Inschriftenkatalog: Aachen (Dom)
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 31: Aachen (Dom) (1992)
Nr. 12 Dom, Schatzkammer 9. Jh.
Beschreibung
Leinenstoff mit Reliquienvermerk. Der rechteckige, gesäumte Stoff ist an den Schmalseiten mit zwei dünnen Bändern versehen, so daß er zusammengebunden werden kann. Als die Hülle im 19. Jh. in der Sakristei gefunden wurde, befanden sich darin eine Stoffreliquie des Hl. Stephan, der Stoff mit der Martialaufschrift (Nr. 3) sowie die angeblichen Pontifikalhandschuhe des Hl. Germanus.1) Inschrift in brauner Tinte, leicht verlaufen.
Maße: H. ca. 36,5, B. ca. 60, Bu. 0,5–1,2 cm.
Schriftart(en): Karolingische Minuskel2)
Rel(l)iq[u]ia) fuer(unt) in capsa / qua(m) pippinus fieri iussitb)
Übersetzung:
Die anderen [die Reliquien] waren in dem Schrein, den Pippin machen ließ.
Textkritischer Apparat
- Reliqui(ae) Kessel, Schiffers, Minkenberg.
- Käntzeler überliefert einen völlig anderen Text: reliquiae quae fuere in capsa Pipini.
Anmerkungen
- Schiffers, Reliquienschatz, S. 28.
- Ausführung und Charakter der Schrift erfordern eine Klassifizierung nach den Kriterien der Buch- und Urkundenschrift.
- Meuthen, Aachener Urkunden, Nr. 124, S. 351. Vgl. Nr. 2.
- Der Besitz von Stephansreliquien ist für die Aachener Kirche bereits durch die ältesten Verzeichnisse belegt, nicht jedoch, ob sich die Stoffreliquie darunter befand. Zum Martialstoff vgl. Nr. 3.
- Kessel, Geschichtliche Mittheilungen, S. 141.
- Schiffers, Reliquienschatz, S. 27, Käntzeler, EdG 1870.
Nachweise
- Käntzeler, EdG 1870, Nr. 359.
- Kessel, Geschichtliche Mittheilungen, S. 142.
- Schiffers, Reliquienschatz, S. 27f. - Minkenberg, Textilien, S. 251.
Zitierhinweis:
DI 31, Aachen (Dom), Nr. 12 (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di031d001k0001200.
Kommentar
Relliqui ist vermutlich als Verschreiber für reliquiae zu werten. Andernfalls ist ein Verständnis der Inschrift nur schwer möglich. Die Aufschrift eines Behältnisses läßt eine Angabe über den Inhalt erwarten, nicht aber über die Herkunft anderer, nicht näher bezeichneter Gegenstände. Bei diesen müßte es sich auch um Reliquien gehandelt haben, da sie ursprünglich in dem erwähnten Schrein des Pippin, dann an einem nicht genannten anderen Ort aufbewahrt wurden. Denkbar wäre höchstens, daß die in den Stoff eingewickelten und die erwähnten weiteren Reliquien gemeinsam in einem Schrein aufbewahrt wurden, so daß aus der Form der Aufbewahrung deutlich wurde, was mit den relliqui gemeint war. Eine Deutung der Inschrift wird durch den Umstand erschwert, daß über Herkunft und Verwendung des Stoffes vor dem 19. Jh. keine Informationen vorliegen, ebensowenig darüber, seit wann die drei darin gefundenen Stoffe in der Hülle aufbewahrt wurden. Der beischriftlich als caliga bezeichnete Pontifikalhandschuh des Germanus dürfte mit der caligula identisch sein, die 1239 vom alten in den neuen Marienschrein übertragen3) und dann offenbar zu einem späteren Zeitpunkt wieder aus dem Schrein entfernt wurde. Wann die Stoffreliquie des Stephan und der Martialstoff nach Aachen gelangten, ist nicht bekannt.4) Auch die Identität des Pippin ist nicht sicher zu klären. Kessel bezieht die Aufschrift auf den Sohn Ludwigs d. Fr., Unterkönig von Aquitanien (817–838).5) Hingegen nimmt Schiffers mit Käntzeler an, daß Pippin d.J. gemeint ist, dessen Reliquienschatz zumindest teilweise über Karl d. Gr. in den Besitz des Aachener Marienstiftes gelangt sein dürfte.6) Tatsächlich ist die letztgenannte Möglichkeit wohl die wahrscheinlichere, zumal eine besondere Beziehung Pippins von Aquitanien zu Aachen, die eine Schenkung nahelegen würde, nicht bestand.