Inschriftenkatalog: Aachen (Dom)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 31: Aachen (Dom) (1992)

Nr. 6† Dom, Oktogon um 800

Beschreibung

Wandinschrift, unterhalb des Hauptgesimses umlaufend.1) Wahrscheinlich trug jede Seite des Oktogons einen der acht Verse.2) Die Schrift war in roter Farbe aufgemalt. Nach Angaben Einhards begann sie bereits nach kurzer Zeit zu verblassen, so daß kurz vor dem Tode Karls d. Gr. das Wort princeps nicht mehr lesbar war.3) Zu Beginn des 20. Jh. wurde der Text im Zuge der Neugestaltung des Innenraumes der Marienkirche im Oktogon als Mosaik ausgeführt.

Text nach MGH Poetae I, 432.4)

  1. Cum lapides vivi5) pacis conpage ligantur,Inque pares numeros omnia conveniunt,Claret opus domini6), totam qui construit aulam,Effectusque piis dat studiis hominum,Quorum perpetui decoris structura manebit,Si perfecta auctor protegat atque regat:Sic deus hoc tutum stabili fundamine templum,Quod Karolus princeps condidit, esse velit.

Übersetzung:

Wenn sich lebendige Steine durch die Fugung des Friedens verbinden

und wenn in gleichen Abmaßen alles zusammenstimmt,

pranget das Werk des Bauherrn, der das ganze Kirchengebäude errichtet

und der Vollendung schenkt den rechtschaffenen Mühen der Menschen,

deren Bau in fortwährender Zierde erhalten bleiben wird,

wenn sein Stifter das Vollendete schützt und lenkt:

So wolle Gott, daß dieser Tempel, den unser Princeps Karl gegründet hat, auf festem Fundamente sicheren Bestand habe!7)

Versmaß: Elegische Distichen.

Kommentar

Die Verfasserschaft Alkuins galt seit den Forschungen Scheins als wahrscheinlich. Er weist insbesondere auf die Junktur protegat atque regat hin, die in Alkuins Gedichten häufiger, ansonsten aber gar nicht belegt ist.8) Zudem ist Alkuin als Verfasser zahlreicher metrischer Inschriften bezeugt.9) Nunmehr hat jedoch Bayer nachgewiesen, daß die Verse 1–6 die wörtliche Übernahme eines Gedichtes Prospers von Aquitanien darstellen, das in seinen Formulierungen entscheidend durch Augustinus beeinflußt ist.10)

Anmerkungen

  1. in margine coronae, quae inter superiores et inferiores arcus interiorem aedis partem ambiebat.“ (Einhard, Vita Karoli Magni c. 32, S. 37).
  2. Scheins hat errechnet, daß die Buchstaben bei einer gleichmäßigen Verteilung eine Breite von 15 bis 16 cm gehabt haben (a. a. O., S. 407).
  3. Einhard überliefert nicht den ganzen Text der Inschrift, sondern nur die Worte Karolus princeps im letzten Vers.
  4. Dort ediert nach dem Leidener Cod. Vossianus lat. quart. 69, fol. 19r, der den Text unter der Überschrift „Versus in aula ecclesiae in Aquispalatio“ überliefert.
  5. Die Allegorie der ‚lebendigen Steine‘ für die Gemeinschaft der Christen knüpft an 1. Pt. 2,5 („et ipsi tamquam lapides vivi superaedificamini domus spiritalis“) und an Augustinus, Enar. in ps. 39, 1 (CCL 38, 424: „Tantum autem valet iunctura caritatis, ut quamvis multi lapides vivi in structura templi dei conveniant, unus lapis ex omnibus fiat“), an. Zur Bezugnahme auf Augustinus und zur Verfasserfrage vgl. demnächst ausführlich Clemens Bayer, dem ich sehr herzlich dafür danke, daß er mir seine Erkenntnisse vorab zugänglich gemacht hat.
  6. Der Halbvers claret opus domini ist auch als Beginn einer heute verlorenen Inschrift des 10. Jh. in St. Andreas/Köln überliefert (MGH Poetae V, S. 358).
  7. Übersetzung nach Bayer. Vgl. Anm. 5).
  8. Scheins, a. a. O. Vgl. z. B. CIFM I Nr. 52 und zahlreiche Belege im Hexameter-Lexikon, Bd. 4, S. 391.
  9. Vgl. MGH Poetae I, S. 160–351; CIFM I, Nr. 30–58.
  10. Prosper von Aquitanien, Epigrammatum liber 36 (Migne, PL 51, col. 509 B – C). Vgl. Anm. 5).

Nachweise

  1. MGH Poetae I, S. 432.
  2. Kraus II, Nr. 476.
  3. Scheins, Widmungsinschrift, S. 404.
  4. Buchkremer, BJbb. 110, 1903, S. 266.
  5. Clemen, Roman. Monumentalmalerei, S. 13.
  6. Faymonville, Dom, S. 72.
  7. Springsfeld, S. 365.

Zitierhinweis:
DI 31, Aachen (Dom), Nr. 6† (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di031d001k0000602.