Inschriftenkatalog: Stadt Worms

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 29: Worms (1991)

Nr. 398† Dom, innen 1518?

Beschreibung

Spruch-, Widmungs- und Stifterinschrift für Bischof Reinhard von Sickingen und seinen Neffen Johann. Gerahmte Holztafel an der Wand der Ägidienkapelle nahe des Eisengitters. Wohl rechteckige Tafel mit möglicherweise gemalter Inschrift, bestehend aus einer Art Nachruf (A) und dem Stiftervermerk des Vikars Johannes Zanner aus Nürnberg (B).

Nach Hertzog und Zorn.

  1. A

    Epitaphium et Apotheosis Reinhardi à Sickingen antistitis Vormaciensisa)Cives et clerus, tub) omnis Wormatia, fato,Praesul Reinharde, te cecidisse dolet;Duxque Palatinatusb) et Laudenburga suorumCum turba miserum te cecidisse dolet;Gymnasium sentit Heidelbergense dolores,Plebs, proceres, populus, relligiosa cohors,Nemo non plangit Reinhardi morte(m)b) beati,Nemo non optat te superesse, pater.Quamque diu sancta prudenter pace regebas,Petri sancta domus collachrymando stupet,Cur non illa suo tabesceret orba parente,Quae poterit fidum non revocare patrem?En cedidit praesul, iacet anchora, nauta, patronus,Qualem non facile maesta redire putat.Ingenio quisnam Reinhardum, quis probitate etConsiliis certet aequiparare suis.Visa fuit, qualis pastorem vita decebat,Sincera atque humilis, justa, pudica, decens.Vixit ut antistes nulli gravitate secundus,Quem quisque sequitur, devia nulla capit.Saepe tuaec) missa etb) Rex o caelestis ab illoPro se proque suis victima laudis erat,Muneribus satagens te flectere praesulis instar.Nos tulit interpres conciliare tibi,Saepe tibi ille novos gaudens unxisse ministrosMixtum oneri novit pontificale decus.Abs te qui fuerat electus, ut utilis essetPabulaque et pecori pastor opimad) daret,Noluit armenti detonsi vivere praedae),Non voluit nudaef) carpere vellus ovis;Non fuit attentus, ut per fas perque nefasqueAera sui caperet excoriando gregis.O felix praesul, cui praefuit ille sacerdos.Felicem clerum, quem regit ille pater.Mundi vana odit et pompas odit inanes,Ingluviem fastusg) odit et arma, canes,Non umquam tenuit venando Diana modestum,Nec jaculum fixith) exitiale Venus,Ecclesiae cautus inopum quoque turpiter unquamNe fudisset opes ambitione suas.Quis fuit in miseros Reinhardo largior? aequeQuis donat claras religione domos?Laudenburga, tui civesque tuique scholares,In nos sat clamant, dextera larga fuit,Et doctis liquide constat, quod plurima librisSplendidior facta est bibliotheca suis,Templa Dei et monachos quanto dignatus honore est,Testamenta pii nos docuere patris,Quam bonus ille suis, superum quam magnus amator,Indicio nobis optima vita fuit.Praeviai) foelicem meruit pia vita soporem,Et sequitur mortem vita beata suamk),Jam te cumque paterb) dilectum cernit Jesum,Jam suus accepit munera grata labor,Candidus insuetum jam scandit limen OlympiJam Vivit foelix saecula cuncta pater.

  2. B

    Reverendissimo in Christo patri Reinhardo à Sickingen Vangionum antistiti, qui sacellum hoc aere proprio divo Egidio sacrum non solum a fundamentis erexit, sed et largissime dotavit; ob memoriam Joannis a Sickingen equitis aurati tamquam collatoris benefici Joannes Zannerl) de Norinberga huius altaris vicarius hocce monumentum posuit. Obiit autem episcopus sub anno 1483 hic pone sepultus, alter vero Joannes diem clausit extremum Laudenburgii sub anno M.D.XVIII XI Calendas Augusti in sacello S. Galli, quod ille ut erexitm) sic et dotavit munificentissime sepultus, uterque in pauperes eleemosynarum elargitione in diversis locis clarus.

Übersetzung:

Epitaph und Verklärung Reinhards von Sickingen, Bischof von Worms.

Bürger und Klerus, das ganze Worms schmerzt das Schicksal, Bischof Reinhard, daß du gestorben bist; der Pfalzgraf und Ladenburg mit der Menge ihrer Elenden empfinden Schmerz darüber, daß du gestorben bist. Das Heidelberger Gymnasium spürt die Schmerzen, das gemeine Volk, die Würdenträger, die Gemeinde, die gottesfürchtige Schar, da ist niemand, der nicht den Tod des seligen Reinhard betrauert, der sich nicht wünschte, du lebest, Vater. Wie lange du auch in heiligem Frieden weise regiertest, das heilige Haus Petri ist betäubt in Tränenvergießen. Warum zerfließt seines Vaters beraubt nicht jenes, das den treuen Vater nicht zurückrufen kann? Siehe, der Bischof starb, der Anker ist gefallen, es liegt danieder der Schiffer, der Schirmherr, von dem es nicht wenig betrübt glaubt, daß er zurückkehrt. Wer möchte darin wetteifern, Reinhard in Verstand, Rechtschaffenheit und seinem Rat gleichzukommen. Sichtbar ist gewesen, auf welche Weise das Leben den Hirten zierte, rechtschaffen und demütig, gerecht, ehrbar und schicklich. Er lebte in Würde wie kein zweiter Bischof, dem jedermann folgt, er nahm keine Schleichwege. Häufig wurde von ihm, o himmlischer König, für sich und die Seinen das Meßopfer deines Preises gefeiert, darum bemüht, dich mit den Diensten des Bischofs zu rühren. Gleichwie ein Übersetzer unternahm er es, uns mit dir zu versöhnen; erfreut, dir oft neue Diener gesalbt zu haben, kennt jener die bischöfliche Zierde als mit Mühe vereint. Der von dir gewählt worden war, damit er nützlich sei und als Hirte der Herde reiche Nahrung gewähre, wollte nicht von der Beute des abgescherten Großviehes leben, von dir wollte er nicht das Vlies des nackten Schafes herunterreißen. Er war nicht darauf bedacht, daß er nach Recht oder Unrecht durch Abhäuten seiner Herde Reichtum gewinne. O glücklicher Bischof, dem jener als Priester vorstand. Glückliche Geistlichkeit, die jener Vater lenkt. Das Eitle der Welt verschmäht er und nichtige Pracht, ebenso die Gefräßigkeit des Hochmutes und Waffen und Hunde, niemals hielt den Maßvollen Diana beim Jagen noch (schwang) Venus den verderblichen Wurfspieß; auch ging er vorsichtig mit den begrenzten Mitteln der Kirche um, damit er nicht jemals schändlich durch Gepränge seinen/ihren Reichtum vergeudet hätte. Wer war großzügiger gegen die Armen als Reinhard? In gleicher Weise, wer gibt glänzendere Häuser für den Glauben? Ladenburg, deine Bürger und deine Gelehrten, rufen uns genug zu, seine Rechte war freigebig. Und für die Gelehrten steht gewißlich fest, daß mit seinen Büchern fast jede Bibliothek prächtiger gemacht wurde; wieviel Ehre er die Tempel Gottes und die Mönche für würdig gehalten hat, haben uns die Testamente des frommen Vaters gelehrt; wie gut jener zu den Seinen war, welch großer Verehrer der Höchsten, machte uns sein in höchstem Maße gutes Leben kenntlich. Vorangehendes frommes Leben verdiente den seligen Schlaf und glückseliges Leben folgt seinem Tod; schon sieht der Vater mit dir den geliebten Jesus, hat seine Mühe willkommene Belohnung empfangen, schon erklimmt der glückliche Vater die ungewohnte Schwelle des Olymp, lebt der gesegnete Vater die kommenden Jahrhunderte. – Dem höchstehrwürdigen Vater in Christo, Reinhard von Sickingen, Bischof der Wormser, der diese dem göttlichen Ägidius geweihte Kapelle nicht nur von den Grundmauern auf mit eigenen Mitteln errichtete, sondern auch großzügig ausstattete. Zur Erinnerung an Johann von Sickingen, den goldenen Ritter und gleichsam Stifter der Pfründe, stellte Johannes Zanner aus Nürnberg, Vikar dieses Altares, das Denkmal. Es starb aber der Bischof im Jahre 1483(!) und liegt hier hinten begraben; der andere aber, Johann, beschloß seinen letzten Tag in Ladenburg im Jahre 1518 am 11. Tag vor den Kalenden des August und liegt begraben in der Kirche des heiligen Gallus, die jener, wie er sie errichtete auch freigiebigst ausstattete; beide waren an verschiedenen Orten berühmt für die Vermehrung der Almosen für die Armen.

Datum: 22. Juli 1518.

Kommentar

Obwohl der ausführliche, in Distichen gefaßte Nachruf bei Zorn mit Worten eingeleitet wird, die denen zu Exzerpten aus der Bischofschronistik durchaus ähnlich sind, und das angegebene Todesjahr mit deren falschem übereinstimmt, gehört möglicherweise doch der gesamte zitierte Text zur Inschrift auf der Holztafel und nicht nur der Widmungs- und Stiftervermerk. Die nicht immer regelhaften Verse unterscheiden sich erheblich von den oft leoninischen Versen der Bischofschronistik für die Sterbevermerke der Wormser Bischöfe; außerdem leitet Hertzog den Text folgendermaßen ein: „Epitaphium et Apotheosis Reinhardi à Sickingen Antistitis Wormatiensis, wie es geschrieben steet in einem eingefaßten hultzernen Taffelin und an der Wandt in abgemelter Cappellen bey dem Eysernen Gegutter am Nagel henkt: Cives et Clerus ...“. In den unmittelbar und ausschließlich auf die Bischofschronistik zurückgreifenden Zeugnissen wird ausschließlich der Text A überliefert;1) das gegenüber den üblichen Vier- und Sechszeilern weitaus umfangreichere Zitat entstammt dort aber trotzdem der poetischen Chronik, die gegebenenfalls als Vorlage für das Denkmal von 1518 gedient haben könnte. Mit über 25 und teilweise erheblichen Abweichungen zur Inschrift A ist im Münchner Exemplar des Catalogus ein Text als „Apotheosis et Epitaphium ... Jacobo Selestadiensi authore ex Heidelberga Anno 1482“ wiedergegeben, der demnach aus der Feder Jakob Wimpfelings (aus Schlettstadt) stammen könnte. Seine Varianten eignen sich freilich nicht, um die sprachlichen Ungereimtheiten zu klären; immerhin sind sie so schwerwiegend, daß beide Fassungen nicht auf eine einzige Vorlage zurückgehen können, wenn etwa Zeile 9f. heißt: „Tempore prudenter non pauco pace regebas / Ergo Petri templum lumina mesta gerit.“ Daher ist durchaus eine Umdichtung für das Zannersche Denkmal von 1518 denkbar. Anbringung des langen Textes auf Pergament ist nicht auszuschließen.

Der Text würdigt stark verklausuliert in einer Art Nachruf die Verdienste Bischof Reinhards, der sich unter anderem um Kirchenbau, Armenfürsorge und Gelehrsamkeit verdient gemacht und sich durch seine Lebensführung Trauer und Anteilnahme aller erworben habe.2)

Als Residenz stand ihm Ladenburg besonders nahe, wo sein Neffe Johann, kurpfälzischer Rat und letzter seiner Linie, begraben lag, der, die Inschrift deutet es an, wie sein Onkel bei Kirchenbau und in der Armenfürsorge Bemerkenswertes geleistet hatte.3) Reinhards Anniversarstiftung schrieb denn auch ausdrücklich Verteilung von Brot und Schuhwerk an die Armen vor.4)

Der Stifter des Denkmales hinterließ als „Joannes Zanner alias Nurnberger vicarius huius ecclesiae“ ein umfangreiches, aber undatiertes Testament mit Anniversarstiftungen für sich und Angehörige.5)

Textkritischer Apparat

  1. Es handelt sich wohl um eine Art Überschrift, da der Text identisch von unabhängigen Zeugen überliefert ist.
  2. Zusätze oder Buchstabendrehung wie etwa bei pater in geschweiften Klammern sind eigenmächtige Veränderungen des Bearbeiters e. g. zur Rettung von Metrum oder Syntax; nicht in jedem Falle kann entschieden werden, ob nicht schon dem Urtext entsprechende Fehler anhafteten.
  3. Alle tui.
  4. optima Hertzog.
  5. Sic.
  6. undae Zorn, Chronik.
  7. factus Hertzog.
  8. vixit ebd.
  9. Brevia ebd.
  10. piam ebd.
  11. Rauner Zorn.
  12. coepit Hertzog.

Anmerkungen

  1. Vgl. Catalogus.
  2. Vgl. die Informationen bei der Grabinschrift von 1482, Nr. 290.
  3. Zur Grabinschrift Johanns und Stiftung einer wöchentlichen Armenspeisung aus jährlich 52 Malter Korn vgl. DI XVI (Rhein-Neckar) Nr. 100.
  4. Salbuch Domstift 27.
  5. Ebd. 76.

Nachweise

  1. Catalogus episcoporum Wormatiensium (M) fol. 51r-v(A).
  2. Hertzog, Beschreibung I 2 fol. 214-215v.
  3. Zorn-2 (W) fol. 148v (B).
  4. Zorn-2 (F) 358f.
  5. Zorn, Chronik bei Arnold 184-186.
  6. Zorn-Wilck (W) 418f., (F) fol. 219v-221, (M) 529-532.

Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 398† (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0039808.