Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 250 Hülsede, St. Aegidien 1574, 1578

Beschreibung

Kanzel. Holz, farbig gefasst. Am Kanzelkorb in fünf rundbogigen Feldern Reliefdarstellungen einer Kreuzigungsgruppe sowie der Evangelisten mit ihren Symbolen, zwei weitere Flächen bleiben ohne Figuren. Nach oben hin schließen zwei Friese an, der obere vorkragend, darauf die Inschriften A (ganz oben) und B. Auf dem Sockelfries jeweils zweizeilig untereinander die Inschriften C (links) und D (rechts). Am Fries des siebeneckigen Schalldeckels die Inschrift E. Am Schalldeckelboden Christus als gemalte, nackte Kinderfigur mit Kreuz und Weltkugel, zu beiden Seiten die Inschrift F. Alle Inschriften sind gemalt, Inschrift E in Gold auf schwarzem, die übrigen Inschriften in Gold auf blauem Grund. Die Inschrift G, die sich im Inneren des Deckels befunden haben soll, war schon am Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr erhalten.1)

Die Buchstaben der Inschriften, die (jedenfalls bei den Inschriften A–D) unter der jetzigen Farbfassung leicht erhaben erkennbar sind (möglicherweise lediglich aufgrund der Dicke des Farbauftrags der ursprünglichen Buchstaben), wurden neu farbig gefasst; die jetzige Farbfassung dürfte im Wesentlichen den Formenbestand der ursprünglichen Buchstaben wiedergeben.

Die Kanzel wird von einem Block getragen, aus dem eine nahezu vollplastische Mönchsfigur herausgearbeitet wurde. Am Kanzelaufgang sechs Felder, die heute mit Rankenwerk bemalt sind.2)

Inschrift G nach Mithoff.

Maße: H.: 247 cm (Kanzelkorb und -fuß); Dm.: 111 cm (Kanzelkorb); Bu.: 3,2 cm (A–D), 7 cm (E), 2,2 cm (F).

Schriftart(en): Fraktur mit Versalien (A–D, F), Kapitalis mit Versalien (E).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Inga Finck) [1/2]

  1. A

    Matth: 28. Prediget dat Euangelion aller Creatur Vnd leret alle völcker3). So sin wi nu badena) in Christus stede, welche godt vormanet dorch vns. 2. Cor: 54)

  2. B

    2. Cor: 5, Sin wi tho strenge, so sin wi idt Gade, sin wi metich so sin wi iuwb) metich,5) Wi reden in Christo vor Gade, 2. Cor: 12.6)

  3. C

    Jesaiae, 49. Mine sake is des Heren, Vnd min ampt mines Gades7). / Here dat weistu, wat ick geprediget hebbe dat ist recht vor di vnd di geuellich Ieremj. 12c)8)

  4. D

    Wi sint Gades dener dorch welckere / gi gelouichd) werden 1 Cor. 39)

  5. E

    PSAL: 68 IPSE SVVM VERBVM DOMIN(VS) DABIT, OMNIA FIENT,REGNA EVANGELIJ LVMINE PLENA NOVI · 10)

  6. F

    Vns is ein Kindt geboren, ein // Sone is vns gegeuen, welckeres / herschop is vp siner Schuldern // Vnd he hett Wunderbar, Radte) / Krafft Helt, Jummer vader, // Fredeforste. Vp dat sine her=/schop groth werde. Vnde des // fredes nen ende . Vp dem / stole David. Vnde sinem // köningrike. Jesaiae. 9.11)

  7. G †

    JVRGENf) DOVE MINDE(N)SIS MALER 1578

Übersetzung:

Matth. 28: Predigt das Evangelium der gesamten Kreatur und lehrt alle Völker. So sind wir nun Boten an Christi Stelle, welche Gott durch uns ermahnt. 2 Korinther 5. (A)

2 Ko 5: Sind wir zu streng, so sind wir es für Gott. Sind wir unser selbst mächtig, so sind wir es für euch. Wir reden in Christus vor Gott. 2 Korinther 12. (B)

Jesaja 49: Meine Sache ist des Herrn und mein Amt meines Gottes. Herr, das weißt du: Was ich gepredigt habe, das ist recht vor dir und dir gefällig. Jeremia 12. (C)

Wir sind Gottes Diener, durch welche ihr gläubig werdet. 1 Korinther 3. (D)

Der Herr selbst wird sein Wort geben. Alle Reiche werden voll werden vom Licht des neuen Evangeliums. (E)

Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geboren, dessen Herrschaft auf seinen Schultern liegt. Und er heißt Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Ewig-Vater, Friedefürst. Auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Stuhl Davids und seinem Königreich. Jesaja 9. (F)

Jürgen Dove aus Minden, Maler. 1578. (G)

Versmaß: Elegisches Distichon (E).

Kommentar

In den Inschriften A–D gleichmäßig gestaltete Fraktur mit sorgfältig ausgeführten Brechungen und Schwellzügen. Das e läuft oben spitz zu. Der obere Schrägbalken des k ist zum Schaft hin gebrochen, der untere Schrägbalken waagrecht, verkürzt und weit nach oben gerückt; er durchschneidet den Schaft. Beim w ist der linke Schaft getrennt von den übrigen beiden Schäften, die unten durch eine Rundung verbunden sind. Die oberen Schaftenden bei h, k und l sind nach rechts gebogen. Unterlängen bei g und h sind häufiger zu Zierstrichen ausgezogen, die zum Teil auch Schlingen bilden. Über dem u unabhängig vom Lautwert ein u-Haken in Form einer gezackten Wellenlinie (vgl. Nr. 249 u. 275). 2 in Form eines Z.

Nach Auskunft einer im Kunstdenkmälerinventar erwähnten Gemeinderechnung wurden Kanzelkorb und Schalldeckel 1574 angeschafft.12) Mithoff schreibt dem Mindener Maler Jürgen Dove auch die Anfertigung der Deckengemälde zu (vgl. Nr. 275);13) vermutlich war er auch an der Empore (Nr. 249) tätig.

Textkritischer Apparat

  1. baden] fehlt Bentrup.
  2. iuw] imo Mithoff.
  3. Here dat weistu … Ieremj. 12] fehlt Bentrup.
  4. Befund: gelonich (Fehlrestaurierung; unter der jetzigen Farbfassung ist das ursprünglich vorhandene u noch leicht erhaben zu erkennen).
  5. Radt] fehlt Bentrup.
  6. V mit zwei Punkten.

Anmerkungen

  1. Mithoff, Fürstenthum Calenberg, S. 104.
  2. Hinter der Kanzel befindet sich auf einem Pfeiler aus dem 17. Jahrhundert ein Kruzifix, dessen Korpus aus dem ausgehenden 14. Jahrhundert stammt. Die Kreuzarme, deren Datierung unklar ist, sind stark restauriert. An den Vierpassenden der Kreuzarme geschnitzte Evangelistensymbole mit Beischriften, die aus jüngerer Zeit stammen (Kdm. Kreis Springe, S. 89). Denkbar ist, dass der ebenfalls stark restaurierte Titulus I.N.R.I. vor 1650 entstanden ist.
  3. Nach Mt 28,19.
  4. Nach 2 Ko 5,20.
  5. Nach 2 Ko 5,13.
  6. 2 Ko 12,19.
  7. Jes 49,4.
  8. Jer 17,16.
  9. 1 Ko 3,5.
  10. Eobanus Hessus, Psalterium universum carmine elegiaco redditum atque explicatum, Marburg 1537, S. 135; die lateinischen Psalmenparaphrasen des Hessus waren sehr verbreitet (über 50 Auflagen); vgl. zu Hessus Gerlinde Huber-Rebenich/Sabine Lütkemeyer, Hessus, Helius Eobanus, in: Worstbrock (Hg.), Verfasserlexikon Humanismus, Bd. 1, Sp. 1066–1122. Eine Rezeption von Hessus’ Psalterium lässt sich für die Deckenmalereien der Hülseder Kirche nachweisen (Nr. 275).
  11. Jes 9,6f.
  12. Kdm. Kreis Springe, S. 89.
  13. Mithoff, Fürstenthum Calenberg, S. 105; vgl. Dehio, Kunstdenkmäler Bremen/Niedersachsen, S. 177.

Nachweise

  1. Mithoff, Fürstenthum Calenberg, S. 104 (B, C, D, G).
  2. Parisius, Das vormalige Amt Lauenau, 1911, S. 88 (B–D). – Kdm. Kreis Springe, S. 85 (nur Angabe der Bibelstellen).
  3. Parisius, Das vormalige Amt Lauenau, 1951, S. 85 (B–D, G).
  4. Katalog Kunst und Kultur im Weserraum, Bd. 2, Kat. Nr. 567, S. 726 (G).
  5. Anton, Wand- und Deckenmalerei, S. 216 (G).
  6. Bentrup, Kirchen in Schaumburg, S. 81 (A–D, F).

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 250 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0025009.