Inschriftenkatalog: Aachen (Dom)
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 31: Aachen (Dom) (1992)
Nr. 99† Dom 1535
Beschreibung
Marienglocke. 1656 im Stadtbrand untergegangen.1) Wo der sehr lange Text angebracht war, ist unbekannt.
Wortlaut nach à Beeck.
- A
cur mihi sacrificus mariae ter amabile nomenindiderit, si me, lector amice, roges:vox mihi dulcis erat, dulci famulaberis, inquit,nymphae, quam referes nomine, voce, tono.hinc simul atque meus liquidum ferit aethera clangor,in Mariae laudes excito corda pia.protinus horrisono nubes quae grandine terrentagricolas, sonitu dissipo laeta meo,oderit haereticus, metuant cacodoemones, hanc, quaevirgo deum genuit, jugiter ipsa canam.a)
- B
Joannes cognomento Trevir huius regiae urbisb) Aquarum civis me fudit anno domini 1535 mense novemb(ris) Paulo tertio pontifice max(imo) et Carolo V caesaremc) moderantibus
Übersetzung:
Wenn du mich, geliebter Leser, fragst, warum mir der Weihende den dreifach lieblichen Namen Maria gegeben habe, so antworte ich: Seine Stimme war mir lieblich; du sollst, sprach er, mit Namen, Stimme und Ton der lieblichen Nymphe dienen, deren Namen du trägst. Daher errege ich, sobald mein Klang in den flüssigen Äther dringt, fromme Gemüter zum Lobe Mariens. Ferner zerstreue ich fröhlich die Wolken, welche mit Hagel die Einöde bedrohen, mit meinem schrecklichen Ton. Der Ketzer möge ihn hassen, und die bösen Geister mögen ihn fürchten, ich selbst aber werde stets diejenige besingen, welche als Jungfrau Gott geboren hat. Johannes mit Beinamen der Trierer, ein Bürger dieser königlichen Stadt Aachen, hat mich gegossen im Jahre 1535 im Monat November unter der Regierung des Papstes Pauls III. und des Kaisers Karls V.
Versmaß: Elegische Distichen (A).
Textkritischer Apparat
- Ende des bei Noppius überlieferten Textes.
- sedis KDM, Boeckeler.
- Sic! caesare KDM, Boeckeler.
Anmerkungen
- 1659 wurde die Marienglocke neugegossen, wobei die Inschrift mit Ausnahme des Datums- und Gießervermerks beibehalten wurde. Diese neue Glocke zerbrach 1818 und wurde 1881 umgegossen.
- à Beeck, p. 53. Vgl. Opus epistolarum Des. Erasmi Rotterodami, III, Nr. 972; IV, Nr. 993, 1170.
- Offergeld, S. 676f.
- Erasmus nimmt darauf in seinen Briefen Bezug (Opus epistolarum T. IV, Nr. 1169f.). Vgl. Contemporaries of Erasmus Bd. 3, S. 119f.
- Testamentarisch hatte er seine Beisetzung in der Nikolauskapelle verfügt (DomA VI. 4. Nr. 7). Dort hing auch sein Epitaph, das aber nicht erhalten ist. HStAD Aachen Marienstift, Akten 11 d, f. 133: „Anno 1588 Nov. wie auch renovatio der taffeln venerabilis Domini Pricardi pie memoriae in s. Nicolao hangende gratiose von Ehrw. herrn bewilliget und geschenkt worden X Thlr. apud peculium zu empfangen.“
- Boeckeler, a. a. O.
- Lichius, Verfassung, S. 23.
- DomA V. 5.1.: „Eaque sola ad visendas reliquias tempore iubilei nostri populum invitabat“.
Nachweise
- à Beeck, p. 53.
- Noppius, S. 27.
- KDM 10, 1, S. 191.
- Boeckeler, Beiträge, S. 30, 136.
Zitierhinweis:
DI 31, Aachen (Dom), Nr. 99† (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di031d001k0009901.
Kommentar
Die Inschrift entspricht zwar inhaltlich mit der Nennung des Namens, der Funktion sowie des Gießers der Glocke durch diese selbst den üblichen Glockensprüchen, hebt sich durch ihre Länge und die sprachliche Form aber erheblich von diesen ab. Der Text ist durch den antikisierenden Sprachgebrauch und die Wahl des Versmaßes stark humanistisch geprägt. Es überrascht daher nicht, daß à Beeck den Aachener Kanoniker und Briefpartner des Erasmus von Rotterdam, Leo Priccard, als Verfasser der Inschrift nennt.2) Priccard studierte in Paris, wo er 1492 den Abschluß als Baccalarius und im folgenden Jahr als Magister Artium machte.3) 1518 traf er erstmals mit Erasmus zusammen, der ihn zwei Jahre später auf der Reise von Köln nach Löwen in Aachen besuchte.4) Er starb am 18. oder 19. April 1541.5) Priccard kommt auch als Verfasser des zweiten Epitaphtextes für Johannes Pollart in Frage (vgl. Nr. 94).
Der Gießer Johannes von Trier goß 1535 auch die Johannesglocke für den Dom (Nr. 100) sowie im Jahre 1523 die Laurentiusglocke für St. Adalbert (DI Aachen/Stadt, Nr. 60). Bereits 1355 wurde eine Glocke „unser liever vrowen“ gegossen6), die 1522 zerbrach. Ihre Erhaltung gehörte zu den Pflichten des Propstes, doch trug das Kapitel zu ihrem Neuguß 1535 freiwillig 3000 Pfund Kupfer bei.7) Die Marienglocke wurde zu besonderen Anlässen geläutet, u. a. zur Zeigung der Heiligtümer im Rahmen der Aachener Heiligtumsfahrt.8)