Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 310 Stadthagen, St. Martini 1585

Beschreibung

Altarretabel, umgestaltet als Epitaphaltar für Agnes Sass. Holz, farbig gefasst, und Alabaster. Das ursprünglich aus der Mitte des 15. Jahrhunderts stammende geschnitzte Retabel zeigt im mittleren Feld einen volkreichen Kalvarienberg, links und rechts davon unter spätgotischer Maßwerkarchitektur Szenen aus der Passion Christi: links Geißelung und Kreuztragung, rechts Kreuzabnahme und Grablegung. Die Figuren sind als plastische Schnitzfiguren gestaltet.

Seine heutige Gestalt erhielt der Altar durch eine von Anton von Wietersheim veranlasste Umgestaltung. Er ließ das ursprüngliche Retabel zum Epitaphaltar für seine Frau erweitern. Dazu wurde das Retabel an den Seiten um mindestens je eine Szene verkürzt, der Aufbau und die Rahmung hinzufügt, die gekürzten Szenen in den Aufbau integriert und die Inschriften angebracht.1)

Auf dem Fries oberhalb des Mittelfelds die Inschrift A, auf dem Fries unterhalb die Inschrift B.

Der Aufsatz ist durch angedeutete Säulen und Hermenpilaster in drei Felder geteilt. Im höheren mittleren Feld unter einem Rundbogen ein kleines Epitaph, das in seiner aus Alabaster gearbeiteten Nische des Hauptgeschosses wiederum Christus am Kreuz mit den gekreuzigten Schächern zeigt. Am Kreuz Christi der Titulus C. Im Alabasterfeld des Obergeschosses, in dem die Auferstehung dargestellt war, ist heute kein Relief mehr vorhanden. Im runden Alabastergiebelfeld der thronende Gottvater. Unterhalb des Epitaphs ein Schriftfeld mit der Inschrift D. Im linken Feld des Aufsatzes eine Szene mit der Darstellung des Judaskusses, im rechten Feld die Auferstehung, jeweils als plastische Schnitzfiguren. An den oberen und seitlichen Abschlüssen ist der Altar reich mit Rollwerk, Blumen, Masken und Fruchtgehängen verziert. Alle Inschriften sind in Gold auf dunklem Grund aufgemalt.

Zu der Inschrift am Stipes vgl. Nr. 526.

Maße: H.: 327 cm; B.: 278 cm; Bu.: 3,8 cm (A, B), ca. 1 cm (C), ca. 1,7 cm (D).

Schriftart(en): Fraktur (A, B), Kapitalis (C), schrägliegende humanistische Minuskel mit Kapitalisversalien (D).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Katharina Kagerer) [1/2]

  1. A

    Sihe das ist Gottes Lamb welchs der welt Sünde tregt,2) Das blut Jhesua) Christi machet vns rein von aller sunde, 1 Jh 1b)3)

  2. B

    Also hat gott die Welt geliebet, das er seinen eingebornen sohn gab auff das alle die an ihn gleuben / nicht vorloren werden, so(n)dern das ewige leben habenn4) . Johannes am iij .c) Anno Christi . M. D. LXXXV.d)

  3. C

    I(ESVS) · N(AZARENVS) · R(EX) · I(VDAEORVM)5)

  4. D

    Antonius Witersheim J(uris) V(triusque) D(octor)e) ac cancellarius Schawenburgieusf) / memoriae et obsequijs primae suae Vxoris Agnetae Rostochianae Petri / Zassij filiae faeminae Lectissimae Superiorem hanc marmoream novamg) / tabulam statuit, et inferiorem vetustate deformemh) refici curavit.i)

Übersetzung:

Im Jahr Christi 1585. (B)

Anton Wietersheim, Doktor beider Rechte und schaumburgischer Kanzler, hat zum Gedenken und in Hingabe an seine erste Gemahlin Agnes aus Rostock, der Tochter des Peter Sass und musterhaften Frau, diese obere marmorne Tafel neu anbringen lassen und dafür gesorgt, dass die untere, die vom Alter entstellt war, wiederhergestellt wurde. (D)

Kommentar

Die Inschriften A und B stammen wohl von der Hand Hermann Mollers (vgl. Nr. 309),6) der in den Jahren 1584 und 1590 zwei Epitaphien für die Familie von Landsberg gestaltete. Die Inschriften aller drei Objekte weisen deutliche Ähnlichkeiten in der Schriftgestaltung auf. Auffällig ist vor allem die Gestaltung der Bögen der Frakturminuskeln, die in einzelne Abschnitte aufgelöst sind (insbesondere bei a, o und g, die gewissermaßen aus einem unteren und einem oberen Teil bestehen). Inschrift D ist in einer schrägliegenden humanistischen Minuskel gestaltet, über deren Urheberschaft sich keine Aussage treffen lässt.

Anton von Wietersheim wurde vermutlich um 1540 als Sohn des Cordt Smekeworst und der Margarete Poleman in Stadthagen geboren. Er war ein Bruder der Magdalena von Wietersheim (Nr. 246). Anton ging vermutlich zunächst in Stadthagen zur Schule und studierte dann ab 1558 in Rostock.7) Wohl im selben Jahr änderten er und sein Vater ihren Nachnamen in Wietersheim.8) 1561 setzte er sein Studium an der Universität Bologna fort.9) Nach seiner Rückkehr nach Rostock bekleidete er ab 1563 das Amt eines Stadtsyndikus. Wahrscheinlich heiratete er bald darauf seine erste Ehefrau Agnes Sass, die Tochter des Rostocker Ratssekretärs Peter Sass. 1566 wurde er Senatssekretär in Hamburg, blieb aber weiterhin Vertreter der Stadt Rostock in den Auseinandersetzungen mit den Herzögen von Mecklenburg. In den folgenden Jahren reiste er im Dienst der beiden Städte umher. Während eines Aufenthalts in Wien schrieb er sich an der dortigen Universität ein, wo er den juristischen Doktorgrad erwarb. Als Doktor beider Rechte erlangte er schließlich in Hamburg die Stellung eines Syndikus.10)

1568 verlieh ihm Kaiser Maximilian II. die Pfalzgrafenwürde. Im selben Jahr begann auch Graf Otto IV. von Holstein-Schaumburg ihn mit Aufgaben in seinen Diensten zu betrauen. Otto IV. holte Anton von Wietersheim von Hamburg nach Stadthagen. Dort bekleidete von 1574 bis 1614 unter den Grafen Otto IV., Adolf XIV. und Ernst das Amt des Kanzlers. Zusammen mit den Ständen führte er von 1576 bis 1582 die Regierung der Grafschaft, nahm aber über Jahrzehnte hinweg eine dominierende Stellung in der Regierung und Verwaltung des Landes ein. Erst 1603 trat Eberhard von Weyhe als Mitkanzler an seine Seite.11)

1580 erwarb Anton von Wietersheim einen Hof und Landbesitz in Apelern, den er nach und nach vergrößerte. Im heutigen Gut Hammerstein in Apelern sind ein Kaminsturz von 1590 mit seinem Wappen und dem seiner zweiten Ehefrau Margarete Langerman (Nr. 335) sowie das Fragment eines zweiten Kaminsturzes mit seinem Wappen erhalten (Nr. 338). Des Weiteren erhielt er verschiedene Höfe zu Lehen sowie Rechte an Diensten und Zehnten und sammelte ein so großes Vermögen an, dass er zwischen 1586 und 1600 zehn weitere Höfe erwerben und darüber hinaus Geld verleihen konnte.12) Zwischenzeitlich besaß er auch das Haus Obernstraße 29 in Stadthagen, das er nach dem Tod seiner Schwester Magdalena13) geerbt hatte (Nr. 246).

Zum Gedenken an seine erste Ehefrau Agnes Sass, die 1582 an der Schwindsucht gestorben war,14) ließ Anton von Wietersheim das vorliegende Altarretabel in einen neuen Rahmen setzen und durch einen Aufsatz erweitern, der deutliche Ähnlichkeit zu den Aufsätzen am Epitaph für Otto IV. und seine zwei Ehefrauen (Nr. 284) erkennen lässt. Darüber hinaus wählte von Wietersheim, indem er das Epitaph für seine Frau auf den Hochaltar aufsetzen ließ, den denkbar zentralsten Ort der Repräsentation im Kirchenraum, der gleichzeitig im Chor als dem Ort der gräflichen Memoria gelegen war.15) Die Epitaphinschrift D gibt von Wietersheim mindestens ebenso viel Raum wie der Verstorbenen. Sie nennt seinen akademischen Titel und sein Amt und unterstreicht seine Initiative bei der Umgestaltung des Epitaphs. Sowohl die stilistische Nähe einiger Gestaltungselemente zum gräflichen Epitaph als auch der Ort, den Wietersheim für das Epitaph seiner Ehefrau aussuchte, und die Bedeutung, die ihm selbst in der Epitaphinschrift zugesprochen wird, lassen vermuten, dass er durch die Umgestaltung des Retabels sowohl seine hohe gesellschaftliche Stellung als auch seine Nähe zum Grafenhaus und sein Engagement für die Glaubensausübung der Kirchengemeinde zum Ausdruck bringen wollte. In St. Martini in Stadthagen ist auch ein von ihm gestifteter Armenkasten erhalten (Nr. 382). Im Jahr 1600 erhielt er vom Stadthäger Rat das erblich an seine beiden Freihöfe geknüpfte Recht an vier Kirchenstühlen in der St. Martini-Kirche zugesprochen, nachdem er die inwendige reparation und verbeßerung unser pfarkirchen gefurdert16) hatte. Auch ein Tafelbild mit einer Darstellung der Auferstehung Christi stiftete er der Kirche. Ferner ließ er in einem von ihm im Jahr 1600 erworbenen Haus am Kirchhof ein Armenhaus einrichten und stiftete den Lebensunterhalt für sechs Bewohner.17)

1582 heiratete Anton von Wietersheim auf dem Pinneberger Schloss seine zweite Ehefrau, die aus Hamburg stammende Margarete Langerman. Aus der Ehe gingen 12 Kinder hervor, unter anderem die späteren schaumburgischen Kanzler Julius Adolf und Anton von Wietersheim.

1592 wurde Anton von Wietersheim in Prag von Kaiser Rudolf II. in den Adelsstand erhoben. Er starb am 13. Juni 1614 in Stadthagen.18)

Textkritischer Apparat

  1. Jhesu] fehlt Bentrup, Tebbe, Meys.
  2. 1 Jh 1] fehlt Bentrup, Tebbe, Meys.
  3. Johannes am iij .] fehlt Bentrup, Tebbe, Meys.
  4. M. D. LXXXV.] M. D. LXXV. Tebbe, Meys.
  5. J.V.D.] F.V.D. Kdm.
  6. Schawenburgieus] statt Schawenburgicus; so Kdm.
  7. novam] fehlt Dassel.
  8. deformem] Spatium nach de.
  9. Kdm. und Bernstorf, die nur Inschrift D wiedergeben, überliefern an dieser Stelle Anno M . D . LXXXV . (anno 1585 Dassel). Vermutlich vermengen sie die Inschriften B und D.

Anmerkungen

  1. Dazu Bernstorf, Ein früher niederländischer Schnitzaltar, S. 4–7; vgl. Tebbe, Epitaphien, S. 90–92 u. 247f.
  2. Jh 1,29.
  3. 1 Jh 1,7.
  4. Jh 3,16.
  5. Io 19,19.
  6. Dafür spricht auch ein Eintrag in den Kirchenrechnungen der St. Martini-Kirche aus dem Jahr 1585. Es erfolgte eine Entlohnung des cort van der helle dat he halp hermen maler de taffelen vppe dat altar setten vnde halp de bilde dar in setten (StA Stadthagen, K Nr. 301, ohne Blattzählung).
  7. Matrikel Rostock, Bd. 2, S. 136.
  8. Brosius, Anton von Wietersheim, S. 26; ders., Wietersheim, Anton, S. 323.
  9. Knod, Deutsche Studenten in Bologna, S. 639.
  10. Bentrup, Wietersheim, S. 10f. Brosius, Anton von Wietersheim, S. 26f.; ders., Wietersheim, Anton, S. 323f.
  11. Tebbe, Epitaphien, S. 248. Bentrup, Wietersheim, S. 11, 13; Brosius, Anton von Wietersheim, S. 28, 37; ders., Wietersheim, Anton, S. 324f.
  12. Bentrup, Wietersheim, S. 12f.; Brosius, Wietersheim, Anton, S. 326.
  13. Brosius (Anton von Wietersheim, S. 33) gibt Margarete als ihren Vornamen an. Dem widerspricht jedoch eine für das Haus Obernstraße 29 überlieferte Inschrift.
  14. Brosius, Wietersheim, Anton, S. 325.
  15. Vgl. Baresel-Brandt, Grabdenkmäler, S. 229.
  16. Zit. n. Brosius, Anton von Wietersheim, S. 32.
  17. Brosius, Anton von Wietersheim, S. 32; ders., Wietersheim, Anton, S. 325. Das Bild ist nicht mit dem Altarretabel Nr. 193 identisch.
  18. Bentrup, Wietersheim, S. 11f. (mit Auszügen aus dem Ehevertrag); Brosius, Anton von Wietersheim, S. 33; ders., Wietersheim, Anton, S. 325f., 340; Schormann, Academia Ernestina, S. 20. Wo er begraben wurde, ist nicht ganz klar. In einer Familiengeschichte der Familie von Hammerstein sind zwei Grabplatten in der Kirche von Apelern für Anton und Julius Adolf von Wietersheim erwähnt (Geschichte der Freiherrlich von Hammerstein’schen Familie, S. 457). Es könnte sich hierbei auch um die Grabplatte für Anton von Wietersheims gleichnamigen Sohn handeln. Mehrere der Kinder und Enkel des Anton von Wietersheim d. Ä. sollen im väterlichen bzw. großväterlichen Erbbegräbnis in Stadthagen beigesetzt worden sein (Brosius, Anton von Wietersheim, S. 40).

Nachweise

  1. Dassel, Beschreibung der St. Martini Kirche, S. 13 (D).
  2. Kdm. Kreis Schaumburg-Lippe, S. 67 (D).
  3. Bernstorf, Ein früher niederländischer Schnitzaltar, S. 7 (D).
  4. Bentrup, Kirchen in Schaumburg, S. 176 (A, B; D in dt. Übers.).
  5. Tebbe, Epitaphien, Nr. 145, S. 247f. u. Abb. 52 (A, B, nach Bentrup).
  6. Meys, Memoria und Bekenntnis, S. 725 (A, B).
  7. Brüdermann (Hg.), Schaumburg im Mittelalter, Tafel XX (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 310 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0031000.