Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 187(†) Obernkirchen, Marktplatz 9 1559 o. später

Beschreibung

Haus. Fachwerk. Das freistehende Haus ist giebelständig zu der „Marktplatz“ benannten Straße; die Traufseite liegt zum Marktplatz hin. Das Gebäude ist eingeschossig mit Zwischengeschoss und sechs bis acht Gefache breit sowie acht Gefache lang. Der Giebel ist durch zwei Vorkragungen gegliedert. In diesem Bereich zahlreiche Verzierungen mit Schnitzwerk, die zum Teil in jüngerer Zeit erneuert wurden. An Füllhölzern, Knaggen und Riegeln Tauband, unterhalb der oberen Vorkragungen Vorhangbögen. An den Brüstungsplatten Fächerrosetten sowie Faltwerkornamentik. Am Torbogen Tauband. Inschrift A ist jetzt auf dem Rähm oberhalb des Tors erhaben in vertieften Feldern links und rechts der mittleren Knagge angebracht. Ob sie sich ursprünglich dort befand, ist unklar.1) Inschrift B erhaben in vertiefter Zeile auf dem unteren Schwellbalken des vorkragenden Giebels. Beide Inschriften sind in Gold auf rotbraunem Grund gefasst, die Buchstabenkonturen sind in dunkler Farbe schattiert. Inschrift B ist zu weiten Teilen in jüngster Zeit ergänzt worden. Originale Teilstücke sind am Beginn (bis in das Wort here hinein) und am Ende (ab dem zweiten Teil des Wortes inne; vgl. Anm. f) erhalten. Der Edition wird eine in den Kunstdenkmälerinventaren abgedruckte Fotografie aus dem Jahr 1905 zugrundegelegt,2) die der originalen Inschrift vermutlich nähersteht als der jetzige Befund, der im textkritischen Apparat in Anm. b wiedergegeben wird; eine sichere Lesung kann jedoch nicht geboten werden.

Inschrift B nach Abb. in Kdm.

Maße: Bu.: ca. 8 cm.

Schriftart(en): Kapitalis mit Elementen der frühhumanistischen Kapitalis (A), gotische Minuskel mit Versalien (B).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Inga Finck) [1/1]

  1. A

    HANS // OSTERLINERa)

  2. B (†)

    Godeb)c) · de · hered) · beschirme · unde · beheue · diesete) · hus ·unde · alle · de · darine · gahet · inf) · unde · us · AN(NO) · M · D[ . . .]

Übersetzung:

Gott der Herr beschirme und behüte [?]3) dieses Haus und alle, die darin ein- und ausgehen. Im Jahr 15.. . (B)

Versmaß: Deutsche Reimverse (B).

Kommentar

In Inschrift A sehr breit ausgeführte Schäfte. Die Bogenenden beim S sind verdickt und laufen in einem Blättchen aus. R mit geschwungener und einwärts gekrümmter Cauda. Als Elemente der frühhumanistischen Kapitalis sind zu nennen: Ausbuchtung am Balken des H und Nodi am S. In Inschrift B jeweils am Versende rundes s ohne die für die gotische Minuskel charakteristischen Brechungen. Diese Form des s wurde in den rekonstruierten Teilen der Inschrift aufgegriffen, auch an den Stellen, an denen ursprünglich ein Schaft-s stand.

Die Bitte an Gott um Schutz des Hauses ist in Hausinschriften verbreitet.4) Eine fast wörtlich übereinstimmende Inschrift aus dem Jahr 1573 findet sich am Haus Bergstraße 53 in Goslar: Der herre behutte dis haus vndt alle die dar gehen ein vndt aus.5) Die Verse sind an Psalm 121,8 angelehnt, der ebenfalls (als wörtliches Zitat) in Inschriften häufig verwendet wurde: Der Herr behüte deinen ausgang vnd eingang.6)

Die Jahreszahl am Ende der Zeile ist auf jeden Fall unvollständig erhalten. Unklar ist, wieviel fehlt; bereits auf der in den Kunstdenkmälerinventaren abgedruckten Fotografie ist nichts mehr erkennbar.7) Das Gebäude lässt sich aufgrund der Fachwerkzier in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts datieren.8) Eher ungewöhnlich als Fachwerkzier ist die Faltwerkornamentik, die hauptsächlich bei Möbeln Verwendung fand; denkbar wäre, dass Ausstattungsstücke aus dem Stift Obernkirchen aus dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts als Vorbild dienten.9) Der in Inschrift A genannte Hans Osterliner dürfte mit dem in Urkunden des Jahres 1559 bezeugten Hans Osterlinge bzw. Osterlinck identisch sein.10) Er erwarb am 6. Januar 1559 zusammen mit seiner Ehefrau Ilse vom Stift Obernkirchen ein Haus vor dem Kerchoue; diese Beschreibung trifft auf das Haus Marktplatz 9 zu.11) Die Inschrift wird nicht viel später entstanden sein.

Textkritischer Apparat

  1. Letztes E ohne mittleren und unteren Balken.
  2. Jetziger Befund: Gode · de · herre · beschirme · unde · beheue · dütt Hus · unde · Alle · de · darinne · gahet · inne · unde · us · AN(NO) · M · D.
  3. Oberlänge des d nicht farbig gefasst.
  4. her[e] Kdm., Tafel 115; herr Kdm., S. 90; jetziger Befund: herre.
  5. dieset] Kdm.; jetziger Befund: dütt. dütt würde eher zur niederdeutschen Sprachform der übrigen Inschrift passen. Auf einer weiteren Fotografie, die aber (aufgrund einer darauf abgebildeten Persil-Reklame) nach 1907 entstanden sein muss, hier eine Fehlstelle (Bildarchiv Foto Marburg, Bilddatei-Nr. fm1516009; vgl. Bilddatei-Nr. fm1516006).
  6. in] Kdm., S. 90 u. Tafel 115; jetziger Befund: inne. Aus Platzgründen kann 1905 hier nicht inne gestanden haben. Die Buchstaben ne sowie ein Schaft davor scheinen aber aus der Erbauungszeit zu stammen; möglicherweise stammt das hier eingesetzte Balkenstück von dem Wort darine.

Anmerkungen

  1. Sie ist in Kdm. Kreis Grafschaft Schaumburg, S. 90 nicht erwähnt und auch auf der Abbildung (Tafel 115) nicht zu erkennen (an der Stelle ist ein aufgenagelter Fensterrahmen zu sehen).
  2. Kdm. Kreis Grafschaft Schaumburg, Tafel 115. Das Haus wurde im Jahr 1928 grundlegend umgebaut; nur das Balkengerüst blieb stehen (Bildarchiv Foto Marburg, Aufnahme-Nr. mi08432f07–mi08432f0709, http://www.bildindex.de/document/obj20770122?medium=mi08432f07 etc., zuletzt benutzt am 5.5.2017). Eine Fotografie aus der Zeit nach 1928 zeigt, dass bereits damals große Teile der Inschrift nicht mehr erhalten waren (Bildarchiv Foto Marburg, Bilddatei-Nr. fm1516024, http://www.bildindex.de/document/obj20326684?medium=fm1516024, zuletzt benutzt am 5.5.2017).
  3. Möglicherweise von dem Verb behaven („in seiner Gewalt haben“). Für freundliche Hinweise danke ich Jörn Bockmann (Flensburg).
  4. Z. B. DI 28 (Stadt Hameln), Nr. 147; DI 45 (Stadt Goslar), Nr. 143 u. 144; DI 59 (Stadt Lemgo), Nr. 193; DI 66 (Lkr. Göttingen), Nr. 444.
  5. DI 45 (Stadt Goslar), Nr. 96.
  6. Z. B. DI 59 (Stadt Lemgo), Nr. 178; DI 83 (Lkr. Holzminden), Nr. 140.
  7. Kdm. Kreis Grafschaft Schaumburg, Tafel 115.
  8. In Kdm. Kreis Grafschaft Schaumburg, S. 90, wird die Vermutung geäußert, dass das Haus wenig später als das inschriftlich auf 1554 datierte Haus Lange Straße 44 (Nr. 174) erbaut worden sei.
  9. Vgl. dazu Nr. 99.
  10. UB Obernkirchen, Nr. 520 vom 6. Januar 1559 u. Nr. 522 vom 9. September 1559.
  11. UB Obernkirchen, Nr. 520 vom 6. Januar 1559.

Nachweise

  1. Fotografie im Bildarchiv Foto Marburg, Bilddatei-Nr. fm1516006, fm1516007, fm1516009, http://www.bildindex.de/document/obj20326684?medium=fm1516006 etc., zuletzt benutzt am 5.5.2017 (Inschrift nur teilweise lesbar).
  2. Kdm. Kreis Grafschaft Schaumburg, S. 90 u. Tafel 115 (B).

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 187(†) (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0018701.