Inschriftenkatalog: Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 84 Kassel, Löwenburg 1505 o. später

Beschreibung

Glasmalerei.1) Die Glasmalereien stammen aus dem Stift Möllenbeck, ihr genauer Anbringungsort lässt sich jedoch nicht rekonstruieren. Sie wurden 1798 vom hessischen Landgrafen Wilhelm IX. erworben und in die Kapelle der Löwenburg im Bergpark Wilhelmshöhe eingebaut, zunächst ohne sinnvolle Anordnung; in den 1880er-Jahren wurden sie neu angeordnet und durch die Glasmaler Heinrich und Ludwig Ely (Kassel) großflächig ergänzt.2) Möglicherweise nehmen aber die Ergänzungen ältere Inschriften auf. Bei der Unterscheidung von Originalteilen und Ergänzungen folgt die vorliegende Edition dem im Corpus vitrearum medii aevi in Schemazeichnungen wiedergegebenen Befund.3) Die ergänzten Inschriftenteile werden in der Edition in spitzen Klammern wiedergegeben. Zum Zeitpunkt der Erstellung des vorliegenden Katalogartikels wurden die Glasmalereien im Depot des Hessischen Landesmuseums aufbewahrt. Sie werden hier nach Fotografien des Corpus Vitrearum medii aevi ediert.

Vorhanden sind insgesamt 16 Scheiben sowie drei Fragmente. Sechs Bildfelder entstammen einer Wurzel-Jesse-Darstellung, fünf davon mit Inschrift. Zur Wurzel-Jesse-Darstellung gehörten vermutlich auch zwei Scheiben mit Wappen, die jedoch aus ursprünglich nicht zusammengehörigen Teilen zusammengesetzt sind.4) Sechs Scheiben gehören einem Passionszyklus an, davon eine Scheibe mit Inschrift. Zwei weitere Scheiben zeigen Heiligendarstellungen (ohne Inschrift). Hinzu kommen zwei sechspassförmige Engelsdarstellungen, deren eine eine Inschrift aus jüngerer Zeit zeigt,5) sowie ein Scheibenfragment, das die gefesselten Hände Christi zeigt (ohne Inschrift).6)

Die sechs vorhandenen Scheiben der Wurzel-Jesse-Darstellung bildeten zusammen ursprünglich die Verglasung eines Fensters. Wahrscheinlich setzte sich die Reihe rechts mit zwei weiteren Fenstern fort.7)

Die vorhandenen Bildfelder der Wurzel-Jesse-Darstellung sind in zwei nebeneinanderliegenden Kolumnen angeordnet, wie sich aus dem Rankenwerk ergibt, das an mehreren Stellen von den rechten in die linken Bildfelder hinüberreicht. In jeder Kolumne sind vier Gestalten übereinander dargestellt. In den Ranken der Wurzel sind Schriftbänder eingehängt. Diese Inschriften, die in Fraktur gestaltet sind, sind jeweils in einer von schwarzen Linien begrenzten gelborangen Schriftzeile in Schwarz aufgemalt. Bis auf eines wurden diese Schriftbänder im 19. Jahrhundert ergänzt. Ferner finden sich teilweise Inschriften in Kapitalis auf den Gewandsäumen, die ebenfalls in einer von schwarzen Linien begrenzten gelben oder orangefarbenen Schriftzeile in Schwarz aufgemalt sind; auch hier finden sich teilweise Ergänzungen des 19. Jahrhunderts. Im linken unteren Bildfeld ist Jesse sitzend dargestellt (ohne Inschrift). Im linken mittleren Bildfeld der kniende König David mit Krone und Szepter, zu seiner Linken ein Schriftband mit der Inschrift A1, auf einem Gewandsaum auf seiner Brust Inschrift A2, am Saum seines Hemds Inschrift A3. Vom linken mittleren bis ins obere Bildfeld erstreckt sich die Gestalt des sitzenden Königs Salomo mit Krone; hinter seinem Kopf am linken Bildrand ein Schriftband mit der Inschrift B1. In der oberen Hälfte des linken oberen Bildfelds mit gebeugtem Knie König Roboam mit Szepter, zu seiner Rechten ein Schriftband mit der Inschrift B2.

In der rechten Kolumne im unteren Bildfeld mit gebeugtem Knie König Abia, zu seiner Rechten ein Schriftband mit Inschrift C1, auf dem Saum seines vielfach gefalteten Mantels die Inschrift C2. Die Wiedergabe in der vorliegenden Edition beginnt mit dem Saum an der Brust des Königs zunächst zu seinem rechten Arm hin. Der Anfang ist spiegelverkehrt gearbeitet und von oben nach unten zu lesen. Der Saum ist dann nach oben gewendet und anschließend nach außen umgeknickt und läuft bis zur rechten Schulter. Von der linken Schulter verläuft die Inschrift wieder nach unten und ist auf Höhe des Ellenbogens zur Brust hin umgeknickt. Zuletzt wird der Teil der Inschrift wiedergegeben, der auf einem Saumstück unterhalb des linken Arms zunächst von der Hand aus nach unten läuft und dann hinter dem Handgelenk wieder von unten nach oben.

Oberhalb von Abia im rechten mittleren Bildfeld mit gebeugtem Knie König Assa, der Szepter und Krone trägt, zu seiner Linken ein Schriftband mit der Inschrift D. Vom rechten mittleren bis ins obere Bildfeld erstreckt sich die Gestalt des Königs Achas mit gebeugtem Knie; er trägt Krone und Szepter. Zu seiner Rechten ein Schriftband mit Inschrift E1. Am oberen Rand des oberen rechten Bildfelds der sitzende Ezechia mit erhobenen Händen, zu seiner Rechten ein Schriftband mit Inschrift E2.

Eine Scheibe aus dem Passionszyklus zeigt fünf Assistenzfiguren zur Dornenkrönung. Auf dem Gewandsaum eines blau gekleideten Mannes von unten nach oben die Inschrift F.8)

Inschriften nach Fotografien des Corpus Vitrearum medii aevi.

Maße: H.: 107,5 cm (A), 139,5 cm (B), 108,5 cm (C), 108 cm (D), 139 cm (E), 107,3 cm (F); B.: 62,5 cm (A, C), 62 cm (B, D, F), 63,5 cm (E);9) Bu.: ca. 3,5 cm (A1), ca. 1,5 cm (A3), ca. 2 cm (C2), ca. 2,5 cm (F).

Schriftart(en): Fraktur (A1), frühhumanistische Kapitalis (A3, C2, F).

Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br.(Andrea Gössel) [1/1]

  1. A1

    Rex // D<avid ·>

  2. A2

    <RADIX>

  3. A3

    GERADV[ . ]

  4. B1

    <ex · Salom>

  5. B2

    <R(e)x Roboa>

  6. C1

    <· Rex : Abia ·>

  7. C2

    VMEN[ . ] // <[ . ]N> // XIV // <N [ . . ]> // <ST [ . .> V]S [ . . ] // <EN> // [GVI] <FE NNEL> // [ . ]N

  8. D

    <Rex Assa ·>

  9. E1

    <Rex · // A haz>

  10. E2

    <Ezechia>

  11. F

    < [ . ]ONIV>M[ . ] // [ . . ]ON H // AB[ . ]a)

Kommentar

Folgende Merkmale der frühhumanistischen Kapitalis sind in den Inschriften A3, C2 und F erkennbar: konisches M, spitzovales O, A mit beidseitig überstehendem Deckbalken, in Inschrift F zusätzlich mit gebrochenem Mittelbalken, Ausbuchtung am Balken des H. Das E in VMEN ist unzial oder epsilonförmig gestaltet. Das G in Inschrift A3 ist leicht eingerollt. Die Gewandsauminschriften C2 und F sind vermutlich nur Verzierung und ergeben keine sinnvollen Wörter. Insbesondere C2 ist durch zahlreiche Knicke im Stoff sehr stark zerstückelt.

Inschrift A1, die der Analyse von Elena Kosina zufolge zum originalen Bestand gehören soll, ist in Frakturbuchstaben gestaltet. Es handelt sich dabei um den mit Abstand ältesten erhaltenen Beleg für diese Schriftart im vorliegenden Inschriftenbestand; in gemalter Ausführung ist ein so frühes Vorkommen der Fraktur allerdings eher denkbar als etwa in Stein.10)

Die Abfolge der dargestellten Vorfahren Jesu folgt Matthäus 1,6–9. Zwischen Assa und Achas sind Josaphat, Joram, Osia und Jotham ausgelassen. Darstellungen der Wurzel Jesse erlebten nach ihrer eigentlichen Hochblüte im Hochmittelalter eine erneute Blütezeit um 1500. Die vorliegenden Glasmalereien dürften ins beginnende 16. Jahrhundert zu datieren sein.11) Vermutlich wurden sie im Zuge der Neubaumaßnahmen des Stifts Möllenbeck angefertigt. Die hier angesetzte Datierung orientiert sich am Weihedatum der Kirche 1505. Kosina nimmt eine Entstehung der Glasmalereien in einer niederrheinischen Werkstatt an; sie verweist auf den stilistisch ähnlichen Jesse-Zyklus im Kölner Dom aus der Zeit um 1509.12) Möglicherweise ist Inschrift A3 als Künstlersignatur zu deuten.13)

Textkritischer Apparat

  1. M[ . ] // [ . . ]ON H // AB[ . ]] MC(?) CALONH / ABI Kosina.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. 4.2.518–526, 4.2.529–537; ein Fragment ohne Inv.-Nr.
  2. Kosina, Die mittelalterlichen Glasmalereien, S. 327–329 u. 336; vgl. Daniel Parello, Die mittelalterlichen Glasmalereien in Marburg und Nordhessen (Corpus vitrearum medii aevi III,3), Berlin 2008, S. 281. Weitere Restaurierungen erfolgten 1953 und 1976/77 (Kosina, Die mittelalterlichen Glasmalereien, S. 329).
  3. Kosina, Die mittelalterlichen Glasmalereien, S. 336–343.
  4. Eine Schreibe zeigt die Wappen Hoya und Klencke, die andere die Wappen Schweinfurt, Lippe und Waldeck sowie einen Teil der holstein-schaumburgischen Helmzier (vgl. Kosina, Die mittelalterlichen Glasmalereien, S. 336–338).
  5. I · H · S.
  6. Kosina, Die mittelalterlichen Glasmalereien, S. 339–343.
  7. Heutger (Stift Möllenbeck, 21987, S. 180) zufolge kam von drei Fenstern nur eines in Kassel an. Auf den vorhandenen Scheiben sind acht Vorfahren Jesu dargestellt. Im Matthäusevangelium werden 16 weitere genannt, die genau auf zwei weitere Fenster passen würden.
  8. Ganz besonderer Dank gilt Frau Elena Kosina (Corpus vitrearum medii aevi Freiburg), die mir freundlicherweise Bildmaterial zur Verfügung gestellt und bereits vor Drucklegung des von ihr erarbeiteten Bandes „Die mittelalterlichen Glasmalereien“ wertvolle Hinweise zum Befund der Ergänzungen gegeben hat.
  9. Maße nach Kosina, Die mittelalterlichen Glasmalereien, S. 339 u. 341.
  10. Vgl. Bornschlegel, Druckschriften und epigraphische Schriften, S. 223.
  11. Kosina, Die mittelalterlichen Glasmalereien, S. 329 u. 336; vgl. Parello (wie oben Anm. 2), S. 282.
  12. Ausführlich dazu Kosina, Die mittelalterlichen Glasmalereien, S. 332–335.
  13. Kosina, Die mittelalterlichen Glasmalereien, S. 335f.

Nachweise

  1. Fotografien im Bildarchiv des Corpus vitrearum medii aevi, Freiburg.
  2. Heutger, Stift Möllenbeck, 21987, S. 272 (C1, C2 (Abb.)).
  3. Kosina, Die mittelalterlichen Glasmalereien, S. 339, 341 u. Abb. 238–248, S. 569–574.

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 84 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0008405.