Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 241 Stadthagen, St. Martini 1573 o. später, 1586

Beschreibung

Epitaph für Johann Gogreve und Mette Desenis. Holz, farbig gefasst. Das Epitaph ist im Inneren der Kirche an der Nordwand im ersten Joch von Westen angebracht. Ursprünglich befand es sich „rechts von dem Armenkasten“.1) In dem von Säulen gerahmten Hauptgeschoss ein Gemälde mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts: Im oberen Bildbereich thront Christus auf einem Regenbogen. Links unten kniet der Verstorbene vor einer Gruppe von Erlösten. Ein Engel tritt hinzu, um ihn zu den Erlösten zu geleiten. Oberhalb des Gemäldes auf dem Gebälkfries die in Gold auf hellbraunem Grund aufgemalte Inschrift A. Auf einer Inschriftentafel im Aufsatz die in Gold auf dunklem Grund aufgemalte Inschrift B. Auf dem Gebälkfries des Aufsatzes gemalte Fruchtgehänge, im Giebelfeld die Umrisse der Taube des Heiligen Geistes. Auf einer weiteren Inschriftentafel im Unterhang die in Gold auf dunkelbraunem Grund aufgemalten Inschrift C1 und C2 in zwei Kolumnen. Das jetzige Erscheinungsbild der Inschriften C1 und C2 ist das Ergebnis einer grob sinnentstellenden Fehlrestaurierung. Es wird daher lediglich in den Anmerkungen g und h wiedergegeben, ediert wird eine emendierte Fassung.

Maße: H.: ca. 450 cm; B.: ca. 145 cm; Bu.: ca. 2 cm (A), ca. 3–4 cm (B), ca. 1–1,5 cm (C).

Schriftart(en): Fraktur mit Kapitalis (A), Kapitalis mit Versalien (B), schrägliegende humanistische Minuskel mit Kapitalisversalien (C).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Katharina Kagerer) [1/3]

  1. A

    Se werden sehen desa) Mensche(n) son komende jn den wolcken des hemmels mit grother / krafft vnde herlicken, vnde heb) wert vthsenden sinec) Engele mit hellen Bassunen, vnde se / werden samlend) sine yterwelden van den veer winden van einem ende (et cetera) · MATH: 24.2)

  2. B

    MARITO DVLCISS(IMO) PAT/RI VERO DILECTISSIMO D(OMINO) / JOHANNI GOGREVEN CANCEL/LARIO SCHAVMBVRGICOe) HOC / PERPETVVM AMORIS ET GRA/TITVDINIS SIGNVM CVM / ANNO 1573. 30 AVGVSTI / DIE AD COELESTIA GAVDIA CI/TARETVR POSVERVNT VXOR / ET RELICTI HAEREDES.

  3. C1

    Ille Deu(m) cultor, legumque exemplar, et aequi /Gogreuius tristi hoc conditur in tumulo /Quem probitas, et fama vigens, sapientia / virtusf) /AEquatum coeli sedibus extulera(n)t /Tanta illi integritas, ta(n)ta experientia rerum /Blandaque natiuis gratia iuncta bonis /Consilijs clarae Schaumburgij praefuit aulae /Iuraque consultis legibus aequa dedit /Mitis in oppressos et opem largitus egenis /Musarum aßiduus fautor et author erat /Et quia corde Fides, Pietasque adiuncta vigebat /Antè homines vixit gratus et ante Deum. /Ergo etiam vitae tandem pertaesus et aurae /Lucida coelorum mortuus astra petit. /Omnibus ex aequo lethum venit: Optimus ille est /Qui didicit vera claudere fata Fide /Chr. [ - - - ] Poz[e]liu[s] Theol(ogiae) D(octor) fecit We[ - - - ] //g)

  4. C2

    Hic prope Gogreuij dilecti coniugis ossa /Exuvias posui Metta sepulta meas /In me stipato fulserunt agmine dotes /Foemineum sexum quae decorare solent /Intemerata tori servavi foedera pactam /Illaesa firmans relligione fidem /Nec sterilis mansi duodena prole maritum /Diuinâ feci prosperitate patrem /Edita quin etiam sacris oracula libris /Caelestis cupidâ nectaris aure bibi. /Pauperibus prodesse fuit mihi prona voluntas /Vita grauis nulli mens pia pura fides. /Hinc Christus, roseo nostros qui sanguine nevos /Abluit aeternâ dat mihi luce frui. /Obijt die 25. Ianuarij Anni 86. inter 5 et 6 / horam pomeridianam. /Arnold Suthagius amore vicinitatis.h)

Übersetzung:

Sie werden den Menschensohn kommen sehen in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit, und er wird seine Engel mit hellen Posaunen aussenden, und sie werden seine Auserwählten sammeln aus den vier Himmelsrichtungen, von einem Ende usw. (A)

Dem so liebenswerten Ehemann und innig geliebten Vater, Herrn Johann Gogreve, dem Schaumburgischen Kanzler, haben dieses fortwährende Zeichen der Liebe und Dankbarkeit die Ehefrau und die nachgelassenen Erben gesetzt im Jahr 1573 am 30. August, als er zu den himmlischen Freuden gerufen wurde. (B)

Gogreve, der Gott und die Gesetze verehrte, ein Musterbeispiel der Gerechtigkeit, ist in diesem traurigen Grab bestattet. Seine Rechtschaffenheit und sein mächtiger Ruhm, seine Weisheit und Tüchtigkeit hoben ihn so hoch, dass er an die Wohnungen des Himmels heranreichte. Ein so untadeliger Charakter war ihm eigen, eine solche Welterfahrung und eine so gewinnende Liebenswürdigkeit, die sich zu seinen angeborenen Vorzügen gesellte. Er stand dem Rat am berühmten schaumburgischen Hof vor und erließ nach Konsultation der Gesetze gerechte Satzungen. Er war milde gegenüber den Unterdrückten und freigebig gegenüber den Bedürftigen. Er war ein eifriger Gönner und Förderer der Musen. Und da in seinem Herzen der Glaube, verbunden mit Frömmigkeit, stark war, war er in seinem Leben den Menschen und Gott lieb. Und so starb er schließlich, des Lebens und dieser Welt überdrüssig, und strebte hinauf zu den strahlenden Gestirnen des Himmels. Bei allen gleichermaßen kommt einmal der Tod: Derjenige ist der beste, der es gelernt hat, sein Leben im wahren Glauben zu beschließen. Chr. […] Pozelius, Doktor der Theologie, hat dies gedichtet. (C1)

Hier neben den Gebeinen meines geliebten Ehemanns Gogreve habe ich, Mette, meine sterbliche Hülle zum Begräbnis abgelegt. In mir glänzten in dichter Reihe die Gaben, die das weibliche Geschlecht zu schmücken pflegen. Unbefleckt bewahrte ich den Ehebund, indem ich durch unverletzliche heilige Pflichterfüllung den eingegangenen Treuebund festigte. Und ich blieb nicht unfruchtbar: Mit zwölffacher Nachkommenschaft habe ich meinen Ehemann durch Gottes Gunst zum Vater gemacht. Ja, auch die Lehren der heiligen Schriften habe ich mit einem nach himmlischem Nektar dürstenden Ohr getrunken. Ich war willig und geneigt, den Armen zu nützen. Mein Leben fiel niemandem zur Last, und ich hatte einen frommen Sinn und reinen Glauben. Daher gewährt mir Christus, der unsere Schandmale mit seinem roten Blut abgewaschen hat, dass ich das ewige Licht genieße. Sie starb am 25. Januar 1586 zwischen der fünften und sechsten Nachmittagsstunde. Arnold Suthagen aus Zuneigung unter Nachbarn. (C2)

Versmaß: Elegische Distichen (C).

Kommentar

Die Kapitalis in Inschrift B weist einen deutlichen Wechsel zwischen Haar- und Schattenstrichen auf sowie ausgeprägte Strichsporen. Konisches M. Beim P ist der Schaft unter die Grundlinie verlängert, der Bogen reicht fast bis auf die Grundlinie herab. A und H mit gebrochenem Mittelbalken. Die Cauda des G ist unten gegabelt.

Bei der Fraktur von Inschrift A sind die Schäfte des h, k, l oben gegabelt.

Bei der humanistischen Minuskel von Inschrift C1 und C2 ist das g in der Grundform des runden g gestaltet; die Bögen sind aber nicht ganz geschlossen, so dass der Buchstabe eher wie eine 3 gestaltet ist; das untere Bogenende ist nach rechts zurückgeführt, so dass sich eine Schlinge bildet. Die beiden Schrägschäfte des v sind nach rechts durchgebogen. Das obere Schaftende des t ist nach rechts gebogen.

Der schaumburgische Kanzler Johann Gogreve entstammte einer Familie, die um 1500 eine Reihe kirchlicher und weltlicher Amtsträger im Raum Hameln und Minden hervorbrachte.3) Möglicherweise war er der Sohn des Hamelner Dekans Johann Gogreve, der einen Kelch für die Rintelner Nikolai-Kirche stiftete (vgl. Nr. 107). Johann Gogreve ist seit 1554 oder 1555 in der Funktion als schaumburgischer Kanzler nachgewiesen.4) Er gehörte der Kommission an, die 1563 die erste Kirchenvisitation in der Grafschaft Schaumburg durchführte.5) Gogreve scheint vermögend gewesen zu sein, da er 1565 mit Graf Otto IV. einen Vertrag schloss, der den Kauf einer Reihe von Besitzungen für den Preis von 2200 rheinischen Goldgulden vorsah.6) Gogreve erwarb auch von anderen Eigentümern Höfe und Ländereien, z. B. von dem Pastor Jakob Dammann7) oder dem Kloster Rinteln.8) In Stadthagen besaß er Häuser in der Niedernstraße 10 und in der Echternstraße 29 (Nr. 202).

Johann Gogreve war verheiratet mit Mette Desenis.9) Aus der Ehe gingen die Kinder Maria, Elisabeth, Sophia, Dorothea, Anna, Georg, Anton, Liborius (vgl. Nr. 371), Otto und Johann hervor.10) Mette Desenis starb der Inschrift zufolge im Jahr 1586. Inschrift C2 dürfte kurz nach ihrem Tod nachgetragen worden sein. Da sie sich im Schriftduktus aber nicht von Inschrift C1 unterscheidet, wird man annehmen müssen, dass auch diese Inschrift nicht sehr viel früher angefertigt wurde. Denkbar wäre eine Herstellung des Epitaphs kurz nach Gogreves Tod und eine nachträgliche Hinzufügung des Unterhangs in seiner jetzigen Form. Die bildliche Darstellung in der Nische zeigt nur Gogreve selbst, nicht auch seine Ehefrau; dies könnte dafür sprechen, dass das Epitaph ursprünglich nur Gogreve galt und später erweitert wurde.

Über den Verfasser des Epigramms auf Johann Gogreve, der sich Pozelius (Bozelius?) nennt, ließen sich keine Informationen eruieren. Zu Arnold Suthagen, dem Dichter des Epicediums auf Mette Desenis, vgl. Nr. 464.

Textkritischer Apparat

  1. des] DEN Tebbe.
  2. vnde he] UNDENE Tebbe.
  3. sine] fehlt Tebbe.
  4. samlen] NAMLEN Tebbe.
  5. SCHAVMBVRGICO] SCHAUMBURGICA Tebbe.
  6. In der Zeile darunter hinter einer runden Klammer.
  7. Jetziger Befund:
    IEle Deu cultor, legumq(ue) exemplar et aequi /
    ogrenius tristu boe conditiu in tumulo /
    ucni probitas, et fama vigens, sapientie vulus /
    AEquatu coeli sedibus extulerat /
    Tanta illi integruas, tata experientia rerum /
    Blandaq(ue) natnus gratia iuncta borus /
    Consilijs clar
    ae Schaumburgij praefuit aulae /
    Iuraq(ue) consultis legibus
    aequa deoit /
    Milis in oppressos et opem larguus egems /
    Musarum aßiduus sautor et author era /
    Et quia corde Fides, Piclasq(ue) adiuncta vigebat /
    Antè bomines vixit gratus et ante Deum. /
    Ergo etiam vit
    ae tandem pertaisus et aura /
    Lucida c
    oelorum mortuus astra petit. /
    Omnibus ex
    aequo letbum venit: Optimus ille e /
    Qui dicheit vera claudere fata Fide /
    Chr. Heptorns Pozcliu Tlsad D feett We //
  8. Jetziger Befund:
    Hic prope Gogronÿ dilecti connigis ossa /
    Exuvias posin Metta sepulla meas /
    In me stipato fulserurd agmine dotes /
    F
    aemineum sexune auae decorare sotent /
    Intemerata tori soru nüf
    aedera pactam /
    M
    aesa fermans relligione fideni /
    Nu sterilis mansis duodena prole maritum /
    Diuinâ feci prosperitale patrem /
    Edita qainletiam sacris oracnla libris /
    Caelestis cupidâ nectaris auce bibi. /
    Pauperibus prodesse fuit miht prona volimas /
    Vita grauis nulli mens pia pura fides. /
    Hine Christus, roseo nostros qui sanguine nevos /
    Abluit
    aeternâ dat mihi luee frui, /
    Obijt die 25. Ianuarij Anni 86. inter 5 et 6 /
    horam pomeridianam. /
    Anuld sutha soon amore vietailatis

Anmerkungen

  1. Dassel, Beschreibung der St. Martini Kirche, S. 11.
  2. Vgl. Mt 24,30f.
  3. Steinicke, Hausinschriften, S. 41. Vgl. Nr. 107.
  4. Burchard, Stadtarchiv Stadthagen, S. 382,35; vgl. NLA BU, L 1, Nr. 4191 (nach Findbuch).
  5. Husmeier, Graf Otto IV., S. 198.
  6. NLA HA, Dep. 13 Nr. 68: Dem Findbucheintrag zufolge handelt es sich um eine „nicht vollzogene korrigierte Ausfertigung“.
  7. NLA BU, Orig. F, Nr. 281 (nach Findbuch).
  8. NLA BU, Orig. 22 Nr. 193a (nach Findbuch).
  9. Vgl. Burchard, Stadtarchiv Stadthagen, S. 382,35f. mit Anm. 3. – Johann Gogreve und Mette Desenis stifteten eine Patene für die Stadthäger St. Martini-Kirche (Nr. 262).
  10. Burchard, Stadtarchiv Stadthagen, S. 317. Steinicke nimmt an, dass die genannten Kinder aus zwei Ehen stammten; vermutlich beruht dies darauf, dass der Stammbaum bei Burchard, S. 383 nur fünf Kinder nennt.

Nachweise

  1. Tebbe, Epitaphien, Nr. 143, S. 246 (A, B) u. Abb. 11.

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 241 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0024100.