Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 503 Rinteln, St. Nikolai 1618

Beschreibung

Emporenbrüstung. Holz, farbig gefasst. An der Emporenbrüstung an der Westseite des Kirchenraums rundbogige Felder mit gemalten Darstellungen alt- und neutestamentlicher Szenen (von Süd nach Nord): 1. Schöpfung, 2. Sündenfall, 3. Opferung Isaaks, 4. Josef wird aus der Grube gehoben, 5. Moses, 6. Samson, 7. biblische Figur mit Buch, möglicherweise Saul, 8. jugendliche biblische Figur, möglicherweise David, 9. Johannes der Täufer mit dem auf einem Buch ruhenden Agnus Dei, 10. Josef, im Himmel eine Garbe, 11. Jona und der Fisch, 12. Allianzwappen der Stifterin und des Stifters, auf einem darunterliegenden Schriftband die gemalten Inschriften A und B. Inschrift A in Schwarz auf hellem Grund links und rechts der Mittelachse, in der Mitte auf dem eingefalteten Teil des Schriftbands in Weiß auf dunkelgrauem Grund die kleineren Initialen B. Auf den folgenden Feldern: 13. Verkündigung an die Hirten, 14. Auferstehung, 15. Beschneidung Jesu, 16. Flucht nach Ägypten, 17. Anbetung der Könige, 18. Pfingsten, in dem aufgeschlagenen Buch der knienden Person im Vordergrund die in Schwarz auf hellen Grund gemalte Inschrift C. Die Inschrift verläuft in zwei Zeilen über beide Seiten des Buchs, wobei nur manche der an Frakturversalien angelehnten Schriftzeichen identifizierbare Buchstaben darstellen. 19. Taufe Christi, am Himmel zwischen Wolken die Taube des Heiligen Geistes und das in Schwarz auf Gold aufgemalte Tetragrammaton D, 20. Versuchung Christi, 21. Darbringung im Tempel, 22. Einzug nach Jerusalem, 23. Fußwaschung, 24. Himmelfahrt, 25. das Letzte Abendmahl, 26. Gethsemane, 27. Judaskuss und Gefangennahme, 28. Christus vor Kaiphas, 29. Christus wird weggeführt, im Hintergrund Handwaschung des Pilatus, 30. Geißelung, 31. Dornenkrönung, 32. Kreuztragung und Veronika, 33. Kreuzigungsgruppe mit Schächern mit dem in Schwarz auf hellem Grund aufgemalten Titulus E am mittleren Kreuz; vom Mund Jesu geht ein wolkenartiges Schriftband aus, auf dem die Inschrift F in Schwarz auf weißem Grund aufgemalt ist, 34. Kreuzabnahme mit dem in Schwarz auf weißem Grund aufgemalten Titulus G, 35. Grablegung. Die veränderte Anordnung der Szenen ist auf einen Umbau der Empore zurückzuführen.1)

Maße: H.: ca. 80 cm; B.: ca. 50 cm; Bu.: ca. 3 cm (A), ca. 1,5 cm (B, G), 0,4–0,8 cm (C), 1,3 cm (D), 0,4 cm (E), 0,2 cm (F).

Schriftart(en): Kapitalis (A, B, E–G), Frakturversalien (C), hebräische Schriftzeichen (D).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Inga Finck) [1/5]

  1. A

    A(CHATZ) V(ON) Q(UITZOW) // M(AGDALENA) V(ON) M(ÜNCHHAUSEN)

  2. B

    J Ba)

  3. C

    1618 / J. B.b) // G S D / [ . . . ]c)

  4. D

    יְהוָֹה

  5. E

    · I(ESUS) · N(AZARENUS) · R(EX) · I(UDAEORUM) ·2)

  6. F

    ELI, ELI LAMMA SABACTHANI3)

  7. G

    · I(ESUS) · N(AZARENUS) · R(EX) · I(UDAEORUM) ·

Übersetzung:

Jehovah. (D)

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (F)

Wappen:
Quitzow/Münchhausen4)

Kommentar

Kapitalis mit Bogen- und Linksschrägenverstärkung sowie Strichsporen. Die Initialen der Magdalena von Münchhausen in Inschrift A weisen Rechtsschrägenverstärkung auf. Beim R setzen Bogen und Cauda getrennt untereinander am Schaft an.

Magdalena von Münchhausen wurde am 21. Mai 1574 als Tochter Börries’ d. Ä. von Münchhausen und Heilwig Büschens (Nr. 307 u. 346) in Lauenau geboren. Nachdem sie am 9. Juni 1594 den aus Brandenburg stammenden Achatz von Quitzow (geboren um 1558, Bruder der Ursula von Quitzow, Nr. 350) geheiratet hatte, zog das Paar auf den Sitz der Familie von Quitzow in der Mark Brandenburg. Achatz von Quitzow starb im Jahr 1605. Daraufhin kehrte die kinderlos gebliebene Magdalena von Münchhausen auf den Hof ihrer Familie in Apelern zurück. 1607 verpachtete ihr Schwager Hilmar von Münchhausen seinen Rintelner Lehnshof an sie.5) 1611 verkauften ihr die Erben des Antonius Gogreve den Gogreveschen Hof in Rinteln, den sogenannten Prinzenhof an der Klosterstraße 11, den sie fortan bewohnte.6) Einblicke in ihr Leben als Witwe geben neben der von ihrem Bruder Ludolf von Münchhausen verfassten Remeringhäuser Chronik7) zwei Leichenpredigten. Liborius Haremann hebt in seiner Leichenpredigt als Ausweis ihrer Frömmigkeit hervor, dass sie Predigten nicht nur gehört, sondern auch mitgeschrieben hat.8) Der Hess. Oldendorfer Pastor Theodor Steding erwähnt Stiftungen von Kirchenausstattungsstücken.9) Besonders wird ihre tätige Nächstenliebe gewürdigt; Steding bezeichnet sie als „Mutter der Armen“:10) Sie habe stets drei arme Kinder verköstigt11) und vielen armen Leuten unentgeltlich Medikamente aus ihrer Hausapotheke zur Verfügung gestellt.12) Ferner errichtete sie eine testamentarische Stiftung zugunsten der Bedürftigen.13) Davon abgesehen zog sie Kinder von Freunden und Verwandten auf.14)

Magdalena von Münchhausen starb am 8. April 1629 in Rinteln und wurde in Hess. Oldendorf begraben.15) Alabasterreliefs des Achatz von Quitzow und der Magdalena von Münchhausen befinden sich im Weserrenaissance-Museum Schloss Brake.16) Eine bildliche Darstellung des Ehepaars findet sich auch auf ihrem Epitaph in Kletzke (Lkr. Prignitz, Brandenburg).17) Von Magdalena von Münchhausen ist ferner eine Porträtdarstellung bekannt (vgl. Nr. 346).

Die Tischlerarbeiten an der Empore der Nikolaikirche dürften um 1608 ausgeführt worden sein, da in diesem Jahr dem Tischler Berendt Schneteler 92 Taler dafür ausbezahlt wurden.18) Die Gemälde sind durch Inschrift C auf 1618 datiert. Der Meister der Emporen hat an zwei Stellen mit JB signiert. Wahrscheinlich stehen diese Initialen für den Maler Joachim Bochmeier, der auch die Kanzel bemalte.19) Für seine Malereien an der Emporenbrüstung verwendete er Stichvorlagen aus den Niederlanden, unter anderem von Hendrick Goltzius und Raphael Sadeler. Eine Übersicht über die verwendeten Vorlagen gibt Hermann Oertel in seiner Studie zu protestantischen Bilderzyklen in Niedersachsen.20)

Textkritischer Apparat

  1. J B] vermutlich aufzulösen als J(OACHIM) B(OCHMEIER).
  2. J. B.] vermutlich aufzulösen als J(OACHIM) B(OCHMEIER).
  3. Die Zeichen der zweiten Zeile auf der rechten Seite scheinen Fantasie-Buchstaben zu sein.

Anmerkungen

  1. Kdm. Kreis Grafschaft Schaumburg, S. 14. Vgl. ebd. zur Identifizierung der Personen.
  2. Io 19,19.
  3. Mt 27,46.
  4. Eheallianzwappen Quitzow/Münchhausen (gespalten, 1. schräggeteilt: 1. Stern, 2. Stern (Quitzow); 2. Mönch (Münchhausen)); vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 3, Abt. 6, S. 17 u. Tafel 15 (Quitzow) sowie Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 3, Abt. 2,1, S. 274 u. Tafel 325 (Münchhausen).
  5. Von Lenthe/Mahrenholtz, Stammtafeln Münchhausen, Teil II, Nr. 220, S. 106; Anne Schunicht-Rawe, „Adelich freye Höfe“ – Adel in der Stadt, in: Katalog Adel im Weserraum, S. 219–245, dort S. 236; Hufschmidt, Bewohnerinnen von Adelshöfen, S. 140f.
  6. Burchard, Stadtarchiv Stadthagen, S. 455,19ff. u. Anm. 3.
  7. Hufschmidt, Bewohnerinnen von Adelshöfen, S. 142–144.
  8. Haremann, Leichenpredigt für Magdalena von Münchhausen, S. 49.
  9. Steding, Leichenpredigt für Magdalena von Münchhausen, S. 39.
  10. Steding, Leichenpredigt für Magdalena von Münchhausen, S. 41.
  11. Haremann, Leichenpredigt für Magdalena von Münchhausen, S. 50.
  12. Haremann, Leichenpredigt für Magdalena von Münchhausen, S. 50; Steding, Leichenpredigt für Magdalena von Münchhausen, S. 41.
  13. Steding, Leichenpredigt für Magdalena von Münchhausen, S. 42.
  14. Haremann, Leichenpredigt für Magdalena von Münchhausen, S. 50.
  15. Von Lenthe/Mahrenholtz, Stammtafeln Münchhausen, Teil II, Nr. 220, S. 106. Ihre Grabplatte befindet sich in der Marienkirche in Hess. Oldendorf (Kdm. Kreis Grafschaft Schaumburg, S. 93f. u. Tafel 122).
  16. Katalog Adel im Weserraum, Nr. 181a u. b mit Abb. S. 237. Kopien dieser Reliefs sind am Gebäude Klosterstraße 11 in Rinteln angebracht.
  17. Abb. bei Hufschmidt, Bewohnerinnen von Adelshöfen, S. 143.
  18. StA Rinteln, Rep. 1 V H 7; vgl. von Poser, St. Nikolai Rinteln, S. 12. Schneteler fertigte zusammen mit seinen Söhnen Hinrich und Jobst auch die Kanzel (Nr. 502). Möglicherweise rühren auch die Initialen DT und die Jahreszahl 1609 an einer Emporenstütze (Nr. A1 60) von einem Handwerker her.
  19. Dies geht aus dem Stiftungsbrief der Kanzel hervor (Schaumburger Zeitung vom 13. Juli 1886).
  20. Oertel, Die protestantischen Bilderzyklen, S. 124. Vgl. Jürgens, Malerei und Plastik, S. 86.

Nachweise

  1. Kdm. Kreis Grafschaft Schaumburg, S. 14 (A).
  2. Von Poser, St. Nikolai Rinteln, S. 12 (Jahreszahl in Inschrift C).

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 503 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0050305.