Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 213 Rinteln, ehem. von Münchhausenscher Adelshof, Ritterstraße 30 1565, 1566

Beschreibung

Haus. Stein. Das sogenannte Archivhäuschen1) ist von der Straße aus gesehen links von der Einfahrt in die Mauer zum von Münchhausenschen Adelshof (vgl. Nr. 197) hineingebaut. Zur Straßenseite hin eine Utlucht, deren Brüstung auf einem aus Bruchsteinen gemauerten Sockel aufsitzt. Oberhalb davon, durch ein Fenstersims abgetrennt, drei Fenster mit reich verzierten Fensterstürzen. Bekrönt wird die Utlucht von drei Welschen Giebeln mit Porträtmedaillons der Erbauer.

Die Brüstung der Utlucht bildet ein querrechteckiger Fries. Er wird durch sechs Pilaster in vier Felder geteilt, auf den mittleren zwei Feldern je ein Vollwappen, links und rechts davon in runden Kranzmedaillons die Brustbilder eines Mannes und einer Frau, die vermutlich Hilmar von Münchhausen und Lucia von Reden darstellen. Oberhalb der Felder erhaben in vertiefter Zeile die Inschrift IA, unterhalb der Felder in einer kürzeren, zentriert angeordneten, vertieften Zeile die ebenfalls erhaben ausgeführte Inschrift IB. Als Worttrenner Blüten. Beide Inschriften sind teilweise verwittert.

Die seitlichen Rahmungen der drei Fenster sind ebenfalls als Pilaster ausgeführt. An den Basen figürliche Darstellungen: An der nördlichen Schmalseite ein rundes Medaillon mit dem Relief eines Jünglings im Brustbild, darunter das Steinmetzzeichen des Cord Tönnies (M29),2) am selben Pilaster an der Westseite zur Straße hin ein rundes Medaillon mit dem Relief eines bärtigen Mannes im Brustbild, darunter dasselbe Steinmetzzeichen, am zweiten Pilaster von links in einem hochrechteckigen Feld die Relieffigur der Lucretia, die sich erdolcht. Darüber erhaben ausgehauen in zwei Zeilen die Inschrift IC; zwischen den Zeilen ein Steg. Am dritten Pilaster in einem hochrechteckigen Feld eine Vase, aus der Pflanzen ranken. Ganz rechts in einem Rundbogenfeld die kniende Fides-Figur eines nackten Knaben, in seiner Hand ein Kelch, über seinem Kopf die erhaben ausgeführte Inschrift ID. Am selben Pilaster ist an der südlichen Schmalseite in einem Rundbogenfeld die kniende Spes als Knabe dargestellt, die Hände zum Gebet zusammengelegt; über seinem Kopf die erhaben ausgeführte Inschrift IE.

An der Rückseite des Archivhäuschens vor den zwei Eingängen eine Treppenbrüstung aus Stein. In zwei nebeneinander angeordneten Rundbogenfeldern die gleichen zwei Vollwappen wie an der Brüstung der Utlucht. Im mittleren Zwickel zwischen den Rundbögen das Steinmetzzeichen M30. Dem äußeren Anschein nach wurden die Wappendarstellungen in jüngerer Zeit restauriert bzw. aufgearbeitet. Unterhalb der Wappen die zweizeilig erhaben in vertieften Zeilen ausgeführten Inschriften IIA und IIB, die keine Anzeichen einer jüngeren Überarbeitung erkennen lassen. Als Worttrenner Blüten, Quadrangeln und Pflanzenornamente.

Maße: H.: 79,5 cm (I), 108 cm (II); B.: 248 cm (I), 206,5 cm (II); Bu.: 5 cm (IA, IB), 2,5 cm (IC, ID, IE), ca. 2,7 cm (IIA, IIB).

Schriftart(en): Kapitalis mit Elementen der frühhumanistischen Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Inga Finck) [1/6]

  1. I A

    [ · ] HE[L]MERa) · VAN · MONICHHVSEN · OBERSCHTER · LVCIA · VAN · REDEN · H(ELMER) · V(AN) · M(ONICHHVSEN) · E(HLICHE) · H(VS)·F(RAV) ·

  2. I B

    · ANNO · DOMINI · 1·5·65 ·b)

  3. I C

    LVCRETIA / ROMANAc)

  4. I D

    FIDES

  5. I E

    SPES

  6. II A

    HILMER · VAN · MONICHVSEN / · OBERSTHER · ANNO · 15·66 ·

  7. II B

    · LVCIA · VAN · REDEN · / · H(ILMER) · V(AN) · M(ONICHVSEN) · E(HLICHE) · H(VS)·F(RAV) ·

Übersetzung:

Glaube. (ID)

Hoffnung. (IE)

Wappen:
Münchhausen,3) Reden4)

Kommentar

Als Elemente der frühhumanistischen Kapitalis sind zu nennen: konisches M mit bis zur Mitte des Buchstabens reichendem Mittelteil. Offenes D in Inschrift IA. Weit offenes C, spitzovales O. In den Inschriften IA und IB weist der Schrägschaft des N eine Ausbuchtung nach rechts auf, in den Inschriften IIA und IIB N retrograd mit Ausbuchtung nach rechts am Schrägschaft. In Inschrift IA Mittelbalken des H mit Ausbuchtung, in den Inschriften IIA und IIB mit gebrochenem Mittelbalken. In Inschrift IA in LVCIA und in VAN A mit gebrochenem Mittelbalken. In Inschrift IIA und IIB A mit nach links überstehendem Deckbalken. Das besonders auffällige D in FIDES sowie in REDEN (Inschrift IIB) entspricht der kapitalen Grundform. Der Bogen ist nach links offen, der Schaft ist zu einem kleinen, nach links durchgebogenen Bogen reduziert und setzt mit seinen Enden mittig an der Bogenwölbung an.

Der Steinmetz Cord Tönnies aus Hameln ist einer der Nachfolger des Jörg Unkair, dessen Handwerker er vermutlich übernahm und dessen Stil er variierte.5) Tönnies erbaute das Archivhäuschen für den aus dem Schwedenfeldzug zurückgekehrten Oberst Hilmar von Münchhausen.6) Zu ihm und Lucia von Reden vgl. Nr. 197.

Das Auftreten der römischen Tugendheldin Lucretia (vgl. Livius, Ab urbe condita 1,57f.) erscheint neben den christlichen Tugenden Fides und Spes zunächst überraschend, doch dient Lucretia als Inbegriff von Ehegattentreue und Keuschheit in der Frühen Neuzeit häufiger als Tugendallegorie.7)

Textkritischer Apparat

  1. HE[L]MER] HILMER Heutger/Maack.
  2. · ANNO · DOMINI · 1·5·65 ·] ANNO 1561 Kdm.
  3. ROMANA] fehlt Kdm.

Anmerkungen

  1. Die Bezeichnung stammt aus dem 19. Jahrhundert; in einem Inventar aus dem Jahr 1669 wird es als „Lusthauß“ bezeichnet (Sprenger, Bürgerhäuser und Adelshöfe, S. 374 u. 382). Ausführliche Beschreibung ebd., S. 380–382.
  2. Vgl. Abb. in Kreft/Soenke, Weserrenaissance, S. 21; Erdniß, Gang durch Rinteln, S. 18. Vgl. auch DI 28 (Stadt Hameln), Nr. 60.
  3. Wappen Münchhausen (Mönch); vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 3, Abt. 2,1, S. 274 u. Tafel 325.
  4. Wappen Reden (zwei Balken); vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 2, Abt. 9, S. 14 u. Tafel 15.
  5. Kreft/Soenke, Weserrenaissance, S. 21.
  6. Kreft/Soenke, Weserrenaissance, S. 309.
  7. Vgl. DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 433 (Fensterbierscheiben); DI 36 (Stadt Hannover), Nr. 25; DI 96 (Lkr. Northeim), Nr. 152 (Wandmalerei in der Laurentiuskirche in Dassel); eine Lucretia in Hameln (Osterstraße 9) erwähnt Jürgens, Malerei und Plastik, S. 78.

Nachweise

  1. Kdm. Kreis Grafschaft Schaumburg, S. 20 u. Tafeln 20 u. 21 (I).
  2. Heutger/Maack, Rintelner Hausinschriften, S. 33 (I).
  3. Erdniß, Gang durch Rinteln, S. 18 (I).
  4. Kreft/Soenke, Weserrenaissance, Abb. 44 (I).
  5. Maack, Hausinschriften der Stadt Rinteln, S. 126 (IA, IB).
  6. Sprenger, Bürgerhäuser und Adelshöfe, S. 82 (Zeichnung) (I).
  7. Künkel, Stadt Rinteln Lexikon, S. 433 (IA, IB, IIA, IIB).

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 213 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0021306.