte des 14. Jahrhunderts vorgenommenen Wiederherstellungsmaßnahmen zuzuordnen, die nach der Zerstörung des Klosters von 1329/30 durch Markgraf Rudolf IV. von Baden in den Streitigkeiten mit Bischof Berthold von Straßburg notwendig geworden waren.12