Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 623 Heuerßen, St. Jürgen 1645?

Beschreibung

Epitaph für Christian von Münchhausen. Stein. Das Epitaph ist an der südlichen Außenwand der Kirche angebracht. Es besteht aus einer hochrechteckigen Platte, die von einem Aufsatz bekrönt wird. Auf dem Rand der Platte läuft Inschrift A um, die unten links auf der äußeren Rahmenleiste ergänzt wurde. In der linken unteren Ecke vor dem Wort SCHELMISCHE[R] sowie vor IAMERLICH jeweils ein Einfügezeichen (S2). Im Innenfeld ein vertieftes Schriftfeld, das mit der in drei Zeilen verlaufenden Inschrift B als Überschrift beginnt. Darunter ist die Inschrift C in zwei durch einen Steg voneinander getrennten Kolumnen angeordnet, unter dieser Rankenwerk. In den Ecken des Innenfelds vier Vollwappen mit den Beischriften D, die Beischriften zu den unteren Wappen sind auf der inneren Rahmenleiste angebracht. Inschrift A erhaben in vertiefter Zeile mit eingehauener Ergänzung; die Inschriften B und C sind erhaben in vertieftem Feld ausgeführt, die Wappenbeischriften D sind eingehauen. Im Aufsatz ein umkränztes Medaillon mit einem Hüftbild des Verstorbenen im Relief. Dieser ist in Rüstung dargestellt, seine linke Hand legt er auf seinen Helm.

Maße: H.: 305 cm; B.: 132 cm; Bu.: 3,5 cm (A), 2,5 cm (Ergänzung zu A), 2,5–5 cm (B), 3,7 cm (C), 2 cm (D).

Schriftart(en): Kapitalis mit Versalien und Minuskel-t.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Inga Finck) [1/3]

  1. A

    CHRISTIAN VON MVNCHAVSEN LVDOLFS SELI/GEN SOHN IST GEBOHREN ZV REIMERINGHAVSE[N]a) DEN [5]b) SEPTEMBR(IS) AN(N)O 1612 VND AN(N)O 1643 DE(N) / 27 MARTIJ VON S[EIN]ENc) EIGENE(N) BEHÖRIGENd) LEVTE(N) / SCHELMISCHE[R] WEISEe) / IAMERLICH ZV LINDHOSTf) ERMORDET DVRCH HERMEN SAVREN DESSEN SELE GOTT GNEDICH SEIJ

  2. B

    MONVMENTVM / PIJ DEFVNCTI ET OLIM [S]TRENVI NOBILIS / CHRISTIANI A MVNCHAVSEN

  3. C

    DES MENSCHEN LEBEN / HIE AVFF ERDEN / NICH THVTg) LANG WEHRN / ZVM KREIG G(E)ZÄHLT / ICH ALS EIN HELDT / ZOG FRÜH ZÜ FELtt / DA TAUSENT VIEL / ALL MORDLICH PFEIL / G(E)SCHOSSEN IN IJHL · / DOCH ICH DA WARDT / DURCH GOttS GNADT / GAR WOHL BEWARDT / ALSS ABER DORTT / EIN MORttLICH ROttH / WIEDER MICH TOBtt / DA MUST AUFFGEBEN / MEIN EDLES LEBEN / DAS MIR GOtt GEBEN / DA ICH ZUR STUNDT / OBSCHON MEIN MUNDt / NICHT SPRECHEN KUNDT / BEKENT MEIN SUNDT / VON HERtZE(N) GRUNDT / SIE MIR LEIJD SINDT // VND ALSO BIN / G(E)SCHLAFFEN IN(N) / DAS MEIN G(E)WIN1) · / AUFF IESUM CHRIST / IM GLAVBEN FEST / DA MICH VERLÄST / HIE MIT GWANDT / IN GOTTES HANDT / SCHNEL HINGERAND / ZU IESU CHRIST / DER MICH ERLÖST / NUN IST MEIN TROST / MEIN LEIB IM GRAB / HIE LIEGT BEWARDT / ZUM IUNGSTEN TAG / DEN(N) WERD AVFFSTEH(N) / ZU CHRISTO GEHN / INS EWIG LEBEN / VND DA IN FREWDT / IN EWIG-KEITT / BEIJ IHER2) BLEIBT / AMEN ·

  4. D

    [V(ON)] MVNCHAVSEN  V(ON) BISMARCK 
    D(IE) V(ON) BVSCH[E]  D(IE) SCHENKEN 

Übersetzung:

Denkmal des fromm verstorbenen und einstmals gestrengen, edlen Christian von Münchhausen. (B)

Versmaß: Deutsche Reimverse (C).

Wappen:
Münchhausen3)Bismarck5)
Busche4)Schenk6)

Kommentar

Die Schrift mit ihrer breiten Strichstärke, ihrer ausgeprägten Bogen- und Linksschrägenverstärkung und ihren zahlreichen Ligaturen gleicht derjenigen auf den Grabplatten für Iost Andreas Reineke (Nr. 584) und für Metta Rue (Nr. 583) aus dem Jahr 1633. Weitere charakteristische Merkmale sind die Doppel-t, die in der Mehrzahl der Fälle in Minuskeln (tt) ausgeführt sind, das Z mit schräggestellten und stark geschwungenen Balken sowie die Buchstabenverbindung IJ: Der Schaft des I ist unten nach rechts umgebogen und berührt den Schaft der I longa, der im Unterlängenbereich weit nach links gezogen ist; auf beiden Buchstaben jeweils ein i-Punkt. Der eingerollte Teil des Bogens der 6 füllt das gesamte Mittelband. In Inschrift C steht für die nach G ausgelassenen E jeweils ein Haken als Kürzungszeichen.

Der Anfang einer Dreierstrophe ist in Inschrift C jeweils durch einen Versal kenntlich gemacht. Die Strophenform aus jeweils drei auftaktigen zweihebigen Versen mit Endreim ist ungewöhnlich.

Christian von Münchhausen, Herr auf Remeringhausen, wurde dort am 5. September 1612 als Sohn des Ludolf von Münchhausen und der Anna von Bismarck (Nr. 413 u. Nr. 414) geboren. Er besuchte von 1627 bis 1629 die Schule im Stift Möllenbeck und studierte 1631 bis 1633 an der Universität Rinteln. Er zog für Herzog Georg von Braunschweig-Lüneburg in den Krieg, 1634 wurde er Kornet in schwedischen Diensten. Anschließend begab er sich auf Reisen in die Niederlande, nach England und Frankreich. 1637 kehrte er in seine Heimat zurück.7) Christian von Münchhausen starb unverheiratet.

Sein auch in der Inschrift thematisierter gewaltsamer Tod („schelmisch“ hier etwa in der Bedeutung von „betrügerisch, hinterlistig“, gebraucht8)), wird bei Treuer folgendermaßen beschrieben: „als er von Reimeringhausen […] nach Lindhorst den 27. Maj. 1643. [irrtümlich statt 27. März] gehen wolte, ward er von einigen rasenden Bauern, seinen eignen Unterthanen verfolget, davon der nechste ihm eine spitzige Forcke in den Kopf geworffen, daß sie darin stecken blieben und ist er gleich ohne weitere Empfindung zur Erden gefallen.“9) Christian von Münchhausen wurde auf einem Wagen nach Remeringhausen gebracht, wo er etwa eine Stunde nach dem Attentat verstarb.10) Der Täter war Hermann Sauer, ein Landwirt in Lindhorst, aus dessen Hof Christian von Münchhausen eine Kuh als Pfand wegführen wollte, weil Sauer seine Abgaben und Hand- und Spanndienste nicht pflichtgemäß leistete.11)

Christian von Münchhausen wurde am 30. Mai in Heuerßen bestattet.12) Über die Herstellung des Epitaphs schloss Ernst von Münchhausen, der Bruder des Verstorbenen, am 26. Dezember 1644 einen Vertrag mit dem Obernkirchener Bildhauer Jürgen (Georg) Tribbe. Mit der Anfertigung dürfte also nicht vor 1645 begonnen worden sein. Als Bezahlung wurden 40 Taler in Form von Getreide vereinbart.13)

Textkritischer Apparat

  1. ZV REIMERINGHAVSE[N]] fehlt Wiegmann.
  2. Ergänzt nach Leichenpredigt für Christian von Münchhausen.
  3. S[EIN]EN] ergänzt nach Wiegmann.
  4. BEHÖRIGEN] zugehörigen Wiegmann.
  5. SCHELMISCHE[R] WEISE] oberhalb der Zeile ergänzt.
  6. LINDHOST] statt LINDHORST.
  7. THVT] hat Wiegmann.

Anmerkungen

  1. Vgl. Phl 1,21: Denn Christus ist mein Leben / vnd Sterben ist mein Gewinn.
  2. Die Bedeutung des Worts IHER ist unklar. Möglicherweise liegt ein Haufehler vor; dafür spricht auch, dass das Versmaß an dieser Stelle gestört ist.
  3. Wappen Münchhausen (Mönch); vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 3, Abt. 2,1, S. 274 u. Tafel 325.
  4. Wappen Büschen (Lilie); vgl. Spießen, Wappenbuch, Bd. 1, S. 25 u. Tafel 58.
  5. Wappen Bismarck (Kleeblatt, mit drei Eichenblättern besteckt); vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 3, Reihe 3B, S. 5 u. Tafel 10.
  6. Wappen Schenk (zwei nach links laufende Wölfe (?) übereinander); vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 6, Abt. 11, S. 52 u. Tafel 30. Bei Siebmacher lautet die Blasonierung: zwei laufende Biber übereinander; angemerkt wird dazu: „Aeltere Siegel zeigen freilich Wölfe oder diesen ähnliche Tiere“.
  7. Leichenpredigt für Christian von Münchhausen, S. 92–102; vgl. von Lenthe/Mahrenholtz, Stammtafeln Münchhausen, Teil II, Nr. 313, S. 128; vgl. Nr. 217, S. 104f.
  8. DWB, Bd. VIII, Sp. 2519f. s. v. „schelmisch“.
  9. Treuer, Gründliche Geschlechts-Historie, S. 71.
  10. Leichenpredigt für Christian von Münchhausen, S. 115.
  11. Wiegmann, Christian von Münchhausen, S. 317f.
  12. Leichenpredigt für Christian von Münchhausen, Titelblatt. Von Lenthe/Mahrenholtz (Stammtafeln Münchhausen, Teil II, Nr. 313, S. 128) erwähnen neben dem Heuerßer Grabdenkmal ein für Christian von Münchhausen angefertigtes Epitaph an/in der Kirche zu Rinteln, das nicht nachgewiesen werden konnte. Vermutlich handelt es sich bei der Angabe um eine Verwechslung auf der Basis von Treuer, Gründliche Geschlechts-Historie, S. 71.
  13. B. Bei der Wieden, Außenwelt und Anschauungen Ludolf von Münchhausens, S. 203, Anm. 193.

Nachweise

  1. Wiegmann, Christian von Münchhausen, S. 318 (mit Abb.).
  2. Albrecht Wehling, Der Münchhausen-Denkstein an der Kirche zu Heuerßen, in: Die Heimat. Heimatbeilage zum Stadthagener Kreisblatt 4 (1933), Nr. 11, ohne Seitenzählung.

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 623 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0062302.