Inschriftenkatalog: Stadt Worms
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 29: Worms (1991)
Nr. 282† Worms-Neuhausen, Cyriakusstift (M.9. Jh.?)/um 1479?
Beschreibung
Spruchinschrift über der Tür der Kirche des Cyriakusstifts. Obwohl einige Zeugen von einer Inschrift in oder auf einem Stein sprechen,1) muß es sich nicht notwendigerweise um eine gehauene oder um eine Inschrift im oberen Türabschluß, etwa im Tympanon des Portales gehandelt haben; anzunehmen ist es hingegen.
Nach Jüngerer Bischofschronik im Chronicon Wormatiense.
Regalis quondam solii memorabilis aulaIam, Ciriace, nova sum tibi digna domus,Qua felix celebres recubasa) recturus habenas.Hic tranquilla tuis ossibus esto quies.Te prior anteibat Ariopagita patronus;Nunc ambo etherea plaudite nube pares.b)
Übersetzung:
Einst denkwürdige Halle des königlichen Thrones, bin ich nun dir, Cyriakus, ein neues würdiges Haus, wo du Glücklicher ruhst; die berühmten Zügel wirst du lenken. Friedliche Ruhe sei hier deinen Gebeinen. Voraus ging dir als erster Patron der Areopagit (Dionysius Areopagita), nun spendet Beifall, beide (Väter) in der himmlischen Wolke gleich.
Textkritischer Apparat
- recubans Bischofschronik im Chronicon; celebris recubas Brusch, Zorn-Wilck, Kraus.
- rupe patres Bischofschronik im Chronicon, Chronicus liber, Lateinische Bistumschronik, Brusch, Wormser Bischofschronik, Zorn-Wilck, Kraus. Möglich wäre auch nube patres.
Anmerkungen
- Bischofschronik: „Supra ianuam ecclesie Nuhusen“; Brusch: „de qua dedicatione extant in eius templi saxo quodam tales versiculi“; Zorn-Wilck: „Von welcher Einweihung vor der Zerstörung in einem Stein volgende Vers gestanden“; Schannat: „... versus sequentes ... in fronte Templi exstare voluerunt“; zum problematischen Überlieferungsstrang vgl. oben Kap. 4.
- Zorn, Chronik bei Arnold 29; urkundlich ist der Name Neuhausen 897 in der Urkunde König Arnulfs belegt, MGH DArn. 157. Der Name auch in der Umschrift des Stiftsiegels, die mit der dritten Zeile der Paradiesinschrift übereinstimmt, vgl. Siegel bei Schannat.
- G. Kaster, Art. Dionysius, Übersicht, in: LCI 6 (1974) Sp. 59, H. Meinhardt, Art. Dionysius A. Einleitung, in: LdM 3 (1985) Sp. 1076.
- D. Kimpel, Art. Dionysius von Paris, in: LCI 6 (1974) Sp. 61f.; A. Patschovsky, Art. Dionysius von Paris, in: LdM 3 (1985) Sp. 1077f.
- Vgl. H. Meinhardt, Art. Dionysios Are(i)opagites (IV.), in: LdM 3 (1985) Sp. 1082f. Zur mittelalterlichen Diskussion der Identifizierungsthese vgl. D. Luscombe, Denis the Pseudo-Areopagite in the Middle Ages from Hilduin to Lorenzo Valla, in: Fälschungen im Mittelalter I 133-152, 140ff. zum 9. Jh.
- Villinger 93f. Nr. 175ff.; vgl. auch Helwich, Annales Laureshamenses 25f. u. ders., Prodromus 17f.
- C. Brühl, Königspfalz und Bischofsstadt in fränkischer Zeit, in: RhVjbll. 23 (1958) S. 263ff.; vgl. auch oben S. CVff.
Nachweise
- Jüngere Bischofschronik im Chronicon Wormatiense saeculi XV 23*.
- Chronicus liber antistitum fol. 9v.
- Lateinische Bistumschronik fol. 12v.
- Brusch, Epitomes I fol. 108.
- Wormser Bischofschronik fol. 25v.
- Zorn-Wilck (W) 624, (M) 752.
- Schannat, Hist. ep. Worm. I 109.
- Joannis, Rerum Moguntiacarum vol. II 108.
- F.X. Kraus, Horae Belgicae, in: Bonner Jbb. 50/51 (1871) 223.
- Ders., Christliche Inschriften II 83 Nr. 185.
- Villinger, Beiträge Neuhausen 72 Nr. 9.
- Fabry, Cyriakusstift 13 Anm. 15.
Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 282† (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0028208.
Kommentar
Das in durchaus verdächtigem Zusammenhang überlieferte Distichon, alle von der Bischofschronistik abhängigen Berichterstatter führen schließlich vorgebliche Inschriften meist zu Epitaphien von Wormser Bischöfen auf, stand nach aller Wahrscheinlichkeit am Eingang zur Stiftskirche. Zitiert wird die Inschrift anläßlich der Gründung und Weihe des Cyriakusstiftes durch den Wormser Bischof Samuel im Jahre 847. In elegischen Distichen rekapituliert sie Stationen der örtlichen Geschichte; zunächst königliche Pfalz, dann eine von König Dagobert I. (622-638) dem heiligen Dionysius geweihte Kirche, wurde Neuhausen von Bischof Samuel mit einer Klerikergemeinschaft ausgestattet, neu erbaut und mit der Reliquie des hl. Cyriakus aus Rom bedacht. Angeblich erhielt der Platz von Samuel und durch die Gründung den Namen „Neuhausen“,2) der auch in der anspielungsreichen Inschrift versteckt ist. Unter Ariopagita ist Dionysius Areopagita zu verstehen, der das gesamte Mittelalter hindurch in der offiziellen Lehre als identisch mit Dionysius von Paris galt;3) dessen Kult hätte dann König Dagobert I. von seinem Hauskloster St-Dénis an den Rhein übertragen.
Durch den Verlust der Inschrift gestaltet sich eine Datierung naturgemäß recht schwierig. Sie selbst präsentiert sich als mit der Gründung des Cyriakusstiftes zeitgenössisch, was auch ohne die prekäre Überlieferungslage wenig wahrscheinlich wirkt: Die Verklausulierung „Ariopagita“ = Pseudo-Areopagita = Dionysius Areopagita = Dionysius von Paris, dessen Patronat die Kirche begründete, kann so nicht kurz nach den ersten Identifizierungen dieser Art durch die Äbte Fulrad (750-784) und Hilduin (†844) von St-Dénis und Erzbischof Hinkmar von Reims4) entstanden sein. Die Identifizierung war zwar Voraussetzung für eine feierliche Übersendung der Dionysaca Kaiser Michaels II. an Ludwig d.Fr.; ihre Verbreitung verdankt sie jedoch der um 832 entstandenen Passio s. Dionysii Hilduins von St-Dénis.5) Eine inschriftliche Umsetzung in der vorliegenden Form ist dennoch erst in Zeiten gelehrsamer Beschäftigung mit der Stiftsgeschichte und den Heiligen wahrscheinlich. Gut vorstellbar wäre die Anbringung der Inschrift im Zuge einer Neugestaltung des Kircheneinganges nach den Zerstörungen von 1460; 1479 wurde im Rahmen von Wiederaufbauarbeiten etwa am Fußbogen gearbeitet, bei welcher Gelegenheit man die Gebeine Bischof Samuels wiederfand.6) Die Gewährsleute der Inschrift rückten sie dann lediglich in den ihnen bekannten Gründungszeitraum. Allein Andreas Wilck, der Fortsetzer der Zornschen Chronik, zitiert diese und die folgenden Inschriften anläßlich der pfalzgräflichen Einnahme des Stiftes im Jahre 1565; wenn er sie dabei auf Zerstörungen bezieht, meint er die aktuellen und datiert so auf „vor 1565“.
Die Inschrift dürfte aus denselben lokalen Traditionen schöpfen wie die ähnliche, aber eben erst beim Kirschgartener Chronisten (bis 1501) faßbare Gründungsgeschichte des Stiftes aus der Kirche einer königlichen Pfalz, deren merowingischer Ursprung aber nicht nachgewiesen werden konnte.7)