Inschriftenkatalog: Altkreis Witzenhausen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 87: Witzenhausen (Altkreis) (2017)

Nr. 78 Witzenhausen, Liebfrauenkirche 1582

Beschreibung

Tafel mit Stadtwappen, Wappenstein. Querrechteckige helle Steinplatte in der Nordostecke. Darauf aufgelegt ist eine Platte mit Beschlag- und Rollwerkrahmen und umlaufender Inschrift A, links unten beginnend; die untere Leiste nicht auf dem Kopf stehend, sondern links beginnend. Im vertieftem Feld erhaben das Wappen, heute mit kräftigen Farben tingiert, und darunter das Baujahr B. Die umlaufende Schrift wird oben von einem dem Rollwerk aufgelegten Löwenkopf unterbrochen, unten von Rollwerk. Inschrift A erhaben in vertiefter Leiste, B erhaben, links auch in leicht vertiefter Umgebung. Als Worttrenner Dreiecke und Quadrangel, erhaben.

Der ursprüngliche Anbringungsort der Tafel wird ersichtlich aus dem Bericht 1711.1) „An der Kirche befindet sich (1) ein Gewölbe mit starken Mauerwercken sehr wohl verwahrt. Bober der Thür im Eingang stehet das hiesige Stadtwappen an einem viereckichten Stein; darum stehet: ‚Consule Nidstenio fasces Gravioque regente, Winando inspectore nitent haec tecta sivero. Anno 1582.‘ Mit der Reparation ist ersteres weggetan und nicht mehr zu sehen, welche 1725 geschehen.“

Maße: H. 62, B. 120, Bu. 4 (A), 5 cm (B).

Schriftart(en): Kapitalis.

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz, Fotograf: Christian Feist [1/1]

  1. A

    CONSVLE · NIDENSTENIOa) · / FASCES · GRAVI//OQ(VE) · REGENTE · /WEINA(N)DO · INSPECTORE · / NITENT · HAEC · // TECTA · SIVEROb) ·

  2. B

    ANNO · // 1582

Übersetzung:

(A) Zur Zeit, als Niedenstein Bürgermeister ist und Gravius die fasces führt, erstrahlt dieses Gebäude; denn Weinands Bauaufsicht ist streng.

Versmaß: Zwei Hexameter (A).

Wappen:
Witzenhausen2)

Kommentar

Der Anlass der Inschrift ergibt sich aus der vorigen Katalognummer. An der Liebfrauenkirche waren die baulichen Veränderungen abgeschlossen, was in der Wendung „erstrahlt das Gebäude“ zum Ausdruck kommt. Die Weihe nahm vermutlich Christian Grau vor, der Allendorfer Superintendent, der von 1523 bis 1600 lebte.3) Zu dessen hoher Stellung passt der Ausdruck „die fasces führen“4) ganz ausgezeichnet. Neben Grau und dem Bürgermeister Hans Niedenstein5) nennt die Inschrift den Stadtkämmerer Moritz Weinand.6) Dieser wird den Bau streng beaufsichtigt haben. Denn vermutlich hat die Stadt Geld aufgewendet, und inspector bezeichnet ja weniger den Kämmerer als den Aufseher.

Eine weniger begründete Deutung der Inschrift bietet Eckhardt7), den ich ausführlich zitiere, da er sich beiläufig zum Schicksal der Inschrifttafel äußert und die Inschrift (mit offensichtlichen, leichten Lesefehlern) zitiert: „Ein Mitglied der Familie Grau kommt vor auf der in der südlichen Außenwand der Kirche bei Zumauerung eines Fensters eingemauerten Tafel aus 1582 mit dem sehr schönen Wappen der Stadt und der in Versen gehaltenen Inschrift: Consule Nidenstenio fasces Gravioque regente Venado inspectore itent haec tecta sivero. Dieser Grau war anscheinend … Bürgermeister der Stadt.” Diese Alternative setzt aber voraus, dass schon zu dieser Zeit eine Familie Grau in Witzenhausen nachweisbar ist. Im Stadtbuch und in der Musterung von 15438) habe ich dafür keinen Anhaltspunkt gefunden. Mit Gravius kann auch nicht der spätere Witzenhäuser Pfarrer Christian Grau, ein Sohn des Superintendenten, gemeint sein, denn der war erst ab 1585 in Witzenhausen tätig und bis 1588 lediglich Adjunkt beim dortigen Pfarrer Behn.

Textkritischer Apparat

  1. NIDSTENIO Stadtbucheintrag von 1711.
  2. Sic für SEVERO. Freundlicher Hinweis von Prof. Dr. Ulrich Schindel, Göttingen.

Anmerkungen

  1. s. Eckhardt, Bausteine 27.
  2. Wappen Witzenhausen (dreitürmiger Torbau, über dem mit einem Fallgatter versehenen Tor der Buchstabe W).
  3. Näheres zu diesem s. Hütteroth 108 s. v. Grau, Christian I.
  4. Mit fasces bezeichneten die Römer ein mit Beilen versehenes Rutenbündel, das den höchsten Machthabern im Römischen Reich vorangetragen wurde. Es symbolisierte die höchste Amtsgewalt. Hier ist der Ausdruck bildlich zu verstehen.
  5. Zu Hans Niedenstein s. Kat.-Nr. 60.
  6. Wienand wird noch mehrfach als Kämmerer erwähnt, s. Stadtbuch 27 Nr. 10; 31 Nr. 12, das letzte Mal 1601, s. Stadtbuch 223 Nr. 874.
  7. s. Eckhardt, Familien 153/1911.
  8. s. Eckhardt, Bürgerschaft 1–15.

Nachweise

  1. Bericht 1711 (= Eckhardt, Bausteine 27).
  2. Eckhardt, Familien 153/1911.

Zitierhinweis:
DI 87, Witzenhausen (Altkreis), Nr. 78 (Edgar Siedschlag, Mitarbeit: Fuchs, Rüdiger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di087mz13k0007808.