Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 520 Rathaus 1578

Beschreibung

Gemälde des Himmlischen Jerusalem und des Erscheinens Christi am Jüngsten Tag nach der Offenbarung des Johannes. Öl auf Leinwand. Das Gemälde hängt links an der Ostwand der Großen Ratsstube. In der linken Bildhälfte das im Quadrat angelegte Himmlische Jerusalem, dessen Tortürme mit den Tituli A der zwölf israelitischen Stämme bezeichnet sind (nach Off. 21,12). Vorne auf der Stadtmauer die Inschrift B sowie die Reste einer weiteren Inschrift C unten links vor der Stadtmauer. Oberhalb der Stadt der thronende Gottvater umgeben von den vier Tieren nach Off. 4,6–8, vor dem Thron das Agnus Dei, darüber die Taube des Heiligen Geistes, zu beiden Seiten des Throns die Inschrift D. Unter der Darstellung verläuft über die halbe Breite des Gemäldes die Inschrift E in Gold auf schwarzem Grund. In der rechten Bildhälfte Christus und das apokalyptische Weib mit den zwölf Sternen über ihrer Krone und der Mondsichel zu Füßen, es kniet auf einem mit dem Titulus F bezeichneten Folianten; Christus ist die Inschrift G als wörtliche Rede zugeordnet, das apokalyptische Weib ist durch den Titulus H bezeichnet und ihr ist die Inschrift I zugeordnet. Begleitet wird sie von drei Putten, die durch die Tituli J als Tugenden bezeichnet sind. Oben links und rechts von Christus jeweils ein apokalyptischer Engel mit Schriftband, darauf die Inschriften K und L, in Begleitung zweier Engel mit Posaune. Vor dem Apokalyptischen Weib der besiegte Drache, hier allerdings nur mit einem Kopf, bezeichnet durch den Titulus M. Darunter am Boden liegen die besiegten Mächte: der Teufel, der Türke, der Tod, der Papst, der kaiserliche Doppeladler und das Standbild des Monarchienmannes, alle durch die Tituli N bezeichnet. In der rechten unteren Bildecke die Inschrift O, unterhalb der rechten Bildhälfte die Inschrift P in Gold auf schwarzem Grund.

Maße: H.: 179 cm; B.: 320 cm; Bu.: 1,5–3 cm (A–O), 3 cm (P).

Schriftart(en): Kapitalis (A, B, D, G–J, M–O), Fraktur (C, E, F, K, L, P).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/6]

  1. A

    RVBEN. // IVDA // LEVI // NAPTHALI // ASSER // GAD // SEBVLON // ISASCHAR // SIMEON // DAN. // BENIAMIN // IOSEP.

  2. B

    VND ICH SAHE EINEN NE-//WEN HIMEL VND EINE NEWE / ERDEN DENN DER ERSTE // HIMEL VND DIE ERSTE ERDEN / VERGIENGa) APOC. XXI1)

  3. C

    Weil wir [ – – – ] / [...]rach [....]erd[ – – – ]

  4. D

    SIHE ICH MACHS // ALLES NEW. APO. 212)

  5. E

    Denn sihe Jch wil einen newen Himel vnd newe Erde schaffen das man der vorigen nicht mehr / gedencken wird noch zv hertzen nemen. Jesaja LXV.3) Wir warten aber eines newen Himels vn(d) / einer newen Erden nach seiner Verheissung in welchen Gerechtigkeit wonet. 2. Peter. 3.4)

  6. F

    Gotts Word

  7. G

    IA ICH KOME BALD. APOC. XXII5)

  8. H

    SPONSA CHRISTI

  9. I

    KHVM MEIN FREVNDT. / CANTICA. 8.6)

  10. J

    FIDES // SPES // PATIENTIA

  11. K

    Furchtet Gott vnd Gebet im die Ehre den die Zeit seines Gerichts ist komen apo.7)

  12. L

    Herr allmechtiger Gott deine gericht sind warhaftig vnd gerecht.8)

  13. M

    DIABOLVS

  14. N

    DER TVRCK // MORS // DER BAPST. // GERMANIA //BABILONIA. // MEDIA // PERSIA // GRECIA. // ROMANIA. // CONSTANTINOPOLI(S).

  15. O

    DANIEL FR(ESE) INVE(NTOR) / 1578.

  16. P

    Wenn Christus das Reich Gotte vnd dem Vater vberantworten wird wenn er auffheben wird / alle Herrschafft vnd alle Oberkeit vnd Gewalt Er mus aber herrschen bis das er alle seine / Feinde vnter seine Fusse lege. Corinther. XV.9) 1578.

Übersetzung:

Die Braut Christi. (H)

Glaube. Hoffnung. Geduld. (J)

Der Teufel. (M)

Der Tod. (N)

Daniel Frese, der Urheber. (O)

Kommentar

Zu dem Maler Daniel Frese vgl. Nr. 436 u. 466, allgemein zu den Gemälden in der Großen Ratsstube sowie zu ihren Schriftformen vgl. Nr. 494 u. Einleitung, Kap. 7.4./7.5. Zu den druckgraphischen Vorlagen vgl. Haupt, wonach das Himmlische Jerusalem nach einem Kupferstich Johannes Sadelers gemalt sein soll.10)

Allerdings greift dies sehr kurz, denn entscheidend ist weniger die bereits im Bibeltext exakt beschriebene viereckige Anlage des Himmlischen Jerusalems als vielmehr dessen Farbigkeit. Daniel Frese hat hier den Text der Apokalypse detailgenau in Farben umgesetzt (Off. 21,10–22,5): die weißen Tore aus Perlen (vnd auff den thoren ... namen geschrieben/ welche sind die zwelff Geschlechte der kinder Jsrael ... Vnd die zwelff Thor waren zwelff Perlen), die goldenen Straßenzüge (vnd die Gassen der Stad waren lauter Gold als ein durchscheinend Glas), das vom thronenden Gott und dem Lamm ausgehende Licht, das in die Stadt fließt (Vnd er zeiget mir einen lautern Strom des lebendigen Wassers / klar wie ein Christal / der gieng von dem stuel Gottes / vnd des Lambs / mitten auf jrer gassen).11) Eine weitere Besonderheit des Bildes liegt darin, dass im linken Teil des Gemäldes das Apokalyptische Weib12) durch die ihr zugeordneten Inschriften mit der Braut Christi aus dem Hohen Lied gleichgesetzt wird, zugleich aber – ebenfalls durch die Inschriften – als das neue Jerusalem, das mit einer geschmückten Braut gleichgesetzt wird (Off. 21,2). Für den Dialog zwischen Christus und dem Weib wurden Texte aus dem Ende der Offenbarung (G) und aus dem Hohen Lied (I) miteinander verbunden, um diese Verknüpfung deutlich zu machen. Dass das Apokalyptische Weib auf einem Folianten mit der Bezeichnung Gotts Word kniet, bringt eine protestantische Komponente ins Spiel. Am Ende der Vorrede Luthers zur Offenbarung heißt es: So allein das wort des Euangelij bey vns rein bleibt / vnd wirs lieb und werd haben / So sollen wir nicht zweiueln / Christus sey bey vns vnd mit vns / wens gleich auffs ergeste gehet. Auch der im unteren rechten Teil des Bildes dargestellte Weltuntergang orientiert sich an Luthers Interpretation des alttestamentlichen Bibeltextes Dan. 2 in seiner sehr ausführlichen Vorrede zu diesem Kapitel bzw. an seiner Erweiterung des Bibeltextes Dan. 2,41 um den Papst und Karl d. Großen, denn hier liegen sowohl das durch einen Stein zerschmetterte Standbild des Monarchienmanns als auch durch den Tod vernichtet der Türke, der Papst und der Reichsadler, dem die beiden Kronen von den Köpfen gefallen sind. Das Bild-/Textprogramm dieses Gemäldes kann in seiner Vielschichtigkeit als das komplizierteste unter den Gemälden der Ratsstube gelten; es ist zu vermuten, dass der INVENTOR Daniel Frese bei seiner Konzeption Beratung aus dem Kreis hochgebildeter Lüneburger Theologen um Lucas Lossius und Thomas Mawer erfuhr.

Bode verzeichnet 1860 für St. Lamberti ein von Daniel Frese gemaltes und auf 1594 datiertes Gemälde der Stadt Jerusalem, dessen Teile ebenfalls durch – von ihm nicht überlieferte – Inschriften bezeichnet waren, und charakterisiert den damaligen Zustand des heute nicht mehr erhaltenen Gemäldes als äußerst schlecht.13)

Textkritischer Apparat

  1. Am Wortende eine Beschädigung, die kein Urteil darüber erlaubt, ob hier nur VERGIENG oder VERGIENGE(N) stand.

Anmerkungen

  1. Off. 21,1.
  2. Off. 21,5.
  3. Jes. 65,17. Vgl. Off. 21,1, Inschrift B.
  4. 2. Pt. 3,13. Vgl. Off. 21,1, Inschrift B.
  5. Off. 22,20.
  6. Hl. 7,12.
  7. Off. 14,7.
  8. Off. 16,7.
  9. 1. Ko. 15,24f.
  10. Haupt, Ratsstube, S. 181f. Vgl. a. Uppenkamp, Ikonographie, S. 322f.
  11. Die Zitate hier alle nach der Lutherbibel 1545.
  12. Da Haupt (Ratsstube, S. 181f.) offenbar die Darstellung des Apokalyptischen Weibes übersehen hat und die Frauengestalt nur als Braut Christi interpretiert, entgeht ihr diese Dimension des Bildes. Auch ihre Feststellung, das Gemälde zeige die Erfüllung der Prophezeiungen Daniels 7,26–28, lässt sich an dem Gemälde nicht nachvollziehen, zumal hier eine Darstellung des apokalyptischen Tiers mit seinen die Reiche symbolisierenden Hörnern fehlt.
  13. Bode, Kirchen, Nr. 252.

Nachweise

  1. Tipton, Res publica, S. 358.
  2. Haupt, Ratsstube, S. 179–181 mit Abb. (ohne L).
  3. Uppenkamp, Ikonographie, S. 322f. (B, D, E, N–P) mit Abb. 77.

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 520 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0052007.