Inschriftenkatalog: Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 99 Obernkirchen, Stift 1515

Beschreibung

Flügel eines Altarretabels. Holz, farbig gefasst. Es handelt sich um den linken Flügel eines großen Flügelaltars.1) Das aus Obernkirchen stammende Objekt, das sich im Bestand des Museums Eulenburg in Rinteln befand, wurde bald nach dem Jahr 2000 an das Stift Obernkirchen zurückgegeben.2) Zum Zeitpunkt der Aufnahme im Sommer 2009 wurde es in einem Nebenraum des Refektoriums aufbewahrt. Der Flügel besteht aus einem Sockel und drei Fächern, die durch senkrechte Leisten in zwölf annähernd quadratische Felder eingeteilt sind. Sie beherbergten wohl ursprünglich Reliquien oder geschnitzte Figuren. Der Altarflügel wird oben durch einen Kamm abgeschlossen. Die nicht mehr originale Rückwand ist mit Stoff bezogen. Am vorspringenden Sockel ist die Inschrift erhaben in vertiefter Zeile ausgeführt. Sie ist in Gold auf blauem Grund gefasst. Als Worttrenner ein Flechtbandornament, ein Dreipass und Rosetten.

Maße: H.: 179 cm; B.: 147 cm; Bu.: 8,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Inga Finck) [1/1]

  1. Ihesus · maria // Anna · M · ccccc · xv

Kommentar

Die Schrift ist als Bandminuskel, d. h. mit umgeschlagenen und gefalteten Bändern gestaltet; hinzu kommen vielfältige Zierformen. Die Buchstaben von Ihesus, maria und Anna sind jeweils durch ein Flechtband auf mittlerer Höhe miteinander verknüpft. Zwischen Ihesus und maria ist das Band zu einem Ornament verschlungen.

Am oben gespaltenen Schaft des h links ein Dorn. Beim zweiten s in Ihesus ist der Diagonalstrich als Dolch gestaltet, um den sich das untere Bogenende bandartig windet.3) Die Fahne des r in maria als Quadrangel mit unten angesetztem Zierstrich, der in einer bis unter die Grundlinie reichenden Schlinge ausläuft. Der Balken des x ist durch den senkrecht gestellten linksschrägen Schaft hindurchgesteckt, was der Schrift zusätzliche Plastizität verleiht.

Eine vergleichbare Bandminuskel findet sich auch auf dem Altarretabel des Hochaltars (zu dessen Datierung s. Nr. 116).

Die in spätgotischer Faltwerk-Ornamentik geschnitzte verlorene Rückwand des Altarflügels ähnelt einem ebenfalls im Stift Obernkirchen befindlichen Stollenschrank (Nr. 119), einem Lesepult (Nr. 120), einem Stuhl4) und einem Gestühl, das dieselben Wappen aufweist wie der Hochaltar: das der Priorin Helena von Bennigsen (1492 bis mindestens 1526) und des Propstes Johann Busse (1516 bis ca. 1526).5) Das Gestühl kann somit in die Zeit zwischen 1516 und etwa 1526 datiert werden. Vermutlich sind alle genannten Stücke innerhalb einer kurzen Zeitspanne in derselben Tischlerwerkstatt entstanden.

Anmerkungen

  1. Am rechten Rand sind zwei Scharniere angebracht. Das Stück ist sicherlich mit dem Objekt identisch, dessen rückwärtige Ansicht in Kdm. Kreis Grafschaft Schaumburg, Tafel 107 abgebildet ist. Der Altarflügel war ursprünglich von einem Kruzifix bekrönt.
  2. Mündliche Mitteilung von Stefan Meyer (Museum Eulenburg Rinteln).
  3. Ein ähnliches s in einem Christusmonogramm in Nr. 53.
  4. Kdm. Kreis Grafschaft Schaumburg, Tafel 112.
  5. Kdm. Kreis Grafschaft Schaumburg, S. 86 u. Tafel 105. Zu den Amtszeiten vgl. Brosius, Stift Obernkirchen 1167–1565, S. 206f.

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 99 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0009900.