Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 294 Stadthagen, Niedernstraße 48 1581

Beschreibung

Haus. Fachwerk. Das mit Muschel- und Fächerrosetten sowie Tau- und Flechtband reich verzierte giebelständige Haus ist sieben Gefache breit und zwei Geschosse hoch. Vor der rechten Hälfte des Hauses eine drei Gefache breite Utlucht.1) Inschrift A befindet sich am Schwellbalken des vorkragenden zweiten Obergeschosses. An der Utlucht am Schwellbalken des vorkragenden zweiten Obergeschosses die Inschriften B (über zwei Gefache verlaufend) und C (über ein Gefach verlaufend). Die mehrfach restaurierten Inschriften sind erhaben in vertiefter Zeile gearbeitet und in Gold auf schwarzem Grund gefasst. B und C sind heute teilweise nur noch aufgemalt. Am Ende von Inschrift C wurde ein Stück Holz neu in den Balken eingesetzt; die auf ihm befindlichen Buchstaben, die hier in spitzen Klammern wiedergegeben sind, ergeben keine sinnvolle Lesung; auch die erste Zeile von Inschrift C ist durch Fehlrestaurierung sinnentstellt. Über dem Tor eine Inschrift aus jüngerer Zeit, die auf die Neugestaltung des Tors im 20. Jahrhundert verweist.2)

Maße: Bu.: ca. 9 cm (A), ca. 5,5 cm (B), ca. 6,5–7 cm (C).

Schriftart(en): Fraktur mit Elementen der gotischen Minuskel (A), schrägliegende Kapitalis (B, C).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Katharina Kagerer) [1/2]

  1. A

    Annoa) · 1581 · heft · hinrich · Cordes · vnd · Elisabet · von · nelen · dut · hus · Laten · Bwen

  2. B

    PARVOS PARVA DECENT3) . SED QVAE STAT NVMINE · DIVVMb)4) /PARVA LICET FVERIT · STAT BENE TVTA · DOMVS

  3. C

    FORTVNA[E]c) FAVORA<BIII>d) / [ . ]A[ . . M]e)

Übersetzung:

Im Jahr 1581 haben Hinrich Cordes und Elisabeth von Nelen dieses Haus bauen lassen. (A)

Kleinen Leuten steht Kleines zu. Aber ein Haus, das dem Walten der Götter untersteht – mag es auch klein sein –, steht völlig sicher. (B)

Das Schicksal ist dem Glück günstig. (?)5) (C)

Versmaß: Elegisches Distichon (B).

Kommentar

Die Buchstaben sind überwiegend durch Restaurierung überformt. Inschrift A weist keine sehr ausgeprägten Brechungen auf. Als Element einer späten gotischen Minuskel ist das kastenförmige a zu nennen. Folgende Merkmale sind aus der Fraktur entlehnt: Unteres Schaftende des f nach links durchgebogen, rechter Schaft des w als Schwellzug. Balken des e zu einem steil rechtsschräg verlaufenden Strich reduziert, unten nach rechts umgebogen.

Inschrift B ist in einer schrägliegenden Kapitalis gestaltet. Die Kapitalis-Buchstaben von Inschrift C stehen im Vergleich dazu nahezu senkrecht; dies könnte aber durch Platzgründe bedingt sein, denn die Form von F (mit sehr kleinen Balken) und R (mit einwärts gekrümmter Cauda) sind in beiden Inschriften sehr ähnlich, so dass mit einer gleichzeitigen Anbringung von Inschrift B und C zu rechnen ist.

Hinrich Cordes war Amtmann des schaumburgischen Amtes Sachsenhagen. Er ist 1581 ins Bürgerverzeichnis von Stadthagen eingetragen.6) Seit 1579 war er verheiratet mit Elisabeth von Nelen,7) der Tochter des Gert van Nelen und seiner Ehefrau Mette, verwitwete Alferding (zu ihnen vgl. Nr. 214). Die beiden sind in der Liste der Braueramtsberechtigten von 1576 verzeichnet.8)

Aus der Ehe gingen die Kinder Hermann, Gerd, Alheid und Henrich hervor; hinzu kam ein unehelicher Sohn des Hinrich Cordes, der den Vornamen seines Vaters trug. Nach dem Tod ihres Ehemanns heiratete Elisabeth von Nelen am 15. August 1595 den aus Hameln stammenden Henning Ebbeke, den Amtsnachfolger ihres verstorbenen Mannes als Amtmann von Sachsenhagen.9) In die Ehestiftung ging unter anderem das Haus in der heutigen Niedernstraße 48 ein.10) Dieser Ehe mit Henning Ebbeke entstammten vier weitere Kinder: Nikolaus, Johannes, Johann Erich und Elisabeth. Nach dem Tod ihres zweiten Ehemanns verkaufte Elisabeth von Nelen das Haus im Jahr 1638 an Hinrich Lehmensigk aus Bad Münder (Lkr. Hameln-Pyrmont).11)

Textkritischer Apparat

  1. Anno] fehlt Weiland, Die Häuser und deren Eigentümer.
  2. DIVVM] fehlt Conze.
  3. Das E ist auf einer Fotografie von 1960 bei Weiland, Die alten Häuser in Stadthagen, S. 263 noch erkennbar, war aber bereits damals nicht farbig gefasst.
  4. FAVORA<BIII>] favorabit Conze, [Wehling], Stadthagens alte Bauten; FAVORABILI Wehling, Alte Fachwerkhäuser in Stadthagen; Steinicke (S. 58) schlägt FAVORABILIS vor; möglicherweise FAVORABILE.
  5. [ . ]A[ . . M]] fehlt Conze; jetziger Befund: IAII (Fehlrestaurierung); FORTEM Wehling, Das vorm. Tischlermeister Möhlingsche Haus (dafür reicht allerdings der Platz kaum aus); Reste des M (nicht farbig gefasst) sind zu erahnen; Steinicke (S. 58) schlägt FATVIS oder FATVO vor („Das Glück begünstigt die Dummen.“); möglicherweise FATVM.

Anmerkungen

  1. Unklar ist, ob die Utlucht von Anfang an zu dem Haus gehörte oder ob sie nachträglich angebaut wurde. Steinicke (Hausinschriften, S. 55) rechnet nicht mit einem nachträglichen Anbau; er beruft sich auf die einheitliche Fachwerkzier. Janus (Unsere alten Fachwerkbauten, S. 273) geht davon aus, dass das gesamte Haus 1582 [sic] umgebaut wurde; sie scheint jedoch anzunehmen, dass die Utlucht bereits 1582 errichtet wurde.
  2. ERNEUERT / IM JAHRE 1914. Abbildung des Zustandes vor 1900 bei Weiland, Die alten Häuser in Stadthagen, S. 260f.
  3. Nach Horaz, epistulae 1,7,44: Parvum parva decent.
  4. NVMINE DIVVM als Hexameterschluss häufiger bei Vergil (z. B. Aeneis 2,336; 5,56) sowie bei Catull 64,134 (vgl. Steinicke, S. 57).
  5. Der Übersetzung liegt die konjizierte Fassung FORTVNAE FAVORABILE FATVM zugrunde (vgl. den textkritischen Apparat).
  6. Burchard, Stadtarchiv Stadthagen, S. 52,10f.
  7. Weiland, Trauungen, S. 8.
  8. Burchard, Stadtarchiv Stadthagen, S. 376,38f.
  9. Steinicke, Hausinschriften, S. 57; vgl. S. 47f. Ebbeke hatte das Amt von 1595 bis 1613 inne (Schormann, Academia Ernestina, S. 22).
  10. Steinicke, Hausinschriften, S. 57; vgl. Burchard, Stadtarchiv Stadthagen, S. 254, Anm. 4 u. Weiland, Die Häuser und deren Eigentümer, Teil 2, S. 102.
  11. Steinicke, Hausinschriften, S. 48.

Nachweise

  1. Conze, Haussprüche, S. 96 (mit Lücken).
  2. Kdm. Kreis Schaumburg-Lippe, S. 88.
  3. Burchard, Stadtarchiv Stadthagen, S. 456, Anm. 2 (A).
  4. [Wehling], Stadthagens alte Bauten, 1926, H. 11, ohne Seitenzählung.
  5. A. Wehling, Alte Fachwerkhäuser in Stadthagen, in: General-Anzeiger vom 14.12.1935.
  6. A. Wehling, Das vorm. Tischlermeister Möhlingsche Haus in Stadthagen, in: Die Schaumburg-Lippische Heimat. Heimatbeilage zum Stadthagener Kreisblatt 7 (1936), Nr. 1.
  7. Weiland, Die Häuser und deren Eigentümer, Teil 2, S. 101 (A, B teilweise).
  8. Weiland, Die alten Häuser in Stadthagen, S. 262f. (mit Abb.) – Steinicke, Hausinschriften, Nr. 28, S. 56ff. u. Abb. Tafel 28.

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 294 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0029408.