Inschriftenkatalog: Stadt Braunschweig. Kloster Riddagshausen und eingemeindete Dörfer

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DIO 7: Stadt Braunschweig III (2023)

Nr. 54 Riddagshausen, Klosterkirche 1622

Beschreibung

Kanzel. Eichen- und Lindenholz mit reichen Schnitzereien. Die am fünften Pfeiler von Westen an der Südseite des Mittelschiffs angebrachte Kanzel ist von Süden durch ein Portal begehbar. In den je vier Brüstungsfeldern des Kanzelaufgangs und -korbes Reliefdarstellungen mit biblischen Szenen. Am Aufgang: 1. Schöpfung, 2. Sündenfall1), 3. Verkündigung, 4. Geburt Christi; am Kanzelkorb: 5. Christus im Tempel, 6. Kreuzigung, 7. Kreuzabnahme, 8. Auferstehung. Ein Großteil der Reliefs wurde um 1900 vom Braunschweiger Bildhauer Wilhelm Sagebiel erneuert.2) Die Relieffelder sind seitlich durch neun vollplastisch gearbeitete Figuren voneinander abgegrenzt. Nach P. J. Meier handelt es sich hierbei um vier Propheten (Kanzelaufgang) sowie die vier Evangelisten und den Apostel Paulus (Kanzelkorb).3) Oberhalb und unterhalb der Felder Rollwerkkartuschen mit den Inschriften A (oben) und B (unten); Inschrift B wird unterhalb der Kreuzigungsszene durch den Stiftungsvermerk C unterbrochen. Im untersten Feld des Kanzelaufgangs (Schöpfung) die Meistersignatur D. Der achtseitige Kanzelkorb wird von der vollplastischen Figur des Moses mit Stab und Gesetztestafeln (Inschrift E) gehalten.

Oberhalb der Kanzel der reich verzierte achtseitige Schalldeckel. An den Ecken sechs vollplastische Figuren der Apostel Philippus, Petrus, Andreas, Jakobus d. Ä. und Johannes umgeben von Putten, zum Teil posauneblasend. Als Bekrönung der aus dem von Kriegsknechten bewachten Grab auferstehende Christus mit Siegesfahne als Bezwinger von Tod und Teufel. An der Nordseite zwischen den Aposteln Petrus und Andreas ein Abtswappen mit Inschrift F, unterbrochen von einer weiblichen Figur.4) Am Rand des Schalldeckels in einer mit Rollwerk umgebenen Zeile Inschrift G umlaufend. Auf der ebenfalls reich mit Schnitzereien verzierten Unterseite des Schalldeckels sind im Mittelfeld Christus und Gottvater dargestellt, umgeben von acht Engelsköpfen in kassettenartigen Feldern.5)Die Inschriften A–C und E–G sind erhaben geschnitzt, Inschrift D vertieft.

Maße: Dm. 142 cm (Kanzelkorb). Bu. 3,5 cm (A), 2,7 cm (B), 1–1,3 cm (C), 1,5 cm (D, E), ca. 4 cm (F), ca. 6 cm (G).

Schriftart(en): Kapitalis (D, F) mit Minuskel (E); Fraktur (A, B, C, G).

Niedersächsische Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Anna Weissmüller) [1/17]

  1. A

    Die Lehrer aber ‎// Werden Leuchten ‎// Wie des him(m)els glantz ‎// Vnd die, so viele zur ‎// Gerechtigkeit bringen ‎// Wie die Sternen ‎// Immer vnd Ewiglich6) ‎// Dan: am 12. Cap(itel)

  2. B

    Wie lieblich sind auff den bergen ‎// Die Füsse der Botenn ‎// Die da Friede verkündigen ‎// Gutes Predigen Heil verkündigen ‎// Die da sagenn ‎// Zu Zion dein Gott ‎// [‒ ‒ ‒]a)7)

  3. C

    Henricus Abt des Closters ‎/ Riddagshausen Anno D(omi)ni 1622

  4. D

    Z(ACHARIAS) K(OENIG) ˑ M(E) F(ECIT)

  5. E

    DAS ERSTE ‎/ GEBOT ‎/ DV SOLT ˑ KEI‎/NE ˑ ANDER ‎/ GOTT(E)R ˑ HA‎/BEN N(E)BEN ‎/ MIHR ‎/ DAS ‎/ ANDER ‎/ GEBOT ‎/ DV SOLT ‎/ DEN NAMEN ‎/ [G]OTTES NICHT ‎/ VNVTZE ‎/ FVREN ‎/ DAS ‎/ DRITTE ‎/ GEBOT DV ‎/ SOLT DEN ‎/ FEIRDAG ‎/ HEILIGEN ‎// DAS IIII ‎/ DV SOLT VATER ‎/ VND MVTER ERN ‎/ AVF DAS DIRS WOL‎/GE VND LA(N)G LEB ‎/ AVF ERDEN ‎/ DAS V DV SOLT ‎/ NICHT DOTEN ‎/ DAS VI DV SOLT ‎/ NICHT E(H)BREC(HEN) ‎/ DAS VII DV SOLT ‎/ NIC(H)T STELEN ‎/ DAS VIII DV ‎/ SOLT NICHT ‎/ FALS GEZEVG‎/NIS REDN WI‎/DER DEINEN ‎/ NEGESTEN ‎/ DAS IX DV SOLT ‎/ NICHT BEGE‎/REN DEINES ‎/ NEGSTEN HA‎/VS DAS X DV ‎/ SOLT NICT BEG‎/REN DEINES NE‎/GEST(EN) WEIB KN(ECHT) ‎/ MAGT VI(EH) NOCH ‎/ A(LL)ES WAS SEIN ISt8)

  6. F

    HEN‎/RICVS ‎// ABT ‎/ ˑ R ˑ

  7. G

    Ruffe getrost Zhone nic(ht) ‎/ Erhebe Deine Stimme ‎/ Wie Eine ˑ Posaune ‎/ Vnndt Verkundige Mein ‎/ Volcke Ihre Vbertretu(ngen) ‎/ Vnnd Dem Hause Jacob ‎/ Ihre Sünde.9) Esa: 58 C(apitel)

Übersetzung:

(D) Zacharias König hat mich gemacht.

Wappen:
Scheele, Heinrich (Abt)

Kommentar

Sorgfältig ausgearbeitete Fraktur. Die Versalien sind aufwendig mit Rankenornamenten verziert; Inschrift G im Oberlängenbereich mit weiteren Rankenornamenten. Am Wortende geschlossenes kursives s, dessen linken Teile des gebrochenen oberen und unteren Bogens zu einem Schaft verschmolzen sind. Schaft- und Bogen-r im Wechsel; das Bogen-r ist als zwei gegenläufig übereinandergesetzte Bögen gestaltet, die sich nicht berühren. Zweistöckiges z aus zwei übereinanderliegenden Bögen. Der untere Schrägbalken des k ist waagerecht, verkürzt und weit nach oben, den Schaft durchschneidend, gerückt, der obere Schrägbalken setzt am oberen Ende des Schaftes an und ist wellenförmig zum Schaft zurückgebogen. h mit unter die Grundlinie verlängertem, nach rechts eingerolltem Bogen. Der untere Bogen des g ist im Unterlängenbereich mit Ranken verziert. Die oberen Schäfte des b, d, f, h, k, l, Schaft-s, und t in Inschrift G mit weiteren Schlaufen- und Rankenverzierungen. 1 in Form eines im Bogen nach oben verlaufenden Pfeiles; 2 spitz mit geschwungenen unterem Bogen. Als i-Punkte dienen Quadrangel.

Die Kapitalis in Inschrift E ist leicht rechtsschräg. Die Buchstaben und Wörter auf der rechten Gesetzestafel liegen dicht beieinander, auf der linken Tafel weiter spationiert und durch größere Lücken in Absätze getrennt, zum Teil mit Worttrennern. Sporen an den Balken-, Bogen- und Schaftenden. H mit Ausbuchtung am Balken, X mit zwei geschwungenen Schrägschäften. Zahlreiche Ligaturen.

Die Kanzel wurde 1617 vom damaligen Abt Heinrich Scheele (1615–1622) in Auftrag gegeben, der sich inschriftlich an zwei Stellen auf der Kanzel verewigen ließ (vgl. die Inschriften C und F).10) Das Werk kann dem Osteroder Bildschnitzer Zacharias König († 1630) zugeschrieben werden, der für seine Arbeit insgesamt 666 Reichstaler erhalten haben soll.11) Weitere Werke Königs in der Riddagshäuser Klosterkirche sind der Lettner, das Taufgitter und der Taufdeckel (Kat.-Nr. 52), die aufgrund stilistischer Ähnlichkeiten dem Bildschnitzer oder seiner Werkstatt zugeordnet werden können.

Das ikonographische Programm der Kanzel, welches sowohl alt- als auch neutestamentliche Darstellungen verbindet, entspricht dem zahlreicher lutherischer Renaissancekanzeln.12) Der am häufigsten auf diesen anzutreffende Inschriftenspruch Jes 58,1 ist auch auf dem Schalldeckel der Riddagshäuser Kanzel zu finden. Wie die beiden Sprüche A und B richtet sich dieser an den Prediger und dient als Ermahnung bzw. Bestärkung.13)

Textkritischer Apparat

  1. [‒ ‒ ‒]] Die Inschrift des letzten Feldes ist nicht mehr erhalten. Es fehlt ist König sowie die Bibelstellenangabe.

Anmerkungen

  1. Auf dem Reliefgrund eingeritzt GN / A(NNO) 1684.
  2. Vgl. Pfeifer, Kloster Riddagshausen, S. 58. Für Bilder vom unrestaurierten Zustand siehe Bildarchiv Marburg, https://www.bildindex.de/document/obj20487091?medium=mi04138a01 und https://www.bildindex.de/document/obj20487091?medium=mi04138a02 (letzter Zugriff: 22.08.2022). Die beiden Tituli an den Reliefs der Kreuzigung und Kreuzabnahme (INRI) müssen im Zuge dieser Restaurierung entstanden sein.
  3. Vgl. Kdm. Kreis Braunschweig, S. 155f. Das von Meier noch erwähnte Schwert als Attribut des Apostel Paulus hat sich nicht erhalten. Die beiden unteren Figuren des Kanzelaufgangs sind erneuert.
  4. Vermutlich handelt es sich hierbei um die Personifikation des Glaubens (Fides), wie sie auch auf einem Siegel des Abtes Scheele zu erkennen ist. Der Kreuzstab als ihr Attribut ist verlorengegangen. Siehe dazu Zimmermann, Heinrich Schele, S. 52f.
  5. Anzunehmen ist, dass die Darstellung ursprünglich noch eine Taube als Symbol des Heiligen Geistes zeigte und somit als Darstellung der Trinität diente.
  6. Dan 12,3.
  7. Jes 52,7.
  8. 2 Mo 20,2–17.
  9. Jes 58,1.
  10. Vgl. NLA WO, 7 Alt K, Nr. 171 (Prozessakte Zacharias König), o. S. Zu Heinrich Scheele siehe Kat.-Nr. 53.
  11. In einer im Landesarchiv Wolfenbüttel befindlichen Prozessakte beklagt sich König über die unterlassenen Auszahlungen für seine Arbeit. In einer von ihm erstellten Auflistung gibt er an, lediglich 302 1/2 Reichstaler erhalten zu haben; vgl. NLA WO, 7 Alt K, Nr. 171 (Prozessakte Zacharias König). Zu Zacharias König und seinen Werken in Osterode siehe DI 105 (Altkreis Osterode), Nr. 95 und 156.
  12. Siehe hierzu Poscharsky, Kanzel, S. 112–145 sowie S. 212f.
  13. Siehe hierzu Poscharsky, Kanzel, S. 143f. Die beiden Sprüche A und B sind bei Poscharsky nicht aufgeführt.

Nachweise

  1. Archiv für Kirchliche Baukunst und Archiv für Kirchliche Kunst, Jg. 6 (1882), S. 90 (A, B, F, G).
  2. Pfeifer, Kloster Riddagshausen, S. 57f.
  3. Kdm. Kreis Braunschweig, S. 156.

Zitierhinweis:
DIO 7, Stadt Braunschweig III, Nr. 54 (Anna Weissmüller), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-dio007g003k0005401.