Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)

Nr. 533 Privatbesitz 1644–1673

Beschreibung

Buckelpokal. Ehemals offenbar im Besitz der Benediktinerabtei Schwarzach.1 Bereits 1740 im Testament des Güstrower Justizrats Johann Friedrich Scheid erwähnt.2 Seither in Familienbesitz. Silber, gegossen, getrieben, graviert, ziseliert, gepunzt, vergoldet. Die schmale, sich nach oben nur mäßig verbreiternde Cuppa ist mit zwei Reihen von je sechs halbkugelförmigen Buckeln versehen. Dazwischen getriebene Blütenornamente. Am Lippenrand sind unter einem Tremolierstich die Nürnberger Beschau3 und ein bisher vermutungsweise dem Nürnberger Goldschmied Bartholomäus Pfister zugewiesenes Meisterzeichen4 eingepunzt. Den in mehrere Abschnitte untergliederten Schaft umfangen zahlreiche feingliedrige Applikationen in Form von volutenförmig gestalteten und mit Perlreihen besetzten Ranken sowie teilweise eingerollten Blättern. Der sich konisch nach unten verjüngende Nodus ist oben ebenfalls mit einer Buckelreihe ausgestattet. Der Fuß nimmt die Gestaltung der Cuppa spiegelbildlich wieder auf, hat aber geringere Ausmaße. Auf der Oberseite seines runden Stehrandes die gleichen Beschau- bzw. Meisterzeichen wie am Lippenrand sowie zusätzlich eine eingepunzte Lilie.5 Auf der Unterseite lediglich ein Tremolierstich. Im Inneren des Fußes wird die Schaftöffnung durch eine kreisrunde Plakette verschlossen. In deren Mitte eine getriebene Blüte, um die in gegenüberliegender Position zwei von je einer Mitra bekrönte und von einem Krummstab hinterlegte Wappen eingraviert sind.

Der ebenfalls gebuckelte Deckel verjüngt sich im Zentrum zu einem stumpfen Postament für eine amphorenartige Vase. Diese enthält als Bekrönung des Kelches einen hohen, bukettartig gestalteten und filigran ausgearbeiteten Blumenstrauß. Im Inneren des Deckels eine zweite Plakette mit sechs eingravierten Wappenschilden. Davon sind fünf in die Bögen eines Fünfpasses eingestellt, während das sechste das Zentrum ausfüllt. In den Bogenzwickeln Lilien, zwischen den Schilden Rosetten. Am Rand die von zwei eingravierten Linien begleitete Umschrift, die jedem Wappen die entsprechende Beischrift zuordnet (A).

An unbestimmter Stelle „auf einem Silberkränzchen“ sollen sich außerdem die Namensinitialen (B) befinden, die jedoch nur nach Zerlegen der einzelnen Kelchbestandteile sichtbar wären.6

Inschrift (B) nach Rosenberg, Merkzeichen.

Maße: H. 63, Dm. 14, Bu. 0,3 cm (A).

Schriftart(en): Kapitalis.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften; Privatbesitz [1/2]

  1. A

    · S(TADT) · BADEN · ETLINGEN:7) · STOLHOFEN: · CVPENHEIM: · STEINBACH · RASTSTAT.

  2. B

    I(OHANNES) R(AVCHWOLFF)a)

Wappen:
Abtei Schwarzach8, unbekannt9;
Stadt Baden10, Stadt Ettlingen11, Gde. Stollhofen12, Stadt Kuppenheim13, Stadt Steinbach14, Stadt Rastatt15.

Kommentar

Die Buchstaben in (A) sind mit deutlichen Sporen versehen und weisen mäßige Bogen- und Linksschrägenverstärkungen auf. Das M ist schwach konisch; sein Mittelteil endet knapp oberhalb der Grundlinie. Die Balkenenden des T sind schräg geschnitten. Als Worttrenner dienen Punkte und Doppelpunkte auf halber Zeilenhöhe.

Der ursprüngliche Zweck des Kelches ist unbekannt. Um die Zeit seiner Herstellung näher einzugrenzen, sind vor allem die Meisterzeichen in Betracht zu ziehen. Bisher spricht nichts gegen die Annahme, daß die Marke mit den Initialen BP auf Bartholomäus Pfister verweist.4 Da er seine Lehre erst 1644 abschloß, kann der Kelch kaum früher entstanden sein. Diese Schlußfolgerung läßt sich gut mit den Lebensdaten des Silber- und Blumenwerkarbeiters Johann Rauchwolff vereinbaren, der 1644 erwähnt wird und 1673 starb.16 Folglich wäre die Entstehung des Kelches auf die Jahre zwischen 1644 und 1673 einzugrenzen. Während dieser Zeit regierten in Schwarzach die Äbte Vinzenz Haug (1643–1649), Placidius Rauber (1649–1660) und Gallus Wagner (1660–1691).17 Die Wappen der beiden letzteren sind bekannt und stimmen mit dem im Kelchfuß nicht überein.18 Falls es sich bei dem zweiten von einem Krummstab hinterlegten Wappen tatsächlich um ein Abtswappen handeln sollte, käme folglich nur Vinzenz Haug in Frage. Da die Abtei am Ende des Dreißigjährigen Krieges oder in den Jahren danach kaum über ausreichend Mittel verfügt haben dürfte, um eine solch aufwendige Schenkung oder Anschaffung zu finanzieren,19 ist davon auszugehen, daß nur die Städtewappen die Stifter bezeichnen, während die beiden separat ausgeführten Schilde auf den Adressaten verweisen bzw. dessen Besitzvermerk darstellen. Eine nachträgliche Montage der einen oder der anderen Plakette scheint aufgrund der äußerst ähnlich gestalteten Schilde und Wappenbilder wenig plausibel. Merkwürdig mutet allerdings an, daß man der Abtei statt eines liturgischen Meßkelches einen weltlichen Pokal übertrug. Immerhin erhielt auch das Kloster Lichtenthal im Jahre 1596 einen gebuckelten Doppelbecher als Geschenk.20 Wann und warum die Arbeit schließlich in den Besitz der Familie Scheid überging, ist nicht überliefert. Doch wird der ehemalige badische Kommissar Johann Kaspar Scheid 1650 und um 1660 mehrfach als Gläubiger des Klosters genannt, als er Kredite von mehreren hundert Gulden vergab bzw. einforderte.21 Möglicherweise beglich die Abtei eine ausstehende Schuld durch die Verpfändung des Pokals, den sie später nie mehr auslöste.22

Textkritischer Apparat

  1. Auflösung nach Identifizierungsvorschlag in Wappenbuch Lkr. Bühl 151. Zur Person vgl. Anm. 16.

Anmerkungen

  1. Erschlossen aus dem entsprechenden Wappen; s. a. Kommentar.
  2. Vgl. H. Maier, Der Stammbecher der Familie Scheid, 1972, o. S. (unveröff. Typoskript in Privatbesitz).
  3. Vgl. Rosenberg, Merkzeichen, Bd. 3, 24 nr. 3736.
  4. Vgl. Marke nr. 78; siehe dazu Rosenberg, Merkzeichen, Bd. 3, 221f. nr. 4226. Zu Leben und Werk siehe ThB, Bd. 26, 532; Ernst Kris, Meister und Meisterwerke der Steinschneidekunst in der italienischen Renaissance, Wien 1929 (ND 1979), 191 nr. 636.
  5. Vermutlich der Straßburger Einfuhrstempel zur Beschau geringhaltiger Fremdware, vgl. Rosenberg, Merkzeichen, Bd. 4, 318f. nrr. 6950–6952.
  6. Vgl. ebd., Bd. 3, 221 nr. 4226, hier die Herstellungstechnik mit „eingraviert?“ angegeben. In Maier (wie Anm. 2) 12 „an der unteren Seite des silbernen Blätterkranzes“ lokalisiert.
  7. Ettlingen (Lkr. Karlsruhe).
  8. Schlüssel und Schwert schräggekreuzt.
  9. Ein schräggelegter Krummstab. Das Wappen des im Datierungszeitraum amtierenden Schwarzacher Abtes Vinzenz Haug ist nicht bekannt, vgl. Kommentar. Vielleicht kommt auch das Wappen der Abtei Alpirsbach (Gde. Lkr. Freudenstadt) in Betracht, vgl. Benediktinerklöster 123.
  10. Im Zentrum der Plakette. Ein Schrägbalken.
  11. Gespalten: vorn ein Schrägbalken, hinten ein schwebender Zinnenturm.
  12. Gespalten: vorn ein Schrägbalken, hinten ein senkrecht gestellter Schlüssel.
  13. Gespalten: vorn ein Schrägbalken, hinten ein senkrecht gestellter Doppelhaken.
  14. Ein Mühlstein.
  15. Gespalten: vorn ein Schrägbalken, hinten eine Weinleiter.
  16. Vgl. Rosenberg, Merkzeichen, Bd. 3, 195 nr. 4157; Wappenbuch Lkr. Bühl 151.
  17. Vgl. Gartner, Kloster Schwarzach 341.
  18. Zum Wappen Placidius Raubers vgl. nr. 530; zu dem Gallus Wagners vgl. Reinfried, Geschichte Schwarzach (1892) 62 (ein Rad).
  19. Vgl. zum Zustand des Klosters am Ende des Dreißigjährigen Krieges Gartner, Kloster Schwarzach 325f.
  20. Vgl. nr. 402.
  21. Vgl. Gerettete Wahrheit, Bd. 1, 329 § 400 N 372 (1650); GLA Karlsruhe 65/600, Gallus Wagner, Diarien, vol. 3, fol. 82v, 92r, 193r, 288r; GLA Karlsruhe 65/606, Wagner, Comportata, vol. 2, 1244.
  22. Diese Annahme und die archivalischen Belegstellen in Anm. 21 verdanke ich einem Gespräch mit dem derzeitigen Besitzer. Für Placidus Rauber ist der notgedrungene Verkauf verschiedener liturgischer Geräte im Jahre 1648 belegt, vgl. Gartner, Kloster Schwarzach 327f.; ders., Benediktinerabtei Schwarzach 266.

Nachweise

  1. Rosenberg, Merkzeichen, Bd. 3, 221 nr. 4226 (nur B).
  2. Aufgang der Neuzeit. Deutsche Kunst und Kultur von Dürers Tod bis zum Dreissigjährigen Kriege 1530–1650 [Kat. zur Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg], Bielefeld 1952, 61 nr. J 135 (erw.).
  3. Wappenbuch Lkr. Bühl 33 (Abb.).
  4. Stadtgesch. Inst. Bühl o. Sig., Photoarchiv, Gruppe 4, Kirchen, Klöster, l) andere Gemeinden, 182.) Schwarzach a.) Kloster 2.) Innen, Repro R 56 (Gesamtaufn. v. 1964); Gruppe 25, Heraldik, c.) Wappen Geistlicher 1.) Abtei Schwarzach, Repro R 56 (Aufn. der Innenseite des Kelchfußes v. 1964).

Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 533 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0053306.