Inschriftenkatalog: Altkreis Witzenhausen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 87: Witzenhausen (Altkreis) (2017)

Nr. 48 Witzenhausen, Walburger Straße 7 1563

Beschreibung

Haus. In den modernen, dreigeschossigen Steinbau ist an der Giebelseite (Nordseite) ein alter Schwellbalken einbezogen, der eine Inschrift trägt. Eine am Haus angebrachte Informationstafel teilt dazu u. a. Folgendes mit: „1977 wurden im Rahmen der Altstadtsanierung hier drei baufällige Häuser abgebrochen, aus denen die historischen Balken stammen. (Es folgt eine Wiedergabe der Inschrift.) Die Schnitzerei unter der Inschrift stellt umgestülpte Boote dar, die der Eingangsbalken Taue, beides Symbole aus der Werraschiffahrt.“ Dann folgen Angaben zu dem Bauherrn und zur Finanzierung. Inschrift eingeschnitzt, Kerbe hell gefasst, Zustand nach Renovierung; es wurde versucht, die originalen Formen zu erhalten. Die Worttrenner sind heute zusammengesetzt aus mittig gestellten Quadrangeln und zwei mit den Spitzen dahingekehrten Dreiecken; ursprünglich wohl Quadrangel mit Zierstrichen oder Dreipunkt.

Maße: Wandbreite: ca. 800; 2 Fensterachsen; Bu. ca. 10 cm.

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis.

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz, Fotograf: Christian Feist [1/4]

  1. WER · GOT · VERTRWETa) ·DER · HAT · WOL · GEBAVWET ·1)MICHEL · MVLLER · HAT · DVS · HAVS · GEBAVWET · MMb) · ANNO · D(OMI)N(I) · 1 · 5 · 6 · 3

Versmaß: Deutsche Reimverse.

Kommentar

Die Schriftformen sind mit typologischen Eigentümlichkeiten gespickt, sodass man ihren Hersteller wiederkennen müsste, auch wenn die restaurierende Übermalung manches verdeckt; allein schon bemerkenswert sind mehrfach kleinere Buchstaben am Wortende. Besonders auffällig ist das R, das anscheinend auf das Bogen-r der Minuskelschrift zurückgeht: Es besteht wie ein Z aus Schrägschaft sowie oberem und unterem Balken; der Schrägschaft ist nach unten ausgebuchtet. A mit Deck-, aber ohne Mittelbalken oder mit nach links überstehendem Deckbalken und Mittelbalken; E mehrmals mit nach rechts gebogenem Schaft; G mit weit nach oben verlängerter Cauda, der Bogen ist weit nach rechts über die Cauda gezogen; H mit nach unten ausgebuchtetem Balken; L mit s-förmig geschwungenem Schaft und kurzem rechtsschräg gestelltem Balken; M ist vom konischen Typ, der sehr kurze Mittelteil endet ein wenig unterhalb der Oberlinie und erreicht die Zeilenmitte bei weitem nicht; N retrograd mit nach unten ausgebuchtetem Schrägschaft; spitzovales O, der untere Teil des linken Bogens ist nach innen gebogen, sodass das O umgekehrt tropfenförmig aussieht; W ist verschränkt, wobei der Schnittpunkt der beiden inneren Schrägschäfte nur knapp über der Grundlinie liegt. Die freien Enden der Hasten, Balken, Bögen und Schrägschäfte tragen meist Sporen, aber nur an einer Seite; sie sind gewöhnlich dreieckig gestaltet und sitzen seitlich auf, sodass die Enden von Schrägschäften und Balken abgeschrägt erscheinen. In MM, dem Monogramm des Bauherrn, sind der rechte Schrägschaft des linken M und der linke des rechten M verschränkt. Insbesondere bei A, H, M und V entsteht so ein sehr altertümlicher Eindruck der Schrift. Aus den Ziffern ist die 5 mit rechtsschräg gestelltem Schaft und linksschräg verlaufendem Balken herauszuheben, da sie im Bestand zu dem halben Dutzend der frühesten mit Schaft gehört.

Eine sehr ähnlich lautende Inschrift findet man in Hann. Münden.2) Das Wort DVS in Witzenhausen deutet einen Einfluss aus dem niederdeutschen Sprachgebiet an, dem Witzenhausen benachbart ist. Über Michael Müller ist nichts Genaues bekannt. Er erscheint im Stadtbuch weder in der Musterung von 1543 noch in der Geschossrechnung von 1588. Man begegnet dem Namen aber im Zusammenhang mit der Werraschifffahrt. Der „verordnete Schiffmeister“ Michael Müller fertigte – wohl Ende des 16. Jahrhunderts – ein Gutachten an, in dem er beschreibt, wie die Flussabschnitte der Werra zu Gunsten der Schifffahrt verbessert werden könnten. Er gehört wohl nach Allendorf,3) könnte aber dennoch gemeint sein. Ferner wird im Stadtbuch in Grundstücksangelegenheiten der Jahre 1597–1600 mehrfach ein Michael Müller erwähnt.4) Aber es gibt kein Indiz, dass sich die Inschrift auf ihn bezieht.

Textkritischer Apparat

  1. Befund VERTRWET eindeutig; müsste mit VERTRAVWET an GEBAVWET angeglichen sein.
  2. Die verschränkten Initialen MM bezeichnen nochmals den Bauherrn Michael Müller.

Anmerkungen

  1. Wander, Bd. 2, Sp. 90, Nr. 2200.
  2. DI 66 (Lkr. Göttingen) Nr. 203 (1582), dort aber DIS HVS und Verweise auf die Vorlage dieses häufigen Hausspruchs bei Wander (wie Anm. 1).
  3. Reyer, Witzenhausen 46.
  4. s. Stadtbuch 206 Nr. 785 (vom 31. März 1597), 211 Nr. 809 (vom 13. Jan. 1598) u. a.

Zitierhinweis:
DI 87, Witzenhausen (Altkreis), Nr. 48 (Edgar Siedschlag, Mitarbeit: Fuchs, Rüdiger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di087mz13k0004807.