Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)

Nr. 131 Baden-Baden, Seufzerallee 1500?

Beschreibung

Wappentafel am Ölberg. Südöstlich vom Chor der altkath. Pfarrkirche (ehem. Spitalkirche) mehrere Heiligenfiguren vor felsiger Kulisse im Freien. Ende August 1984 wegen des Baus der Caracalla-Therme vom ehemaligen, etwa 15 m weiter nördlich gelegenen Standort abgetragen und eingelagert.1 Nach Fertigstellung des Bades an heutiger Stelle wiedererrichtet. Rötlicher (Felsenquader) und gelblicher (Figuren) Sandstein. Aus großen Blöcken und Platten zusammengesetzter Hügel, der auf der Südseite zu einem Plateau abgeflacht ist. Hier im westlichen Bereich die Skulpturen der Jünger Johannes und Jakobus d. J., die mit dem Rücken an die Wand gelehnt in sitzender Haltung ruhen. Vor ihnen – auf etwas tieferem Bodenniveau ausgetreckt – schläft Petrus, den Kopf auf seine Linke gestützt und das Schwert mit der Rechten sichernd. Allen Aposteln ist ein Buch beigegeben. Östlich von ihnen abgewendet die kniende Figur Christi. Er betet vor einer aufgetürmten Felswand, auf der ein im 19. Jh. erneuerter Engel steht.2 Zwischen den Blöcken der südöstlichen Ecke eine querrechteckige Tafel. Im eingetieften Binnenfeld zwei zueinandergekehrte Eheallianzwappenschilde im Halbrelief. Auf der schmalen Rahmenleiste die eingemeißelte, heute fast vollständig verwitterte Stifterinschrift, die links auf halber Höhe einsetzt, sich auf dem oberen Rand fortsetzt und erst innerhalb des rechten Randabschnitts endet. Die Figuren wurden stellenweise ergänzt.2

Maße: H. 59, B. 79,5,3 Bu. 2,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien (?).

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/2]

  1. Ạ(ṇṇ)ọa) · ṃc̣vb) · / Ḥạṭ [· . . . . . .]c) · vo(n) ·d)ijp̣p̣(ẹṛ)g̣e) · dis · Werck · lasen · / machen ·

Wappen:
Neipperg, Stöffeln.

Kommentar

Der starke Verwitterungsgrad der Inschrift gestattet lediglich die Feststellung, daß die Oberlängen deutlich aus dem Mittelband hervorragen. Der obere Schaftabschnitt des d knickt oberhalb des Mittellängenbereiches nach links um. Das H scheint in unzialer Form ausgeführt zu sein; das W hat geschwungene Schrägschäfte. Die quadrangelförmigen (?) Worttrenner sitzen auf halber Zeilenhöhe.

Aus den Eheallianzwappen der Tafel wurde bisher stets geschlossen, daß Wilhelm von Neipperg und seine Frau Margarete von Stöffeln die Stifter der Ölberg-Anlage waren.4 Wilhelm, geb. 1430, bekleidete zahlreiche badische Ämter und wurde 1475 zum Landhofmeister ernannt.5 Seither zählte er zu den einflußreichsten und vertrautesten Beratern Markgraf Christophs, den er durch sein politisches Geschick, aber auch durch seine verwandtschaftlichen Beziehungen zum pfälzischen Hof sehr erfolgreich zu vertreten und zu stärken wußte.6 Er starb im Sommer des Jahres 1498 und soll vor dem Altar der Klosterkirche zu Tennenbach (Stadt Emmendingen) bestattet worden sein.7

Obwohl diese Interpretation der Wappentafel durchaus denkbar ist, könnten die Wappenschilde aber auch auf die Abkunft bzw. die Eltern eines unverheirateten Stifters verweisen. Diese Möglichkeit ist um so mehr in Betracht zu ziehen, als die Inschrift bei starkem Streiflicht noch die Jahreszahl 1500 in römischen Zahlzeichen mit hochgestelltem Exponenten preiszugeben scheint. Leider läßt der Verwitterungszustand eine Lesung in wünschenswerter Zuverlässigkeit nicht mehr zu. Sollte die Tafel und mithin der Ölberg aber tatsächlich erst in diesem Jahre gestiftet worden sein, so kämen auch Wilhelms Söhne Ludwig I. und Georg Wilhelm von Neipperg als Urheber in Betracht.8 Ersterer blieb offenbar unverheiratet und starb im Jahre 1516 ohne Nachkommen. Sein Bruder, genannt der Schwarze, heiratete erst 1501 Anna Barbara von Schwarzenberg, so daß die Verwendung der elterlichen Wappen im Jahre 1500 auch noch für ihn denkbar ist. Leider ist die entsprechende Stelle der Inschrift nach Hat · zu stark verwittert, um hier noch entsprechende Buchstaben ausmachen zu können; allerdings scheint der Platz nur für einen Vornamen auszureichen.

Mit der inschriftlichen Jahresangabe läßt sich die bisherige kunstgeschichtliche Datierung des Ölbergs (um 1500) gut vereinbaren.9 Die Vorlage bildete offenbar ein Kupferstich Martin Schongauers (ca. 1450–1491).10 Anscheinend stand die Errichtung der Anlage im Zusammenhang mit den umfangreichen Baumaßnahmen auf dem Spitalgelände, die um 1453 einsetzten. Damals ordnete Markgraf Jakob I. den Bau der Gottesackerkapelle Mariä Gnaden-Bronn an.11 1467 fertigte Nikolaus Gerhaerts den heute im Chor der Stiftskirche befindlichen Kruzifixus, der ursprünglich in unmittelbarer Nähe aufgestellt war.12 Bis 1478 hatte man schließlich auch die Spitalkirche wiedererrichtet.13 Außerdem zeigt eine in Stein geschnittene vera icon, die lange Zeit am Eingang des Alten Friedhofes zu sehen war, die inschriftliche Jahreszahl 1489.14 Über den ausführenden Meister des Ölbergs ist nichts Näheres bekannt. Möglicherweise handelt es sich um einen Sohn Nikolaus Gerhaerts’ namens Peter, der nach 1489 in den Badener Zinsbüchern als „Bildschnyder“ genannt wird.15

Textkritischer Apparat

  1. Das o offenbar kleiner ausgeführt und hochgestellt, der Befund ist allerdings auch durch eine Beschädigung sehr unsicher. Ein zusätzlicher Textverlust vor dem Wort ist nicht auszuschließen.
  2. Die obere Hälfte des m beschädigt, das hochgestellte v anscheinend wie ein kleiner Kapitalisbuchstabe ausgeführt. Befund unsicher.
  3. Verloren ist offenbar der Vorname des Stifters, der anscheinend mit einem Versal einsetzte.
  4. Die obere Steinschicht ist um den Worttrenner in Form eines Hochovals abgeplatzt.
  5. Das N in der Form des Minuskelbuchstaben identifizierbar, dessen Schäfte leicht nach innen eingebogen sind.

Anmerkungen

  1. Vgl. zur Versetzung des Denkmals folgende Presseartikel: Karl Reinbothe, Ölberg am Augustabad soll der neuen Therme weichen, in: BNN nr. 55 vom 8.3.1983; Jutta Manz, Ölberg wird verlegt, in: BT vom 14.8.1984; uk., „Ölberg“ kommt in Lagerhalle, in: BNN nr. 200 v. 29.8.1984.
  2. Vgl. Kdm. Baden-Baden 188.
  3. Maße der Wappentafel. Größe der gesamten Anlage: H. ca. 500, B. 630, T. 315 cm.
  4. Vgl. Kdm. Baden-Baden 188; Kieser u. a., Kunst- u. Kulturdenkmale RA/BAD 60; Robert Erhard, Wilhelm von Neipperg stiftete im 15. Jahrhundert den „Ölberg“, in: BT vom 3.4.1980; ders., Der Ölberg auf dem Alten Spitalfriedhof, in: BNN vom 8.4.1982. Zum Leben und politischen Wirken Wilhelms von Neipperg vgl. Kurt Andermann, Zwischen adliger Herrschaft, fürstlichem Dienst und drohender Landsässigkeit. Die Vettern Engelhard und Wilhelm von Neipperg, in: ZGO 146 NF 107 (1998) 159–196, insbes. 180–192. Zur Genealogie vgl. Europ. Stammtafeln NF, Bd. 5, Taf. 74, 76.
  5. Vgl. dazu im Einzelnen Andermann (wie Anm. 4) 182f. mit den entsprechenden Quellenangaben. Zum Amt des Landhofmeisters vgl. Gerhard Seeliger, Das deutsche Hofmeisteramt im späten Mittelalter, Innsbruck 1885, passim.
  6. Vgl. dazu im Einzelnen Andermann (wie Anm. 4) 184f. Sowohl Wilhelms Vetter Engelhard als auch sein Bruder Reinhard standen in pfälzischen Diensten.
  7. Vgl. Andermann (wie Anm. 4) 191f., Oberbad. Geschlechterbuch, Bd. 3, 195.
  8. Vgl. zu den Söhnen Wilhelms von Neipperg Europ. Stammtafeln NF, Bd. 5, Taf. 76 sowie die Stammtafel des mediatisierten Hauses Neipperg (Stammtafeln der mediatisierten Häuser 11), o. O. 1899, Taf. 5.
  9. Vgl. zu den kunstgeschichtlichen Datierungsvorschlägen Kdm. Baden-Baden 188; Kieser u. a., Kunst- u. Kulturdenkmale RA/BAD 60.
  10. Vgl. Martin Schongauers Passionszyklus in Martin Schongauer. Druckgraphik im Berliner Kupferstichkabinett, hg. v. Hartmut Krohm u. Jan Nicolaisen, Berlin 1991, 96f., 163 (Abb. 15).
  11. Vgl. Kdm. Baden-Baden 180; s. a. nr. 70.
  12. Vgl. nr. 84.
  13. Vgl. Kdm. Baden-Baden 196.
  14. Vgl. nr. 113.
  15. Vgl. Haebler, Geschichte, Bd. 1, 73.

Nachweise

  1. GLA Karlsruhe N Mone 109, Mone, Aufzeichnungen Oosthal, fol. 114v (erw.).
  2. RP Karlsruhe (Denkmalpflege) I/56b, Fragebögen (1882), Antwortschreiben vom Bürgermeisteramt Baden vom 4.5.1883 (gez. Haug), o. S. (hier erw. unter Angabe der Jz. 1575).
  3. RP Karlsruhe (Denkmalpflege), Photoarchiv, Neg.-nrr. 2462/16, 17; 2890.
  4. Rott, Baden-Baden 53 (erw.).
  5. Sauer, Kunst 378 (erw.).
  6. Spitz u. a., Beiträge 46 (erw.; das hier genannte Entstehungsjahr 1422 abwegig).
  7. Kdm. Baden-Baden 188f. (Abb. 141f.).
  8. Haebler, Geschichte, Bd. 1, 73, 83 (erw.).
  9. Dieter Bäuerle u. a., Stadtführer Baden-Baden: Altstadt, Villen, Allee (Beiträge zur Geschichte der Stadt und des Kurortes Baden-Baden NF 4), Baden-Baden 1994, 51f. (erw.).
  10. StdtA Baden-Baden o. Sig., Dokumentation Kleindenkmale, OZ 34, Flurstück-nr. 22 (erw.).
  11. RP Karlsruhe (Denkmalpflege) o. Sig., Liste der Kulturdenkmale, Teil A 1, unbewegliche Bau- und Kulturdenkmale, Stadtkreis Baden-Baden, Ortsteil: Baden-Baden, Römerplatz bei Spitalkirche, Lagebuch nr. 761, o. S. (erw.).
  12. Kieser u. a., Kunst- u. Kulturdenkmale RA/BAD 60f. (Abb.).
  13. Coenen, Aquae 128 (Abb. 57).

Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 131 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0013102.