Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 192 Stadthagen, St. Martini 1548–1560

Beschreibung

Kelch. Silber, vergoldet. Achtpassfuß mit hoher, mehrfach getreppter und mit durchbrochenem Rankenwerk verzierter Zarge. Auf einem der Pässe des Fußes ein aufgehefteter Kruzifixus, links und rechts daneben jeweils ein eingravierter Wappenschild. Am Übergang des Fußes zum Schaft ein Ring aus kurzen, sich gegenseitig durchdringenden Stäbchen. Sechsseitige Schaftstücke. Am flachen Nodus gravierte florale Ornamente, auf den Rotuli die glatt vor schraffierten Feldern gearbeiteten Buchstaben der Inschrift A. Die Kuppa ist mit einem Korb aus durchbrochenem Rankenwerk gefasst. Unter dem Fuß die zweizeilig umlaufende eingravierte Inschrift B, als Worttrenner Sternchen.

Maße: H.: 20,3 cm; Dm.: ca. 15,5 cm (Fuß), ca. 11,5 cm (Kuppa); Bu.: 0,8 cm (A), 0,3 cm (B).

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis (A), Kapitalis (B).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Katharina Kagerer) [1/2]

  1. A

    I H E S V S

  2. B

    D(OMINVS) · ET · M(AGISTER) · IO(HANNES) · TIDEMAN · DECANVS · LVBECEN(SIS) · HVNC · CALICEM · DONO · DEDIT · PORRO(CHIA)LIa) · ECCLESIAE · DIVI · MARTINI · IN · / STATHAGEN · ORATE · P(RO) · EO [ . . ]b)

Übersetzung:

Herr und Magister Johannes Tiedemann, Dekan in Lübeck, stiftete diesen Kelch an die Pfarrkirche des heiligen Martin in Stadthagen. Betet für ihn. (B)

Wappen:
Tiedemann1)

Kommentar

Die Buchstaben der Inschrift A zeigen Merkmale der frühhumanistischen Kapitalis: epsilonförmiges E sowie Nodi am Schaft des I und am Mittelteil des S. In Inschrift B spitzovales O.

Johannes Tiedemann (nach 1500 bis 1561) entstammte einer Stadthäger Bürgerfamilie. Er war der Sohn des Hans Tiedemann und der Geseke Rode.2) Am 2. Dezember 1519 immatrikulierte er sich an der Universität Rostock,3) begab sich aber bald danach nach Rom. 1530 übernahm er ein Kanonikat in Lübeck, wo er ab 1537 dauerhaft residierte. Das Lübecker Domkapitel wählte ihn 1544 zum Vizedekan, 1548 zum Dekan. Am 11. August 1559 wurde er zum Bischof von Lübeck gewählt und erhielt am 20. Februar 1561 die päpstliche Bestätigung. Erst dann scheint er die Priesterweihe erhalten zu haben. Er war der letzte katholische Amtsinhaber. Sein Dekanat legte er 1561 nieder. Tiedemann starb bereits am 17. April 1561 und wurde im Lübecker Dom bestattet,4) wo seine Messinggrabplatte erhalten ist.5)

Tiedemann hatte vier Kinder aus seiner Beziehung zu Katharina Kroger und drei Kinder von Katharina Swide. Er vereinte eine große Anzahl von Pfründen auf sich und verhalf auch seinen Verwandten und Kindern wiederholt zu Pfründen.6)

Tiedemann nahm eine Vielzahl von Schenkungen und Stiftungen vor, sowohl zu Lebzeiten als auch in seinem 1558 errichteten Testament. Die Stiftungen an kirchliche Institutionen waren jedoch in der Regel an die Bedingung geknüpft, dass am katholischen Glauben festgehalten wurde. Beispielsweise zog Tiedemann eine Stiftung von 100 Mark an die Stadthäger Martini-Kirche 1560 zurück, weil dort mittlerweile die Reformation eingeführt worden war.7) Daraus ergibt sich als Datierung für den vorliegenden Kelch ein Zeitraum zwischen 1548, als Tiedemann das in der Inschrift erwähnte Amt des Dekans antrat, und spätestens 1560 oder noch eher 1559, dem Jahr der Einführung der Reformation in der Grafschaft Schaumburg.8)

Textkritischer Apparat

  1. PORRO(CHIA)LI] statt PARRO(CHIA)LI; LI hochgestellt; PORRÖ Kdm.
  2. Ein Schaft sowie ein lambdaförmiges Zeichen, an dessen rechtem Schrägschaft unten ein kurzer waagrechter Strich ansetzt.

Anmerkungen

  1. Wappen Tiedemann (Balken, belegt mit zwei Lilien, darüber und darunter je eine liegende Wolfsangel); vgl. Klaus Krüger, Corpus der mittelalterlichen Grabdenkmäler in Lübeck, Schleswig, Holstein und Lauenburg (1100–1600) (Kieler Historische Studien 40), Stuttgart 1999, S. 709.
  2. Prange, Johannes Tiedemann, S. 25f.; vgl. auch ders., Tiedemann, Johannes, in: Gatz (Hg.), Bischöfe 1448–1648, S. 696f.
  3. Matrikel Rostock, Bd. 2, S. 75.
  4. Prange, Johannes Tiedemann, S. 10 sowie ders., Tiedemann, Johannes (wie oben Anm. 2), S. 697.
  5. Krüger, Corpus der mittelalterlichen Grabdenkmäler (wie oben Anm. 1), Nr. LÜDO309, S. 708–710. Die Inschrift bezeichnet ihn als ELECT(VS) ET CO(N)FIRMAT(VS) EP(ISCOPV)S.
  6. Prange, Johannes Tiedemann, S. 10–28.
  7. Prange, Johannes Tiedemann, S. 30–34; zur Streichung der Stiftung für Stadthagen S. 33; die Begründung lautete: Delevi, quia heretici facti sunt (zit. n. Prange, S. 33, Anm. 142).
  8. Darüber hinaus ist zu vermuten, dass sich Tiedemann in der Inschrift auf dem Kelch, wenn sie nach seiner 1559 erfolgten Bischofswahl entstanden wäre, möglicherweise als EPISCOPVS ELECTVS und nicht mehr bloß als DECANVS bezeichnet hätte (vgl. den oben in Anm. 5 zitierten Auszug aus der Grabinschrift).

Nachweise

  1. Kdm. Kreis Schaumburg-Lippe, S. 68.

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 192 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0019207.