Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 473 Stadthagen, Niedernstraße 8 1612

Beschreibung

Sturz? Der Stein ist am traufenständigen Gebäudeteil des Hauses, der ehemaligen Ratsapotheke, unterhalb der Fenster des ersten Obergeschosses eingemauert. Das verputzte und offenbar mehrfach veränderte Gebäude, ursprünglich wohl ein Fachwerkbau, war um 1880 an dieser Stelle nur eingeschossig, wobei der Stein als Fenstersturz diente.1) Auf dem symmetrisch gestalteten querrechteckigen Stein, der oben von einem Wulst und Zahnstab, unten von einer dünnen Leiste begrenzt ist, links die vollplastische Büste eines Mannes, rechts die einer Frau, in der Mitte zwei plastisch gearbeitete, aneinandergeschobene Wappenschilde. Zwischen den Büsten und den Wappen jeweils Beschlagwerk, das die Rahmung von insgesamt vier Schriftfeldern bildet: Auf der linken Seite zwischen der Männerbüste und den Wappen zunächst eine querovale Kartusche mit Inschrift A, anschließend ein querrechteckiges Schriftfeld mit Inschrift B. Auf der rechten Seite zwischen den Wappen und der Frauenbüste zunächst ein querrechteckiges Schriftfeld mit Inschrift C, anschließend eine querovale Kartusche mit Inschrift D. Die Inschriften sind erhaben in vertieften Feldern ausgeführt und in Gold auf hellgrauem Grund gefasst.

Maße: H.: ca. 40 cm; B.: ca. 300 cm; Bu.: ca. 5 cm.

Schriftart(en): Kapitalis mit Versalien (A, D), Kapitalis (B, C).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Inga Finck) [1/1]

  1. A

    ANNO / 1612

  2. B

    PHILIPPVS / MERCKLIN

  3. C

    AGNESA / POLMANS

  4. D

    SOLI DEO / GLORIA

Übersetzung:

Allein Gott die Ehre. (D)

Wappen:
Merklin,2) Polman?3)

Kommentar

Die Kapitalis ist, insbesondere in den Inschriften B und C, durch schmale, hohe Buchstaben gekennzeichnet. Die Sporen sind teilweise als Serifen gestaltet, insbesondere an den oberen offenen Bogenenden. Der Bogen bei P und R endet oberhalb der Mittellinie, ebenso der Mittelteil des M. A besteht aus einem durchgebogenen linken Schrägschaft in Form eines Haarstrichs und einem senkrechten rechten Schaft. V besteht aus einem senkrechten linken Schaft und einem rechten Schrägschaft in Form eines Haarstrichs. Die Cauda des R und der untere Schrägbalken des K geschwungen und unter die Grundlinie reichend. 2 in Form eines Z mit geschwungenem unteren Balken.

Die Büsten haben ihr Vorbild in den Wächterfiguren am Giebel der Utlucht an der Ostseite des Rathauses (Nr. 358). Horst Masuch hält es für möglich, dass der vorliegende Sturzstein von Johann Schwartze angefertigt wurde, der auch den rechten Teil der Utlucht am Rathaus schuf.4)

Philipp Merklin wurde am 24. September 1570 in Rothenburg o. d. Tauber geboren. Sein Vater war Rektor der Rothenburger Lateinschule. 1599 heiratete Philipp Merklin Agnes Polman, die Tochter des Joachim Polman, und übernahm am 21. August desselben Jahres die Apotheke in Stadthagen, die, nachdem Graf Adolf XIV. von Holstein-Schaumburg 1590 das Privileg zu ihrer Einrichtung erteilt und der Rat die entsprechende Ausstattung bereitgestellt hatte, 1591 eröffnet worden war. Zwischen dem Rat der Stadt und Merklin kam es allerdings zwischenzeitlich zu Misshelligkeiten die Apotheke betreffend.

1606 erhielt Merklin das Bürgerrecht von Stadthagen. 1607 wurde er auch Hofapotheker in Bückeburg. In Stadthagen bekleidete er mehrere öffentliche Ämter: 1613 bis 1636 war er Mitglied des Rats, 1631 bis 1636 Kämmerer. Zehn Jahre lang war Philipp Merklin auch als Ältermann in der St. Martini-Kirche tätig. 1612 erfolgte der Umzug der Apotheke in sein Haus in der Niedernstraße 8. Neben diesem Haus besaß er noch zwei weitere Häuser sowie einigen Grundbesitz. Nach dem Tod seiner Frau Agnes heiratete Philipp Merklin 1621 Ilse/Ilsabe Witschieve. 1636 trat er aus Altersgründen mit der Bitte um Befreiung vom Wachdienst und von Einquartierungen an den Rat heran; in der Folgezeit forderte er ferner eine Senkung der Pachtsumme. Philipp Merklin starb am 15. März 1642. Seine Witwe führte nach seinem Tod die Apotheke weiter und heiratete wenig später den Apotheker Michael Gügling, der Merklins Nachfolge als Stadthäger Apotheker antrat. Nach dessen Tod wurde die Apotheke von einem Sohn Philipp Merklins übernommen.5)

Anmerkungen

  1. Weiland, Die alten Häuser in Stadthagen, S. 226; vgl. Steinicke, Hausinschriften, S. 50.
  2. Wappen Merklin (vier Pfeilspitzen pfahlweise gestellt). Steinicke mutmaßt, dass es sich bei den beiden Wappenbildern um Symbole für Heilkräuter handelt, die in einer Apotheke Verwendung fanden (Steinicke, Hausinschriften, S. 50). Zumindest beim Wappen Merklin spricht die Darstellung des Schildinhalts auf dem Gerechtigkeitsbild im Stadthäger Alten Rathaus (Nr. 533) gegen eine solche Deutung.
  3. Wappen Polman? (liegender Ast, daraus hervorwachsend eine Blüte auf einem Stengel mit zwei Blättern).
  4. Horst Masuch, Stadthäger Ratsbaumeister in der Renaissance, in: Schaumburger Heimatblätter 1958, Sonderdruck, S. 12–14, dort S. 14.
  5. Alle Angaben nach: Otto Zaretzky, Die Ratsapotheke in Stadthagen, in: Schaumburg-Lippische Landeszeitung vom 13.12.1920, ohne Seitenzählung; Steinbicker, Aus der Geschichte der Ratsapotheke, S. 334; Weiland, Die Häuser und deren Eigentümer, Teil 2, S. 53f.; Walter Siebert, Philipp Mercklin. Der Stadthäger Ratsherr und Ratsapotheker, in: Schaumburg-Lippische Heimat-Blätter 23 (1972), H. 10, ohne Seitenzählung; Sommer, Zur Geschichte des Medizinal- und Apothekenwesens, S. 51 u. 74; Steinicke, Hausinschriften, S. 50f.; Burchard, Stadtarchiv Stadthagen, S. 58,35f. u. Tafel 62.

Nachweise

  1. [Wehling], Stadthagens alte Bauten, 1926, Nr. 11, ohne Seitenzählung.
  2. Fromme Hausinschriften in und um Stadthagen, ohne Seitenzählung.
  3. Weiland, Die Häuser und deren Eigentümer, Teil 2, S. 53 u. Abb. 4.
  4. Weiland, Die alten Häuser in Stadthagen, S. 226.
  5. Steinicke, Hausinschriften, Nr. 23, S. 50 u. Bildtafel 23.

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 473 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0047302.