Inschriftenkatalog: Stadt Worms

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 29: Worms (1991)

Nr. 259 Liebfrauenstift 1465

Beschreibung

Inschrift der Bauvollendung. Innen am nordwestlichen Pfeiler des nördlichen Querhauses. Schmucklos gerahmte Tafel aus rotem Sandstein mit sechszeiliger, erhabener Inschrift, heute die Buchstaben schwarz ausgemalt auf weißem Hintergrund. Eine weitere Zeile steht auf dem beschädigten unteren Rahmen, nur die untere Hälfte der Buchstaben mit Rautenfüßchen ist erkennbar. Paragraphenförmig ausgezogene Punkte als Worttrenner selten deutlich sichtbar.

Maße: H. 47, B. 55,5, Bu. 4,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel, erhaben.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Dr. Rüdiger Fuchs) [1/1]

  1. + an(n)o · d(omi)ni · m · cccc / lx va) · inb) · die · cruc(is)c) / · p(er)fectv(m) · est · / hoc · monastriv(m)d) / It(em)e) · die seccler hab(en) / dis datv(m) · lasenf) · / [hawe(n) · g.. · ..... · .....]g)

Übersetzung:

Im Jahre des Herrn 1465, am Kreuztage, ist dieses Kloster(gebäude) vollendet worden. So haben die Säckler? dieses Datum hauen lassen.

Datum: 14. September 1465.1)

Kommentar

Schrifttyp und geringer Zeilenabstand bewirkten bei dieser relativ gut erhaltenen Inschrift einige Buchstabenunregelmäßigkeiten, die in den Anmerkungen belegt und unter Umständen auf Restaurierungen zurückzuführen sind; z.B. war der 4. Schaft des Wortes seccler nach der Abb. bei Villinger früher länger.

Die Inschrift gedenkt der Bauvollendung im Jahre 1465; wie weit der Kirchenbau wirklich gediehen war, geht freilich nicht daraus hervor. Schiffe und Chor werden funktionsbereit gewesen sein, obwohl sich spätere Baumaßnahmen bei Fenstermaßwerken, in Sakristei und Kreuzgang stilistisch und anhand von Steinmetzzeichen feststellen lassen; städtische Bauquittungen reichen bis zum Ende des Jahrhunderts.2) Eine Verschiebung der obigen Datierung auf die früher diskutierte und angenommene Jahreszahl 1468 läßt sich damit nicht rechtfertigen; ebensowenig tun das Nachrichten zu städtischem Bauengagement, das päpstliche und bischöfliche Schreiben anscheinend für künftige Baumaßnahmen, Erweiterungen und Reparaturen, wünschten.3)

Für die Identifizierung der „Säckler“ lassen sich mehrere Hypothesen gewinnen. Gedacht wurde an Sack- oder Taschenmacher oder an die Zukunft der Sackträger, die sich mit der Tafel verewigt hätte, da ihr Wappen als eines der wenigen in den Gewölben fehlt.4) Im Zusammenhang mit dem Abschluß des Kirchenbaues kommt der Bedeutung „saccellarii/Schatzmeister“ hier dann im Sinne von Kirchenrechner, höhere Wahrscheinlichkeit zu.5) Seit 1458 gab es für Liebfrauen vier Baumeister, je zwei von Stift und Stadt, die die Baufinanzierung und Rechnungslegung zu überwachen hatten.6) Ob der Wechsel in die deutsche Sprache bei diesem Wort aus Formulierungsschwierigkeiten des mit der lateinischen Sprache ohnehin wenig vertrauten Steinmetzen entstand, sei offen gelassen. Denkbar wäre dann, daß dieser Teil der Inschrift selbständig in Kreisen eben jener städtischen Amtsträger oder gar der Handwerker entstanden und nicht vom Stift angeregt oder gar in Form einer Textvorlage autorisiert gewesen wäre.

Die Bezeichnung „monasterium“ knüpft an den alten und weiterhin gebräuchlichen Namen der Keimzelle des Liebfrauenstifts „capella beate virginis Marie...que olim vetus monasterium vocabatur et adhuc eodem titulo convenienter insignitur...“ an.7)

Textkritischer Apparat

  1. 1468 lasen Falk. – F. J. Schmitt, Die ehemalige Stiftskirche zum Heiligen Geist und die Bibliotheca Palatina in Heidelberg, in: Beilage zur Wormser Zeitung 135 (1894) Nr. 120 u. 122, zusammengefaßt in QHV NF. 1,14 (1894) 489f. – Kranzbühler, Bender, Villinger, Dehio/Gall 80, Dehio/Caspary 11013. – Ebd. 21168 auf 1465 verbessert.
  2. Da ohne i-Punkt ist die Bedeutung iii nicht auszuschließen. Eine Trennung von der v wäre bei viii jedoch ungewöhnlich, ein in vor die dagegen üblich.
  3. Das zweite c gleicht einem e.
  4. Sic; die Brechung des langen s gleicht der des e wegen Raummangels.
  5. I- oder Y-Versalie mit gespaltenem Schaftkopf; die Auflösung zu Item stimmt zwar mit der bei Capelli 190 überein, schließt jedoch nicht zwingend an; denkbar wäre auch Ita.
  6. Das s gleicht einem c wegen der Zeilendrängung. – Kranzbühler las ...die Waltrhaudis · datum. – Die beiden vorletzen Zeilen fehlen bei Falk, Kdm., Bender, Villinger.
  7. Nach dem aus Buchstabenunterhälften lesbaren hawe(n) lassen sich 18 Schäfte und wohl 3 bis 4 Punkte auf Zeilenmitte erkennen; für die Auflösung ergaben sich bislang keine Anhaltspunkte. Diese Buchstabenreste wurden bisher übersehen.

Anmerkungen

  1. Kreuztag ist eher Kreuzerhebung, „exaltatio crucis“ (14. September), als Kreuzauffindung, „inventio crucis“ (3. Mai), nach Grotefend, Zeitrechnung 109f.
  2. Bender 53f. Die Akten des Morschheimer Prozesses, StA Worms, Abt. 1 Bd. 1849, bezeugen ebenfalls die Beteiligung der Stadt in der Zeit der Bauvollendung und danach.
  3. Schannat, Hist. ep. Worm. I 144. – Quittungen mit den Namen städtischer Baumeister haben sich im StA Worms, Abt. 1 Bd. 1853 erhalten.
  4. Vgl. Schalk u.a. 27 u. Zunftlisten bei Boos, Quellen III 305. „Seckler“ als Bezeichnung eines Handwerks in Ratslisten bei Kraus, Quellen I 92 und II 127 zu Seobald Rausch von Wimpfen mit der Bemerkung „Artificio ein seckler“.
  5. Diese Bedeutungsvariante verdanke ich einer Anregung von Herrn Dr. Helmut Hartmann, Bechtheim.
  6. Bender 53f. Die städtischen Baumeister des Jahres 1465 hießen übrigens Jakob Daub und Johann Wolff gen. Kobel, vgl. die Quittungen wie oben Anm. 3.
  7. Vgl. die Stiftungsurkunde des Liebfrauenstifts vom 31. Oktober 1298 bei Boos, UB I 319 Nr. 483. – E. Kranzbühler, Das „Alte Münster“ in Worms, in: AHG NF 7 (1910) 454-83 versuchte im „Alten Münster“ die Bischofskirche Burchards I. nachzuweisen, ohne jedoch Zustimmung zu finden.

Nachweise

  1. Falk, Heiliges Mainz 70.
  2. Kdm. Worms 211.
  3. Kranzbühler, Worms und die Heldensage 146 u. 236 Anm. 260.
  4. Bender, Liebfrauenkirche 53.
  5. Villinger, Unser Lieben Frau zu Worms (1948) 19 (Nachzeichnung).
  6. Ders., Kirche Unserer Lieben Frau zu Worms (1962) Abb. S. 10, (1963) Abb. S. 12.
  7. Schalk u.a., Kirche Unserer Lieben Frau 26 u. Abb. S. 4.

Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 259 (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0025904.