Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 393 Möllenbeck, Kloster 4. V. 16. Jh.

Beschreibung

Wandmalerei. In Raum 44 im Ostflügel des Obergeschosses. Die Inschriften A–C befinden sich in drei an der Südwand des Raums im Jahr 2007 freigelegten Feldern. Im linken Feld die Inschrift A, im mittleren die Inschrift B, im rechten die Inschrift C. Bei der hebräischen Inschrift A wurden im Zuge der Restaurierung vereinzelt Akzentzeichen und Vokalisationspunkte ergänzt. Alle drei Inschriften sind jetzt hinter Glas.

Inschrift D befand sich an der rechten Seite der Nordwand neben einer heute nicht mehr vorhandenen Tür zu Raum 43. Die Inschrift E war rechts von Inschrift D an der Wand angebracht. Die Lehmputzfragmente mit den Inschriften D und E wurden 2007 bei der Restaurierung des Raums abgenommen.1) Sie waren zum Zeitpunkt der Aufnahme im Sommer 2015 mit der Inschrift zum Boden gekehrt in Raum 39 zwischengelagert und konnten bis auf ein Fragment von Inschrift D nicht in Augenschein genommen werden. Sie werden daher nach Fotografien, die im Zuge der Freilegung entstanden sind, ediert.2)

Alle Inschriften sind in Schwarz auf hellem Grund aufgemalt.

Inschriften D und E nach Fotografien.

Maße: Bu.: ca. 3,5 cm (A), ca. 4,5 cm (A hebräische Schriftzeichen), ca. 2,5 cm (B), ca. 2 cm (C), 3,2 cm (D).

Schriftart(en): Kapitalis und Hebräisch (A), schrägliegende Kapitalis (B), Fraktur (C), schrägliegende Kapitalis mit Versal (D), Griechisch (E).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Inga Finck) [1/5]

  1. A

    PSAL: 133.3) / נֵּ֣ה מַה־טֹּ֭וב וּמַה־נָּעִ֑ים/ שֶׁ֖בֶת אַחִ֣ים גַּם־יָֽחַֽד׃ / כַּשֶּׁ֤מֶן הַטֹּ֨וב׀ עַל־הָרֹ֗אשׁ יֹרֵ֗ד / עַֽל־הַׇ֫זּקָ֥ן זְקַֽן־אַֽהַֽרֹ֑ן שֶׁ֨יֹּרֵ֗ד עַל־פִּ֥י / מִדֹּותָֽיו׃ / כְּטַל־חֶרְמֹ֗ון שֶׁיֹּרֵד֮ עַל־הַרְרֵ֪י / צִ֫יֹּ֥ון כִּ֤י שָׁ֨ם צִוָּ֣ה יְ֭הוָה אֶת־ / a)הַבְּרָכָ֑ה חַ֝יִּ֗ים עַד־הָֽעֹולָֽם׃

  2. Heute sichtbare Inschrift:

    B

    [ - - - ]CEDA[ . ] VOLU[ - - - ] / [ - - - ]TABERIS IN EO [D]IE AC [ - - - ] / [ - - - ] OMNIA, QVAE SCRIPTA [ - - - ] / [ - - - ] INTELLIGE[ - - - ]

  3. Nach der Vorlage ergänzte Fassung:

     

    [NON RE]CEDA[T] VOLU[MEN LEGIS HUIUS DE ORE TUO SED MEDI]TABERIS IN EO [D]IE AC [NOCTE UT CUSTODIAS ET FACIAS] OMNIA, QVAE SCRIPTA [SUNT IN EO TUNC DIRIGES VIAM TUAM ET] INTELLIGE[S EAM]4)

  4. Heute sichtbare Inschrift:

    C

    [ . y]r: 39 [ . ] / [ - - - ]n [ . . . ] der kan kein[ . . . . . ]ern arbeit [ - - - ] / [ - - - ] der mus sonst nichts zu thun haben / [ - - - ] das [G . . . . z] des Hoehestenb) lerne, der m[ - - - ] / [ - - -h]en, [ . . . . . . . . ] prophetenc) studirn [ - - - ]d) / [ - - - ] leute [ . . . . . . . ] und denselben nachdencken [ - - - ] / [ - - - ] die [G]eistlichen Sprüche l[ . . . . . . . . . . ] den [ - - - ] / [ - - - ] dienen, und bei den Herrn [ - - - ] / [ - - - ] de[n . . . . . . . . . . . . . . ] was be[ - - - ]

  5. Nach der Vorlage ergänzte Fassung:

     

    [Sy]r: 39 [ . ] / [Wer die Schrift lerne]n [sol] der kan kein[er and]ern arbeit [warten und wen man leren sol] der mus sonst nichts zu thun haben [Wer sich aber darauff geben sol das er] das [Gesetz] des Hoehesten lerne, der m[us die weisheit aller Alten erforsch]en [und in den] propheten studirn [Er mus die Geschicht der berühmbten] leute [mercken] und denselben nachdenken [was sie bedeuten und leren. Er mus] die [G]eistlichen Sprüche l[ernen und in] den [tieffen Reden sich uben. Der kan den Fürsten] dienen, und bei den Herrn [sein. Er kan sich schicken lassen in frembde Land] de[nn er hat versucht] was b[ey den Leuten taug oder nicht taug.]5)

  6. Nach der Freilegung sichtbare Inschrift:

    D †

    CICERO P(RO) A[R - - - ] / [ - - - ]IA ADOLESCEN[ . . . . . . . . ]N[ . . . . . ]E[C - - - ] / [ - - - ]ANT[ - - - ] / [ - - - ]M PRAE[ - - - ] / [ - - - IU(N)]T[ - - - ] / [ - - - ] [ . ]YRILLUS. / [ . ]S[ . ]ERA VIRT[U]S EST, ET ACCLIVIS AD IPSAM / [ . I]A [ . . . ] EAM QVIS ABSQ(VE) LONGO LABO/[ . . ] SIBI COMPARABIT.

  7. Nach der Vorlage ergänzte Fassung:

     

    CICERO P(RO) A[RCHIA] / [HAEC STUD]IA ADOLESCEN[TIAM AGU]N[T SEN]E[CTUTEM OBLECTANT SECUNDAS RES ORN]ANT [ADVERSIS PERFUGIUM AC SOLACIU]M PRAE[BENT DELECTANT DOMI NON IMPED]IU(N)T [FORIS PERNOCTANT NOBISCUM PEREGRINANTUR RUSTICANTUR]6) [C]YRILLUS. / [A]S[P]ERA VIRT[U]S EST, ET ACCLIVIS AD IPSAM / [VI]A [NEC] EAM QVIS ABSQ(VE) LONGO LABO/[RE] SIBI COMPARABIT.7)

  8. E †

    Χ[ . . . Σ . ΟΜ - - - ]e) / ΚΛΗΜΑ ἈΛΛÀ [ - - - ]

Übersetzung:

Psalm 133. Sieh, wie gut und wie schön ist es, wenn Brüder zusammen wohnen, wie das gute Öl auf dem Kopf, das hinabläuft in den Bart, den Bart Aarons, das hinabläuft über den Gewandsaum [konjizierte Fassung; eigentlich: den Mund seiner Maße], wie der Tau des Hermon, der hinabfällt auf die Berge Zions, denn dort hat Jahwe gespendet den Segen, Leben bis zu der Ewigkeit. (A)
Lass das Buch dieses Gesetzes nicht von deinem Angesicht weichen, sondern sinne darüber nach bei Tag und bei Nacht, damit du alles, was darin geschrieben ist, bewahrst und danach handelst, dann lenke deinen Weg und begreife ihn. (B)
Diese Studien treiben in der Jugend um, erfreuen im Alter, schmücken in glücklicher Lage, gewähren im Unglück Zuflucht und Trost, sie bereiten zuhause Freude und sind in der Fremde nicht hinderlich, sie durchwachen mit uns die Nacht, reisen mit uns und sind bei uns, wenn wir uns auf dem Land aufhalten. Kyrill: Die Tugend ist schwierig und der Weg zu ihr steil, und niemand kann sie für sich erlangen ohne langanhaltende Mühe. (D)
[…] Zweig, jedoch […] (E)

Kommentar

Die Inschriften sind sorgfältig und von professioneller Hand ausgeführt. Die filigran wirkende schrägliegende Kapitalis zeigt einen deutlichen Wechsel zwischen Haar- und Schattenstrichen. An den Schaftenden Strichsporen; an den Bogen- und Balkenenden sind sie schräggestellt und reichen über die Unterlinie und die Oberlinie hinaus. Die Bögen des B berühren einander nicht; beim R setzen entsprechend Bogen und Cauda getrennt untereinander am Schaft an. P mit kleinem Bogen.

Nach den Angaben des Restaurierungsberichts gehören die Inschriften an der Nordwand der zweiten, an der Südwand der dritten Farbschicht an. Unter den jetzt sichtbaren Inschriften der dritten Schicht tauchten während der Restaurierung auch in der zweiten Schicht Buchstaben und Fragmente der die Schriftfelder umgebenden Rahmen auf, die in ihrem Bestand, soweit erkennbar, denjenigen der dritten Schicht entsprachen. Möglicherweise handelt es sich bei der zweiten Schicht an der Südwand „um Übungen oder einen missglückten Versuch, die Inschriften anzubringen, der kurz darauf mit der dritten Fassung übermalt wurde“.8)

Die Ausmalung des Raums 44 entstand in der Zeit, als das Stift Möllenbeck eine Lateinschule beherbergte. Sie war 1570 von Graf Otto IV. von Holstein-Schaumburg (zu ihm Nr. 159) gegründet worden, in erster Linie für die Kinder der eigenen Untertanen, und bestand bis 1631.9) Im Unterricht standen die klassischen Sprachen und die religiöse Bildung im Vordergrund. Ludolf von Münchhausen, einer der biographisch am besten fassbaren Schüler, schreibt darüber im Rückblick: In disem kloster durch fleiss und muehe […] hab Ich erstlig die fundament ihn der latinischen sprache gelegt, also, das nachdem Ich ins vierdtte jar darihn gewesen […] Ich perfecte, nach meinem alter, latin habe mehrentheils schrieben und reden kunnen.10)

Die Auswahl der Texte, die als Inschriften an den Wänden angebracht wurden, ist ein deutliches Indiz dafür, dass der neben der Bibliothek gelegene Raum dem Schulbetrieb diente. Das Zitat aus Ciceros Rede Pro Archia poeta (Inschrift D) betont den Wert der Bildung an sich. In den Inschriften B und C wird sie in den Dienst einer christlichen Erziehung gestellt: Um die Heilige Schrift zu verstehen, sind sprachliche Bildung und historisches Wissen unabdingbar. Dies entspricht den Forderungen Luthers und Melanchthons, da sich nur auf dieser Basis die reformatorische Forderung sola scriptura verwirklichen ließ.11)

Gleichzeitig eröffnet Inschrift C jedoch auch konkrete Karriereperspektiven etwa im Dienst eines Fürsten. Es ist anzunehmen, dass Graf Otto IV., einer generellen Tendenz des konfessionellen Zeitalters folgend, durch die Gründung der Schule in Möllenbeck die Ausbildung seiner eigenen Landeskinder fördern wollte, um daraus Funktionsträger für seinen Hof und die Verwaltung zu rekrutieren.12) Darüber hinaus sollten die Inschriften die Schüler zu Arbeit und Fleiß anhalten (Inschriften C und D). Zur Begründung dient insbesondere auch das dem Kyrill von Alexandrien (um 375–444) zugeschriebene Zitat in Inschrift D: Die Tugend sei nicht ohne Anstrengung zu erlangen. Dieser Text ist eine lateinische Übersetzung eines griechischen Zitats (Τραχεῖα ἡ ἀρετὴ καὶ ὀρθῶς οἶμος ἐπ’ αυτήν, καὶ οὐκ ἄν τις ἕλοιτο ταύτην δίχα πόνου μακροῦ.) aus den Loci communes des Ps.-Maximus Confessor,13) einem im Frühmittelalter entstandenen und weit verbreiteten Florilegium. Das Zitat wird dort als Aussage Kyrills von Alexandrien referiert. In dessen Werk findet sich das Zitat allerdings nicht wörtlich, es bildet vielmehr die Kurzfassung einer Textstelle aus Kyrills Epistulae paschales sive Homiliae paschales.14)

Unklar bleibt, weshalb das Zitat nicht so wie Inschrift E auf Griechisch an der Wand angebracht wurde; möglicherweise lag aber die griechische Fassung dem Auftraggeber schlicht nicht vor. Die Anbringung von Inschriften in den drei Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein ist sicherlich programmatisch zu verstehen: Damit wird der Anspruch der Möllenbecker Schule unterstrichen, eine umfassende Ausbildung in allen drei Sprachen zu bieten.

Textkritischer Apparat

  1. Am Ende der Zeile zwei waagrechte Striche.
  2. e über o.
  3. Die Fotografie 37 im Befundbericht der Restauratorin Elke Schlöder zeigt vor dem Wort propheten ein Zeichen in Form einer 8 (Schlöder, Befunderhebung/Restaurierung. Fotodokumentation, S. 22).
  4. Nach studirn eine Lücke von der Breite eines Buchstabens, ein Punkt und ein Versal.
  5. Χ[ . . . Σ . ΟΜ - - - ]] wahrscheinlich zu ergänzen zu ΧΡΥΣΟΣΤΟΜΟΣ.

Anmerkungen

  1. Schlöder, Befunderhebung/Restaurierung Fotodokumentation, S. 27–29.
  2. Mein besonderer Dank gilt der Restauratorin Elke Schlöder (Neustadt a. Rübenberge) und Pastor Roland Trompeter (ref. Kirchengemeinde Möllenbeck), die mir freundlicherweise die Fotografien zur Verfügung gestellt haben.
  3. Ps 133. – Für Hilfe bei der Transkription der hebräischen Inschrift und für die Übersetzung danke ich Martin Arneth (München).
  4. Ios 1,8.
  5. Sir 39,1–5.
  6. Cicero, Pro Archia Poeta 16.
  7. S. den Kommentar.
  8. Finck, Gemalte Gelehrsamkeit, S. 83, Anm. 46. Vgl. Schlöder, Befunderhebung/Restaurierung. Fotodokumentation, S. 17 u. 31.
  9. Bereits von 1563 an gab es einen Schulbetrieb; zum Gründungsvertrag von 1570 vgl. Heutger, Stift Möllenbeck, 21987, S. 127–132; Husmeier, Graf Otto IV., S. 213f.
  10. Zit. n. B. Bei der Wieden, Außenwelt und Anschauungen Ludolf von Münchhausens, S. 22.
  11. Finck, Gemalte Gelehrsamkeit, S. 83f.
  12. Vgl. Finck, Gemalte Gelehrsamkeit, S. 83; Husmeier, Graf Otto IV., S. 214.
  13. S. Maximi Confessoris Loci communes, Migne PG 91, Sp. 727f. Die lateinische Version war verbreitet, vgl. z. B. Johannes Posselius, Syntaxis Graeca, Wittenberg 1580, S. 301f.; vgl. auch Juan Luis Vives, Introductio ad sapientiam, Paris 1527, Nr. 538, fol. 26v (dort semita statt via); dazu Finck, Gemalte Gelehrsamkeit, S. 82.
  14. Migne PG 77, Sp. 825: Τραχεῖα μὲν γὰρ καὶ ἀνάντης ἡ ὁδὸς ἡ εἰς αὐτὴν [= ἀνδρείαν] ἀναφέρουσα, καὶ οὐ βάσιμος τοῖς πολλοῖς· εἴη δ’ ἂν μόνοις εὐστιβὴς τοῖς, οἵ γε διᾴττειν ἐπείγονται, κατοῤῥωδοῦντες οὐδένα, ἀνταποδυόμενοι δὲ τοῖς πόνοις, καὶ τοῖς ἱδρῶσιν ἀντανιστάμενοι. („Denn der Weg, der zu ihr [zur Tugend] führt, ist schwierig und steil und nicht für die große Masse gangbar: Er dürfte nur für diejenigen ausgetreten sein, die sich beeilen ihn entlangzustürmen und die vor nichts Angst haben, die sich den Mühen stellen und sich den schweißtreibenden Anstrengungen aussetzen.“)

Nachweise

  1. Finck, Gemalte Gelehrsamkeit, S. 80–82.

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 393 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0039305.