Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)

Nr. 478 Durmersheim, kath. Pfarrkirche St. Dionys 1620

Beschreibung

Epitaph für Ursula Dorothea von Höfingen. Im westlichen Vorraum zum Kirchenschiff an der Südwand im Mauerwerk. Hier nicht in situ;1 der ursprüngliche Standort unbekannt. Sandstein. Hochrechteckige Platte mit einer umlaufenden, von zwei Stegen gerahmten Randleiste. Darin der eingemeißelte Sterbevermerk (A). Die schwach eingeritzte Hilfslineatur des Steinmetzen ist teilweise noch sichtbar. Im Binnenfeld die reliefierte Gestalt des verstorbenen Kindes im Profil. Es hat die Haare zu Kränzen geflochten, trägt eine Halskrause und betet kniend den rechts neben ihm ausgeführten Kruzifixus an, dessen Korpus vollplastisch wiedergegeben ist. Das rechte Ende des Kreuzquerbalkens ragt in den Sterbevermerk hinein und unterbricht diesen. Über dem Haupt Christi der ebenfalls eingemeißelte Kreuztitulus (B) auf einem geschwungenen Schriftband. In den Ecken des Binnenfeldes vier reliefierte Ahnenwappen; dabei liegen die beiden unteren auf dem inneren Begrenzungssteg der Randleiste auf, wodurch Inschrift (A) unterbrochen wird.

Maße: H. 86, B. 55, Bu. 1,5–2 cm.

Schriftart(en): Fraktur und Humanistische Minuskel (A), Kapitalis (B).

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/1]

  1. A

    De(n) 1 Feb(ruarii)a) A(nn)ob) 1620 ist d(es) Wol Edle(n) Gestr(engen)a) / Heinrich Tru//chsesenc) v(on) Höfingen F(irstlich)d) M(arg)g(rävisch)a) Bad(ischen)a) / Vorstmaisters zu Durmersh(eim)e) / 3tes Töchterli(n) Vrsula Dorothea i(n) Gott seelig e(n)tschlaffe(n) irs alt(ers)a) 46 W(ochen)a) 2 t(age)a)

  2. B

    I · N · R · I ·2)

Wappen:
Truchseß von Höfingen3Fetzer von Oggenhausen
GemmingenGültlingen4.

Kommentar

Innerhalb der sorgfältig gehauenen Frakturinschrift (A) ist nur das Wort A(nn)o in Humanistischer Minuskel ausgeführt. Der Bogen des D ist auf der Grundlinie gebrochen und hat keine Verbindung zum geschwungenen Schaft. Das F besitzt einen schaftparallelen Zierstrich. Der Bogen des H mündet unter der Grundlinie in eine Schleife. Der Schaft des T ist stark nach links durchgebogen. In Truchsesen durchschneidet ein rechtsschräg gestellter Zierstrich den gesamten Buchstaben. In Töchterli(n) ist dieser stark verkürzt und durchkreuzt in senkrechter Position nur den rechten Balkenabschnitt. Das u ist stets mit einem geschwungenen und linksschräg gestellten diakritischen Bogen ausgestattet. Das N im Kreuzestitulus (B) weist eine leichte Linksschrägenverstärkung auf. Die Cauda des R ist kurz und stachelförmig, die 6 spitzoval und der Balken der runden 2 linksschräg gestellt. Als Worttrenner dienen Quadrangel auf halber Zeilenhöhe.

Die Besonderheiten der Schrift und die künstlerische Ausführung des Grabmals verweisen auf die Leonberger Werkstatt des Bildhauers Jeremias Schwartz.5 Dieser hatte bereits 1582 für die als Säugling verstorbene Ursula Amalia, eine Tochter des Hans Truchseß von Höfingen und eine Schwester des Durmersheimer Forstmeisters, ein Epitaph geschaffen, das sowohl in Größe und Format als auch in der Aufteilung von Inschrift, Wappen und Figuren der Durmersheimer Arbeit stark ähnelt.6 Während das ältere Stück zweifellos zum Oeuvre des Meisters selbst zu zählen ist, läßt sich das jüngere seiner Hand nur unsicher zuweisen. Zwar finden sich für den unproportional großen Kopf der Figur einige Parallelen auf anderen Kindergrabmälern des Bildhauers,7 doch bricht diese Eigenheit in der Tradition der Werkstatt auch nach dessen Tod im Jahre 1621 nicht vollends ab.8 Ebenso variieren die Schriftformen sowohl vor als auch nach diesem Zeitpunkt.9 Stilistisch nah verwandt sind die Kruzifixe innerhalb der Wandgrabmäler für die Familie des Jakob Korn (1618) in Leonberg (Lkr. Böblingen) sowie für Leonhard Breitschwerdt und seine Ehefrauen in Bietigheim (1619; Gde. Bietigheim-Bissingen, Lkr. Ludwigsburg).10 Auf dem Leonberger Epitaph ist der Frisur der Ehefrau überdies ein geflochtener Haarkranz aufgelegt, wie er auch in Durmersheim ausgeführt ist. Da das Grabmal des Jakob Korn als ein Hauptwerk aus der Spätzeit des Jeremias Schwartz gilt, läßt sich ihm zumindest die bildnerische Gestaltung des Kinderepitaphs ebenfalls zuweisen. Auch die Buchstabenformen sind in vielen Details recht ähnlich, so z. B. die Schleife am H-Bogen. Dennoch besteht hinsichtlich der Schrift eine noch engere Beziehung zu dem Leonberger Epitaph für Maria Lindlin, das erst 1622 entstand und folglich nicht mehr von Jeremias Schwartz selbst angefertigt worden sein kann.11 Während in dem Bibelzitat auf dem Kornschen Wandepitaph Schaft und Bogen des D in der für Jeremias Schwartz typischen Ausformung ineinander übergehen,12 sind sie hier und in der Durmerheimer Grabschrift deutlich getrennt. Auch die übrigen charakteristischen Buchstaben sind nahezu identisch wiedergegeben. Eine besondere Bedeutung kommt daneben dem T zu, das auf Werken des Jeremias Schwartz in der Regel einen gebrochenen und oben geschwungenen Schaft besitzt und damit von der oben beschriebenen Form abweicht.13 In identischer Form erscheint es hingegen auf den Epitaphien für Ursula Sibylla von Janowitz (nach 1641) sowie für das Ehepaar Johann und Margareta Klein in der Leonberger Stadtkirche (1646), die beide in der mit „Leonberg II“ bezeichneten Werkstatt unter den Söhnen des Jeremias Schwartz angefertigt wurden.14 Insofern darf man das Durmersheimer Grabmal mit einiger Wahrscheinlichkeit als eines der letzten eigenhändigen Werke des Altmeisters betrachten, das aber von Angehörigen seiner Werkstatt beschriftet wurde.

Heinrich, der Vater des Kindes, war ein Sohn des Hans Truchseß von Höfingen.15 Seine erste Ehe schloß er 1571 mit Sibylla von Gemmingen-Steinegg, eine Tochter des Eitel Dietrich von Gemmingen und der Amalia Adelmann von Adelmannsfelden.16 Nach deren Tod verheiratete er sich mit Anna Regina Fetzer von Oggenhausen, mit der er die Töchter Sibylle Barbara und Ursula Dorothea hatte. Nach 1620 ist er zu unbestimmter Zeit zum fürstlich markgräflichen Jäger und Forstmeister zu Pforzheim berufen worden. In dieser Funktion starb er am 6. Dezember 1631 und wurde in der Pforzheimer Schloßkirche bestattet.17

Textkritischer Apparat

  1. Abkürzung durch Doppelpunkt.
  2. Buchstaben in Humanistischer Minuskel ausgeführt; Abkürzung durch waagerechten Strich mit Ausbuchtung nach oben.
  3. Unterbrechung durch den hineinragenden Balken des Kruzifixes.
  4. Abkürzung durch eine Schleife mit Abschwung und einen zusätzlichen Doppelpunkt.
  5. Der Bogen des h zur Kennzeichnung der Kürzung im Unterlängenbereich als Schleife ausgeführt.

Anmerkungen

  1. Die Durmersheimer Pfarrkirche wurde in den Jahren 1829/30 nach Plänen Johann Ludwig Weinbrenners und Wilhelm Frommels neu errichtet, vgl. Kieser u. a., Kunst- u. Kulturdenkmale RA/BAD 161; Kdm. Rastatt 52.
  2. Io 19,19.
  3. Linksgewendet.
  4. Der erste Adler hier linksgewendet, vgl. dazu DI 47 (Böblingen) nr. 293 (Abb. 135).
  5. Vgl. zu Jeremias Schwartz und seiner Werkstatt Volker Trugenberger / Anneliese Seeliger-Zeiss, „ein seliges end und fröhliche ufferstehung“. Die Leonberger Grabmäler des Bildhauers Jeremias Schwartz in ihrer sozial- und kunstgeschichtlichen Bedeutung, mit einer Studie v. Eberhard Walz zur frühen Baugeschichte der Stadtkirche, Leonberg 1998, passim (Lit.); DI 47 (Böblingen) XXXVIf., XLIII.
  6. Vgl. DI 47 (Böblingen) nr. 237 (Abb. 101). Zur Abkunft des Forstmeisters siehe unten und Anm. 15.
  7. Vgl. z. B. die Grabdenkmäler für die Kinder des Jakob Korn und der Anna Breitschwerdt (1604) in der Stadtkirche zu Leonberg (Lkr. Böblingen), vgl. DI 47 (Böblingen) nr. 308; Anneliese Seeliger-Zeiss, Die Grabmäler in der Evangelischen Stadtkirche – Standorte, Bildtafeln, Inschriften, in: Trugenberger/Seeliger-Zeiss (wie Anm. 5) 59–96, hier 69f. (Abb.), oder für Ernst Christoph Leutrum von Ertringen (1614) in der Pfarrkirche zu Niefern (Enzkreis), vgl. DI 22 (Enzkreis) nr. 329 (ohne Abb.).
  8. Vgl. z. B. den zwar nicht ganz so großen, aber dennoch überdimensionierten Kopf auf dem Epitaph für Johann Bernhard und Johann Jakob Puck (1625) in DI 47 (Böblingen) nr. 371 (Abb. 161). Zum Todesdatum des Jeremias Schwartz vgl. Anneliese Seeliger-Zeiss, Leonberger Grabmäler des Bildhauers Jeremias Schwartz und seiner Nachfolger, in: Trugenberger/Seeliger-Zeiss (wie Anm. 5) 97–150, hier 108.
  9. Vgl. das Werkverzeichnis in Anneliese Seeliger-Zeiss, Werkverzeichnis des Jeremias Schwartz im Überblick, in: Trugenberger/Seeliger Zeiss (wie Anm. 5) 151–156. Bezüglich der Schriftvarianten bereits vor 1621 siehe insbesondere die Grabdenkmäler für Christoph und Dorothea Engelhart (1603), für die Familie des Jakob Korn (1618) in Leonberg, vgl. DI 47 (Böblingen) nrr. 298 (Abb. 133), 356 (Abb. 356), sowie für Johann Leonhard Braitschwert und seine beiden Frauen (1619) in Bietigheim (Gde. Bietigheim-Bissingen, Lkr. Ludwigsburg), vgl. DI 25 (Ludwigsburg) nr. 591 (Abb. 148). Für die Zeit nach 1621 vgl. die Grabmäler DI 47 (Böblingen) nrr. 362 und 371 (Abb. 161), 402 (Abb. 179), 410 (Abb. 177).
  10. Vgl. DI 47 (Böblingen) nr. 356 (Abb. 159); DI 25 (Ludwigsburg) nr. 591 (Abb. 148).
  11. Vgl. DI 47 (Böblingen) nr. 362 (Abb. 161).
  12. Vgl. z. B. die Grabmäler für Christoph und Dorothea Engelhart (1603) sowie die Familie des Jakob Dreher (1607) in DI 47 (Böblingen) nrr. 298 (Abb. 133), 320 (Abb. 139f.).
  13. Vgl. wie Anm. 12; s. a. DI 25 (Ludwigsburg) nr. 591 (Abb. 148).
  14. Vgl. DI 47 (Böblingen) nrr. 402 (Abb. 179), 410 (Abb. 177).
  15. Sämtliche biographische Angaben nach DI 57 (Pforzheim) nr. 240; s. a. Heinrich C. Birnbaum, Die Truchsessen von Höfingen 969–1739. 750 Jahre im Dienste Württembergs, Leonberg-Höfingen 1992, 149.
  16. Vgl. C. W. F. L. Stocker, Familien-Chronik der Freiherren von Gemmingen, Heilbronn 1895, 319f.; ders., Chronik der Familie von Gemmingen und ihrer Besitzungen, Bd. 3: Die Linie von Gemmingen-Hagenschieß, Heilbronn 1880, 21f., 24.
  17. Vgl. DI 57 (Pforzheim) nr. 240 (Abb. 158).

Nachweise

  1. RP Karlsruhe (Denkmalpflege), Photoarchiv, Neg.-nr. 01922 (Photo Wilhelm Kratt).
  2. GLA N Mone 105, Mone, Aufzeichnungen östl. Obere Hard, fol. 70v.
  3. Naeher, Umgebung Karlsruhe, Bl. 8.
  4. Neumaier, Marktflecken 95.
  5. Kdm. Rastatt 54.
  6. Gerhard Hoffmann / Franz Kreppelt / Irmgard Stamm, Landkreis Rastatt. An Rhein und Murg, hg. v. Landkreis Rastatt, Karlsruhe 1990, 58 (Abb.).
  7. Burkhart, Durmersheim 233 (Abb. 33).

Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 478 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0047800.