Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 146 Rodenberg (Grove), St. Jacobi 1. D. 16. Jh.

Beschreibung

Substratorium bzw. Mittelstück (als Unterlage für das Korporale).1) Leinen mit farbiger Stickerei; am unteren Rand eine angenähte Bordüre karierten Samt- und Seidenstoffs mit blau-roter Fransenborte. Das Substratorium zeigt in drei mal drei rechteckigen Feldern acht Heiligendarstellungen und im mittleren Feld das Agnus Dei. Dazwischen blühende Sträucher, Gräser, Vögel, Hirsche, Adler, Sterne und Rosetten. In der oberen Reihe links Maria Magdalena, rechts Katharina, die beide von Engeln in den Himmel getragen werden, in der Mitte die Madonna im Strahlenkranz. In der mittleren Reihe links Johannes der Täufer. Er hält in seiner Linken ein Buch, auf dem ein Lamm liegt, auf der Höhe seines Kopfes schwebt eine kleine Figur. In der Mitte das Agnus Dei, aus dessen Brustwunde ein Blutstrahl fließt. Rechts Barbara, in ihrer Hand ein Turm. In der unteren Reihe links Nikolaus mit Bischofsstab und einem Buch mit drei goldenen Kugeln darauf. In der Mitte Anna selbdritt. Rechts Christophorus mit Christus auf seiner Schulter.

Den Darstellungen sind die Beischriften A (obere Reihe), B (mittlere Reihe) und C (untere Reihe) beigeordnet, die in den beiden oberen Reihen unterhalb der Abbildungen angebracht wurden, in der unteren Reihe oberhalb. Inschrift D rahmt die Darstellung des Agnus Dei von vier Seiten. Inschrift E läuft als Umschrift am Rand des Leinentuchs um. Bei den jeweils oben links beginnenden Inschriften D und E ist das an drei Seiten umlaufende Schriftband nach innen ausgerichtet, unten jeweils recte in Leserichtung des Betrachters gestellt. Alle Inschriften sind gestickt. Das Tuch weist kleinere und größere Fehlstellen auf, so dass insbesondere die Inschrift E am rechten und unteren Rand nicht mehr vollständig erhalten ist.

Maße: H.: 79,5 cm; B.: 66,5 cm; Bu.: 1–1,4 cm (A–C), 2,4 cm (D), 3,5 cm (E).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien der gotischen Majuskel.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Inga Finck) [1/1]

  1. A

    S(ancta) maria magdale(n)a // Sa(n)cta maria // S(an)cta katherina

  2. B

    S(an)ctea) ioha(n)nes bap(tis)tab) // Sancta barbara

  3. C

    S(an)ctus Nicola(us) // Sancta Anna // S(an)ctus Cristoffer(us)

  4. D

    Agnus dei qui tollis / peccata mundi / miserere nobis2) / ih(esu)s crist(us) n(ost)ra salus3)

  5. E

    Homo quidam fecit cenam magnam et mi/sit ser[uum] [s]uum hora cene dicerec) invi[tatis] / ut venirent Quiad) parata sunt omni[a]4) / Uenitee) comeditef) panem meum et bibite vi(num)5)

Übersetzung:

Lamm Gottes, das du die Sünden der Welt trägst, erbarme dich unser. Jesus Christus unser Heil. (D)

Ein Mann bereitete ein großes Mahl, und er schickte seinen Diener aus zur Essensstunde, um den Eingeladenen zu sagen, dass sie kommen sollten: Alles ist bereit. Kommt, esst von meinem Brot und trinkt von meinem Wein. (E)

Kommentar

Regelgerecht ausgeführte gotische Minuskel. Beim e fehlt teilweise der Balken (z. B. in miserere in Inschrift D), was durch Abrieb bedingt sein könnte. Doppelstöckiges und kastenförmiges a treten nebeneinander auf (vgl. insbesondere cenam und magnam in Inschrift E). In Inschrift E, die eine größere Buchstabenhöhe aufweist, vielfach Zierstriche, so am Mittelbalken des f, am c in fecit und am Balken des t. Fahne des r als Quadrangel mit unten angesetztem Zierstrich.

Ein Substratorium konnte während der Eucharistiefeier als Unterlage für das ungefähr gleich große Korporale zum Einsatz kommen. Die Aufteilung des vorliegenden Stücks in neun Felder folgt dem Vorbild der zweimal zweifachen Faltung des Korporales, wodurch ebenfalls neun Felder entstehen. Die Borte am unteren Rand des Substratoriums hing am Rand der Altarmensa herab. Die Verwendung eines Substratoriums scheint vor allem im 15. Jahrhundert und der beginnenden Frühen Neuzeit verbreitet gewesen zu sein.6) Nur wenige Exemplare haben sich erhalten. Vergleichbare Stücke finden sich z. B. im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg7) und im St. Annen-Museum Lübeck. Sie stammen zumeist aus dem sogenannten Danziger Paramentenschatz, aus dem 35 Substratorien überliefert sind.8) Auch das Bayerische Nationalmuseum besitzt ein entsprechendes Objekt süddeutscher Provenienz aus dem Jahr 1473.9) Dieses Tuch ist jedoch doppelt so lang wie breit, wobei nur diejenige Hälfte des Tuchs, an die die Borte angenäht ist, bestickt ist.10)

Substratorien enthalten häufig Darstellungen des Gekreuzigten oder des Gotteslamms, wodurch der Bezug zum Messopfer hergestellt wird. Der Text des Agnus Dei, einer der zentralen Teile des Canon Missae, findet sich als Inschrift auch auf einem Exemplar der Schwedischen Statens Trofésamling.11) Beim vorliegenden Objekt nimmt ferner Inschrift E auf die Eucharistie Bezug, zum einen mit ihrer aus Prv 9,5 entnommenen Aufforderung, Brot und Wein zu verzehren, zum anderen aber auch mit dem Zitat aus Lc 14,16f.: Dieser Text gilt als Bild für die Einladung Gottes an alle Menschen, in der Eucharistiefeier die Vergebung der Sünden durch den Tod Christi zu empfangen.12)

Die Datierung des vorliegenden Stücks orientiert sich am Katalog „Kunst und Kultur im Weserraum“, in dem das Objekt in die Zeit „um 1530“ eingeordnet wird.13) Das Substratorium muss noch in vorreformatorischer Zeit entstanden sein.

Textkritischer Apparat

  1. S(an)cte] statt S(an)ctus.
  2. ta hochgestellt.
  3. Balken des zweiten e fehlt.
  4. Cauda des Q fehlt.
  5. Balken der e fehlen.
  6. Balken des zweiten e fehlt.

Anmerkungen

  1. Den Terminus „Mittelstück“ verwendet Braun, Die liturgischen Paramente, S. 208; vgl. Valentin Thalhofer, Handbuch der katholischen Liturgik, Bd. 1, Freiburg i. Br. 1883, S. 775, Anm. 2.
  2. Liturgischer Text im Canon Missae nach Io 1,29.
  3. Jesus Christus nostra salus ist auch der Beginn eines Hymnus, der zwar Jan Hus zugeschrieben wird, aber vermutlich vor 1400 von dem Prager Erzbischof Johann von Jenstein (1347/50–1400) gedichtet wurde; vgl. Jürgen Heidrich/Johannes Schilling (Hg.), Martin Luther, Die Lieder, Stuttgart 2017, S. 31 u. 159; vgl. Analecta hymnica 1, S. 31, 43, 192.
  4. Lc 14,16f.: homo quidam fecit cenam magnam et vocavit multos et misit servum suum hora cenae dicere invitatis ut venirent quia iam parata sunt omnia.
  5. Prv 9,5.
  6. Braun, Paramente, S. 208.
  7. Inv.-Nr. Gew 4088–4090 sowie Gew 5125 und 5126 (zu den letzteren beiden im Jahr 2011 aus dem Kunsthandel erworbenen Stücken Jutta Zander-Seidel/Ada Hinkel, Zwei Substratorien, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 2011, Nürnberg 2011, S. 249–251).
  8. Walter Mannowsky, Der Danziger Paramentenschatz. Kirchliche Gewänder und Stickereien aus der Marienkirche, IV. Halbband: Einzelstücke priesterlicher Kleidung, Altar-Ausstattung, weitere kirchliche Stickereien, Berlin o. J. [1933], Nr. 297–323, S. 31–38 u. Tafel 155–165; ders., Der Danziger Paramentenschatz. Kirchliche Gewänder und Stickereien aus der Marienkirche, Ergänzungsband: Neue Funde 1937, Leipzig 1938, Nr. NF16–23, S. 17–19.
  9. Saskia Durian-Ress, Meisterwerke mittelalterlicher Textilkunst aus dem Bayerischen Nationalmuseum. Auswahlkatalog, München Zürich 1986, S. 78–80 (Abb. S. 79; Abb. auch bei Braun, Die liturgischen Paramente, S. 207). Für wertvolle Hinweise danke ich Tanja Kohwagner-Nikolai (Bamberg).
  10. Durian-Ress, Meisterwerke mittelalterlicher Textilkunst (wie oben Anm. 9), S. 78. Durian-Ress nimmt an, dass die gesamte bestickte Hälfte des Tuchs von der Altarmensa herabhing.
  11. Margareta Wirgin, Liturgisk duk som fälttecken, in: Fornvännen. Journal of Swedish Antiquarian Research 1958, S. 285–288 (mit Abb. S. 287).
  12. Die Inschrift auf der Borte des Münchner Substratorium lautet: En · mensa · regis · eterni · 1473 (Durian-Ress, Meisterwerke mittelalterlicher Textilkunst (wie oben Anm. 9), S. 78).
  13. Katalog Kunst und Kultur im Weserraum, Bd. 2, Kat. Nr. 142, S. 451f.

Nachweise

  1. Katalog Kunst und Kultur im Weserraum, Bd. 2, Kat. Nr. 142, S. 451f.
  2. Brüdermann (Hg.), Schaumburg im Mittelalter, Tafel XXXII (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 146 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0014600.