Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 550 Marburg, Hessisches Staatsarchiv 4. V. 16. Jh./1. V. 17. Jh.

Beschreibung

Landkarte.1) Öl auf Leinwand. Die gesüdwestete Grenzkarte zeigt den Verlauf der Grenze zwischen dem lippischen Amt Sternberg (im oberen Bereich in brauner Farbe dargestellt) und der Grafschaft Schaumburg (im unteren Bereich in grüner Farbe dargestellt); am linken oberen Rand das calenbergische Amt Aerzen, das als monochrome rotbraune Fläche ohne einzelne Orte dargestellt ist. Die Grenze selbst ist von links nach rechts als rote Linie eingezeichnet. Zu erkennen sind neben offenbar kultivierten Flächen (grün bzw. braun) ausgedehnte Waldgebiete (dunkelgrün mit stilisierten Baumkronen), ein Wegenetz (ockergelb) sowie der Verlauf der Weser und weiterer Bäche und Flüsse (graublau). Des Weiteren sind Dörfer und Städte mit ihrer realistischen Bausubstanz (Stift Möllenbeck, Rinteln mit Weserbrücke, Kirche von Silixen, Schloss Varenholz) abgebildet. Dörfer, Städte, Flurbezeichnungen und Bäche sind durch aufgemalte Inschriften in gelber oder hellbrauner Farbe bezeichnet, in der gleichen Farbe ist Inschrift C1 aufgemalt. Die Inschriften A und B1 sind in roter Farbe aufgemalt. Der mit Inschrift C14 bezeichnete Tiergarten ist braun umrandet.

Eine weitere Grenzlinie, die sich jedoch nicht über die gesamte Breite der Karte erstreckt, ist weiter nordöstlich in gelber Farbe eingezeichnet. In späterer Zeit wurde ein abweichender Grenzverlauf in Schwarz eingetragen; er wird im Westen mit schwarzer Tinte fortgeführt. Von derselben Hand auch einzelne Beischriften, die zum Teil nicht mehr sicher entzifferbar sind.2)

Im Folgenden werden zunächst die dem Amt Sternberg zuzuordnenden geographischen Bezeichnungen (B2–B14), dann die der Grafschaft Schaumburg zuzuordnenden geographischen Bezeichnungen (C2–C29) angeführt, jeweils auf der Karte von links nach rechts (Südost nach Nordwest). Als Grenzlinie wird hierfür die rote Linie angesetzt. Die Inschriften B8, B9, B11, B12 und C26 sind über die rote Grenzlinie geschrieben.

Maße: H.: 43 cm; B.: 123 cm; Bu.: ca. 0,9 cm (A, B1, C1); ca. 0,8 cm (B2–B14, C2–C29).

Schriftart(en): Fraktur.

  1. A

    Das Ampt Artzem

  2. B1

    an das hauss Sterneberg

  3. B2

    sualenstert

  4. B3

    schonhagen

  5. B4

    Mesensick

  6. B5

    stranck

  7. B6

    meierberg

  8. B7

    tom rade

  9. B8

    bultgraue

  10. B9

    robraken

  11. B10

    silicsen

  12. B11

    steingraue

  13. B12

    stem(m)erbecke

  14. B13

    stemmen

  15. B14

    varenholt

  16. C1

    an das hauss Schawenborg

  17. C2

    bolenkouen

  18. C3

    schonheger egge

  19. C4

    werdemans / kamp

  20. C5

    droge eck

  21. C6

    tuelenbeck

  22. C7

    eickhals

  23. C8

    dre/born

  24. C9

    golbeck

  25. C10

    woldsael

  26. C11

    eckhals

  27. C12

    die hoge Warde

  28. C13

    Rintelskehage

  29. C14

    diergarte

  30. C15

    hinrickesberga)

  31. C16

    schirn eck

  32. C17

    bassenstein

  33. C18

    Wennekamp

  34. C19

    heringerlo

  35. C20

    lemensick

  36. C21

    tunnerman

  37. C22

    hoge ouer

  38. C23

    Kranckehage

  39. C24

    eigester

  40. C25

    exter

  41. C26

    langewandt

  42. C27

    hagedorn

  43. C28

    Rintelen

  44. C29

    Mollenbeck

Übersetzung:

Das Amt Aerzen (A)

An das Haus Sternberg (B1), Schwalenstert (B2), Schönhagen (B3), Meisensiek (B4), Strang (B5), Meierberg (B6), Rott (B7), Bülte (B8), Rohbraken (B9), Silixen (B10), ? (B11), Stemmener Bach (B12), Stemmen (B13), Varenholz (B14)

An das Haus Schaumburg (C1), Boldenkoven (C2), Egge (C3), ? (C4), ? (C5), Twellenbeke (C6), Eikhals (C7), Drenborn (C8), Goldbeck (C9), ? (C10), Eikhals (C11), Hohewarte (C12), Rintelnscher Hagen (C13), Tiergarten (C14), Hengstberg (?) (C15), ? (C16), Passenstein (C17), Wennenkamp (C18), Horinger Loh (C19), Lemmensiek (C20), Tünnerberg (?) (C21), Hohes Ufer (C22), Krankenhagen (C23), Exter (C24), Exten (C25), Langewand (C26), Hagedorn (C27), Rinteln (C28), Möllenbeck (C29)3)

Kommentar

Gleichmäßig ausgeführte Frakturbuchstaben; bei den mit größerer Buchstabenhöhe ausgeführten Inschriften A, B1 und C1 sind die Bögen der Buchstaben in einzelne Teile aufgelöst (insbesondere bei a, o, b, h und beim als Schwellzug gestalteten dritten Schaft des w).

Anlass für die Anfertigung der Karte waren offenbar Unstimmigkeiten über den Grenzverlauf zwischen der Grafschaft Schaumburg und dem Amt Sternberg, die, wie auch die Zugehörigkeit des Amtes, seit dem späten Mittelalter mehrfach zu Konflikten führten. Das ehemals schaumburgische Amt Sternberg war 1391 an Lippe verpfändet worden. Der Versuch der Grafen von Holstein-Schaumburg, das Amt im 16. Jahrhundert wieder auszulösen, scheiterte am Widerstand der Grafen zur Lippe. Dies führte zu einem lang andauernden Rechtsstreit, in dem sich besonders Graf Otto IV. von Holstein-Schaumburg engagierte. 1585 einigten sich die streitenden Parteien im Vertrag von Möllenbeck darauf, dass Sternberg noch drei Generationen lippisch bleiben und dann an Schaumburg angegliedert werden sollte. Da das Haus Schaumburg jedoch 1640 ausstarb, blieb das Amt lippisch.4)

Die ursprüngliche Provenienz der Karte ist nicht nachvollziehbar. Da aber die Orte im Gebiet der Grafschaft Schaumburg sehr viel detailreicher dargestellt sind als diejenigen in lippischem Gebiet, ist sicherlich mit einer Anfertigung in schaumburgischem Auftrag zu rechnen.

Eine verlässliche Datierung der Karte ließ sich bisher nicht gewinnen. Zu Grenzstreitigkeiten zwischen Schaumburg und Lippe kam es immer wieder; entsprechende Akten im Niedersächsischen Landesarchiv, Standort Bückeburg, haben Laufzeiten von 1521 bis 1645; die lippische Überlieferung beinhaltet Akten vom 14. bis ins 18. Jahrhundert.5) Möglicherweise würde eine Durchsicht dieser Akten, die im Rahmen der vorliegenden Edition nicht geleistet werden kann, näheren Aufschluss darüber erbringen, wann insbesondere das Gebiet um den Rintelnschen Hagen Streitpunkt war, da hier drei alternative Grenzverläufe eingezeichnet sind; allerdings wurde die schwarze Grenzlinie erst nachträglich ergänzt.

Dass Grenzkonflikte zur Erstellung von Landkarten führten, ist ein Phänomen, das im ausgehenden 16. Jahrhundert einsetzt.6) Daher ist Skepsis geboten gegenüber den in der Forschung zuletzt vorgebrachten Datierungsansätzen, die von einer Entstehung der Karte in den 1540er-Jahren sprechen.7) Meist werden baugeschichtliche Daten zur Datierung der Karte herangezogen. Das Stift Möllenbeck und die Kirche von Silixen sind auf der Karte sehr naturgetreu dargestellt, daher kann man davon ausgehen, dass der Maler der Karte auch die übrigen Orte (Rinteln, Varenholz) einigermaßen präzise wiedergegeben hat und entweder aus eigener Anschauung kannte oder zuverlässige Informanten hatte.8) Als terminus ante quem sehen Heinz-Erich Fauth und Stefan Meyer den noch fehlenden Kirchturm von Exten,9) dessen Wiedererrichtung nach einem Einsturz anhand eines Wappensteins auf 1548 datiert wird (vgl. Nr. 161); freilich könnte der Wappenstein hier auch sekundär verbaut worden sein.

Ein stärkeres Indiz als der Extener Kirchturm ist sicherlich der Tiergarten zwischen Goldbeck und Wennenkamp. Er war auf Veranlassung Graf Ottos IV. von Holstein-Schaumburg auf dem Gebiet des ehemaligen Klosters Egestorf entstanden, nachdem dieses 1559 im Zuge der Einführung der Reformation aufgelöst worden war.10) In dem Tiergehege lebten zu Beginn des Dreißigjährigen Kriegs noch 129 Stück Damwild,11) danach verliert sich die Spur des Tiergartens; Gudrun Husmeier zufolge wurde das Gehege im Dreißigjährigen Krieg verwüstet.12) Die Karte wird also wohl nicht später als im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts entstanden sein.

Kein schlagendes Argument zur Gewinnung eines terminus ante quem ist das Vorhandensein der Rintelner Weserbrücke, die 1623 zerstört wurde.13) Sie kann dennoch auch nach ihrer Zerstörung auf der Karte dargestellt worden sein, da sicherlich ein Wiederaufbau geplant war. Auf einem Holzschnitt mit einer Stadtansicht Rintelns aus dem Jahr 162914) ist die Brücke zu sehen.

Ein noch engerer Datierungsansatz ergibt sich, wenn man die Baugeschichte des Schlosses Varenholz (Kreis Lippe, Nordrhein-Westfalen) berücksichtigt. Die beiden (freilich nicht ganz detailgenau) auf der Landkarte dargestellten Türme entstanden erst in einer von 1590 bis 1600 währenden Bauphase.15) Unklar bleibt, ob einzelne Gebäude der Rintelner Stadtansicht für eine Datierung herangezogen werden können. Das hohe steinerne Gebäude im Hintergrund rechts dürfte die Eulenburg darstellen, die 1591 dreigeschossig neu errichtet wurde (Nr. 340); allerdings existierte sie schon im 15. Jahrhundert als Steinwerk. Unsicher ist auch, ob die Gebäudegiebel, die unmittelbar rechts des Kirchturms der Nikolaikirche zu sehen sind, dem Rathaus zugewiesen werden können, das 1583 und um 1597 im Stil der Weserrenaissance umgestaltet wurde.16)

Schließlich lassen die hochdeutschen Einsprengsel in den Inschriften (z. B. Schawenborg, steingraue(n), bassenstein, das hauss) eine Datierung um 1600 plausibel erscheinen. Dazu steht auch der schriftgeschichtliche Befund nicht im Widerspruch.

Textkritischer Apparat

  1. Befund: zweites r über der Zeile nachgetragen.

Anmerkungen

  1. Hessisches Staatsarchiv Marburg, Bestand Karten Nr. P II 4313.
  2. Westlich von Rinteln ist zu lesen Eißberg; bei stemmen ist ein Wort erkennbar, das mit Lipp beginnt.
  3. Die Auflösung der Ortsbezeichnungen erfolgt, soweit möglich, nach den heutigen Ortsnamen. Ferner wurden herangezogen: Otto Preuß, Die Lippischen Flurnamen, Detmold 1893; Maack, Dörfer und Fluren; U. Maack, Flurnamen.
  4. Husmeier, Graf Otto IV., S. 255–263; Meyer, Schaumburg-Sternbergische Grenzkarte, S. 36.
  5. NLA BU, L 1 Nr. 1288–1292; Landesarchiv NRW Abteilung Ostwestfalen-Lippe in Detmold, Bestand L 38, Nr. 32–43 (nach Findbuch).
  6. Für wertvolle Hinweise danke ich Sascha Standke (Göttingen).
  7. Fauth, Steinbergen, S. 533–555; Meyer, Schaumburg-Sternbergische Grenzkarte, S. 36.
  8. Vgl. Meyer, Schaumburg-Sternbergische Grenzkarte, S. 36.
  9. Fauth, Steinbergen, S. 552f.
  10. Husmeier, Graf Otto IV., S. 208; Andreas Schmeiche, Der Tiergarten im Rumbecker Wald, in: Schaumburg-Lippische Heimatblätter 67 (2016), H. 4, S. 5–17, dort S. 6f. Fauth meint, den Tiergarten bereits 1544 nachweisen zu können; er stützt sich hierbei aber lediglich auf die Formulierung yn dem nygen hagen in einem Detmolder Aktenstück aus dem Jahr 1544; diesen „neuen Hagen“ identifiziert er ohne überzeugende Gründe mit dem von Graf Otto IV. angelegten Tiergarten (Fauth, Steinbergen, S. 537).
  11. Schmeiche, Tiergarten (wie oben Anm. 10), S. 15.
  12. Husmeier, Graf Otto IV., S. 208, Anm. 80.
  13. Meyer, Schaumburg-Sternbergische Grenzkarte, S. 36; vgl. Fauth, Steinbergen, S. 552f.
  14. Wiedergegeben bei Fauth, Steinbergen, S. 542.
  15. Kreft/Soenke, Weserrenaissance, S. 320f.
  16. Kreft/Soenke, Weserrenaissance, S. 308.

Nachweise

  1. Fauth, Steinbergen, S. 534f. (mit Abb.).
  2. Meyer, Schaumburg-Sternbergische Grenzkarte, S. 36f. mit Abb. Kat. 4.

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 550 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0055004.