Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 486† Stadthagen, St. Martini 1615 o. später

Beschreibung

Gemälde. Porträt des Johann Jakob Bernhardi. Das Bild war in der Nähe der Pastorensitze aufgehängt.1) Sein Verbleib ist unklar. Die &-Ligatur des Drucks von Hauber wird in der Edition als et wiedergegeben.

Inschriften nach Hauber (auch Interpunktion).

  1. A

    Talia Johannes Jacobus viva gerebatOra, quis Ingenii pingere dona potest?Patria Marpurgum, Bernhardum gente recepit,Usque Magisterii digna Brabea daret.5Ernesto Comiti facundia docta probaturIn templo et Cathedra, vitaque laude gravis.Praeficitur Clero; quam fidus Episcopus omniGymnasioque novo dogmata sacra polit!Doctorem magno plausu pia Giessa salutat,10Qui Columen vera Relligione foret.Magnus erat, majorque foret, nisi sedulitateFregisset vires corporis ipse suas.Aut Deus ingrato decus hoc inviderit orbi,Vixque solo dederit septima lustra frui.15Croppiades conjux luget, sobolesque relicta,Affines chari, tota paterna domus.Schaumburgoque solo residens Ecclesia ChristiTheiologôn florem sic cecidisse doletIpse sed in coelis, quem pura mente professus,20Conspectu fruitur, Christe benigne, tuo.

  2. B

    Amiciss(imae) Affinit(atis) ergo lugens f(ecit) M(agister) J(ohannes) Orsaeus

  3. C

    Annus et Dominica postridiana obitus:Pastor oVes Moneo, CaVeant bene pseVDOprophetas.2)

Übersetzung:

So hat das Gesicht des Johannes Jacobus zu Lebzeiten ausgesehen; wer aber könnte seine inneren Anlagen im Bild darstellen? Marburg als Heimat hat Bernhard in seiner Bevölkerung aufgenommen, bis es ihm den würdigen Ehrenpreis des Magistergrads schenkte. [5] Er hatte sich gegenüber Graf Ernst durch seine gelehrte Beredsamkeit in der Kirche und auf dem Katheder sowie sein ruhmwürdiges Leben bewährt. Als ein denkbar zuverlässiger Superintendent erhielt er die Aufsicht über den gesamten Klerus und verfeinerte im neuen Gymnasium die heiligen Lehren.

Das fromme Gießen begrüßte ihn mit großem Beifall als Doktor, [10] der durch seine wahre Religion eine Stütze sein sollte. Er war ein großer Mann, und er wäre noch größer gewesen, wenn er nicht durch seine Geschäftigkeit selbst die Kräfte seines Körpers zugrunde gerichtet hätte. Oder Gott könnte diese Zierde dem undankbaren Erdkreis missgönnt und der Erde kaum zugestanden haben, sich sieben Lustren (= 35 Jahre) lang an ihm zu erfreuen. [15] Seine Gattin, die Tochter des Herrn Cropp, trauert ebenso wie die Nachkommen, die er zurückgelassen hat, die lieben Verwandten, sein gesamtes Vaterhaus. Die Kirche Christi, die auf schaumburgischem Boden ihren Sitz hat, empfindet Schmerz, dass diese Blüte der Theologen so zugrunde gegangen ist. Aber er selbst erfreut sich im Himmel [20] deines Anblicks, gütiger Christus, den er mit reinem Herzen verkündet hat. (A)

In tiefer freundschaftlicher Verbundenheit hat der trauernde Magister Johannes Orsaeus dieses Gedicht geschrieben. (B)

Das Jahr und der Sonntag, der der Folgetag seines Todes war: Als Hirte mahne ich die Schafe, dass sie sich gut vor den falschen Propheten hüten sollen. (C)

Versmaß: Elegische Distichen (A), Chronostichon (C, Z. 2).

Kommentar

Das vorliegende Epigramm zum Bildnis des Johann Jakob Bernhardi stammt von Johannes Orsaeus (um 1576–1626). Er hatte in Marburg studiert und wurde im Jahr 1601 Rektor in Stadthagen. Von 1608 bis zu seinem Tod war er Pastor in Rodenberg.3) Orsaeus verfasste ein zweiteiliges Epos Schaumburgias (1616–1617).4) Auch in diesem Werk findet sich ein Lob auf Bernhardi, das sich inhaltlich zum Teil mit der vorliegenden Inschrift deckt:5)

Bernhardum soboles Marpurgo consule nata,

Johannes-Jäcobe, oculis mihi carior ipsis,

Heu tua Theologae quod dona erepta cathedrae!

Omnia sic cordi Deus instillaverat uni,

Magno in Theologo quae quis Doctore requirat:

Ingenium promptum: mirandum mentis acumen:

Suaviloquam linguam, grata gravitate disertam:

Lumen erat quicquid scripto vel voce referres:

Et vatum atque patrum et doctorum scripta sacrorum

Noras: vel si quid contrarius urserit error.

Sive informares populum, docilemve juventam,

Relligionis erat seu sermo acuendus in hostes

Quanta fides rebus, verbis constantia quanta!

Officium triplex sacrum quam fidus obibas

Pastor, et accuratus Episcopus, atque Professor.

Dignus cui fuerint infractae corpore vires.

Sed nimis infirmas tibi cum natura dedisset,

Concatenati vitam fregere labores,

Aut Deus ingrato te vivere noluit orbi,

Cui nisi mundanum gratum est, coelestia sordent.

Viva Dei nil dona putat, sed morte requirit.

At quae turba Deum vero complexa timore

Unanimis luget, tanto quod flore virili

Ter denos cum vix et quinos vixeris annos,

Tantis cum donis ad coeli templa migraris.

Davon abgesehen lassen sich auch wörtliche Anklänge zwischen dem Text des Pastorenbildnisses und dem Grabdenkmal für Johann Jakob Bernhardi (Nr. 484) feststellen.6)

Anmerkungen

  1. Hauber, Primitiae Schauenburgicae, S. 165: Imagini vero B. viri in eodem Templo prope Pastorum sedes suspensae sequentia subjecta sunt. […]
  2. Das Chronostichon ergibt die Jahreszahl 1615. Zur genauen Angabe des Todesdatums, des 29. Juli 1615 (vgl. das Grabdenkmal Nr. 484), dient hier eine Versparaphrase desjenigen Verses aus dem Matthäusevangelium (7,15), der am 8. Sonntag nach Trinitatis Lesungstext war (adtendite a falsis prophetis qui veniunt ad vos in vestimentis ovium, intrinsecus autem sunt lupi rapaces). Der 8. Sonntag nach Trinitatis fiel im Jahr 1615 auf den 30. Juli, er war also der Folgetag (Dominica postridiana) von Bernhardis Todestag.
  3. J. Bolte, Orsäus: Johannes O., in: ADB 24 (1887), S. 428.
  4. Schaumburgias orsa (1616) u. Schaumburgias continuata (1617); Ndr.: Orsaeus, Gedichte zur Schaumburgischen Geschichte. Weitere Werke listet Ralf Böckmann auf in seinem Artikel „Orsaeus, Johannes“, in: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 33 (2012), Sp. 958–960.
  5. „Johannes Jakob, Nachkomme der Familie Bernhard und als Sohn eines Marburger Konsuls geboren, du bist mir teurer als meine Augäpfel. Oh weh, dass deine Gaben dem theologischen Katheder entrissen wurden! So hat Gott all das in ein Herz gegossen, was man von einem großen theologischen Lehrer verlangt: Eine einsatzfähige Begabung, bewundernswerte geistige Schärfe, eine wohltönende, beredte Zunge mit angenehmem Ernst. Alles, was du schriftlich oder mündlich äußertest, war voller Glanz. Und du kanntest die Schriften der Propheten, der Väter und der heiligen Gelehrten, oder wenn die Irrlehre der Gegner etwas vorbrachte. Sei es, dass du das Volk unterrichtetest oder die gelehrige Jugend, oder dass gegen die Glaubensgegner eine scharfe Rede zu halten war, welch große Zuverlässigkeit zeigtest du in deinen Taten, welche Standhaftigkeit in den Worten! Als was für ein zuverlässiger Pastor, sorgfältiger Superintendent und Professor oblagst du deiner dreifachen heiligen Aufgabe! Du hättest es verdient gehabt, über ungebrochene körperliche Kräfte zu verfügen. Doch weil die Natur dir eine zu schwache Konstitution gegeben hatte, haben deine unaufhörlichen Anstrengungen dein Leben zerstört. Oder Gott wollte nicht, dass du für den undankbaren Erdkreis lebst, der sich nur um Weltliches kümmert und das Himmelreich gering achtet. Er hält die Geschenke Gottes im Leben für nichtig, fordert sie aber beim Sterben ein. Aber das Volk, das Gott in wahrer Gottesfurcht liebt, trauert einmütig, dass du in so blühendem Mannesalter, nachdem du kaum 35 Jahre gelebt hast, mit so großen Gaben in die Tempel des Himmels umgezogen bist.“ (Orsaeus, Schaumburgias continuata, fol. D 1r).
  6. digna Brabea (V. 4), Giessa salutat (V. 9).

Nachweise

  1. Hauber, Primitiae Schauenburgicae, S. 165f.

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 486† (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0048609.