Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 118 Obernkirchen, Stiftskirche St. Marien 1. V. 16. Jh.

Beschreibung

Altarretabel. Holz, farbig gefasst. Das Retabel steht seit 1906 auf der Stiftsdamenempore.1) In den Innenseiten der Flügel befanden sich in von Maßwerk überwölbten Nischen in zwei Reihen untereinander vollplastische Holzfiguren der zwölf Apostel, die nur teilweise erhalten sind. Im linken Seitenflügel oben ursprünglich: Jakobus d. Ä., Petrus und Andreas, unten: Simon, Bartholomäus und Judas. Davon sind noch die Figuren des Jakobus und des Andreas vorhanden. Im rechten Seitenflügel oben ursprünglich: Jakobus d. J., Johannes, Philippus; unten: Matthias, Matthäus, Thomas. Davon sind noch die Figuren des Philippus, des Matthäus und des Thomas vorhanden. Unterhalb der Figuren auf Schriftfeldern die Inschriften A. Im Schrein sind links Augustinus im Bischofsornat mit Crux geminata sowie Herz und Buch, in der Mitte Maria mit dem Kind auf der Mondsichel,2) rechts Eulalia mit Krone und kleinem Ofen als plastische Figuren dargestellt. Die drei Figuren werden jeweils durch die Inschriften B auf der oberen Rahmenleiste des Schreins bezeichnet. Als Worttrenner in Inschrift B Quadrangeln mit oben und unten ausgezogenen Enden sowie Blüten. Alle Inschriften sind in Gold auf rotem Grund aufgemalt. Auf den Außenseiten der Flügel ist links die Gregorsmesse dargestellt, rechts Maria im Ährenkleid als Tempeljungfrau.

Maße: H.: 118 cm; B.: 127,5 cm; Bu.: 1,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Inga Finck) [1/3]

  1. A

    S(anctus) Jacobus // S(anctus) petrus // S(anctus) Andreas // [S(anctus)] symon // S(anctus) bartholome(us) // S(anctus) Judas // S(anctus) Jacob(us) minor // s(anctus) johannes // S(anctus) philippus // S(anctus) Mathias // S(anctus) matheus // S(anctus) Thomas

  2. B

    Sanct(us) · Augustinus · Sancta · Maria · virgo · Sancta · Eulalia v(irgo)

Kommentar

Kastenförmiges a wechselt sich mit doppelstöckigem a ab. Auffällig ist das Schluss-s, das nur im oberen Bogen die für die gotische Minuskel typischen Brechungen aufweist; der untere Bogen ist rund (mit Ausnahme der Wörter Judas und Augustinus).

Das Altarretabel gehört aufgrund der prominenten Position der heiligen Eulalia sicherlich zu dem im Jahr 1482 durch Othrabe von Zerssen gestifteten Eulalia-Altar. Der Altar hatte seinen Platz vp der vorderen syden der Kirche, also an der Ostseite. Neben Eulalia war der Altar ferner den Heiligen Bartholomäus, Georg, Laurentius, Martin, Levin, Jodocus, Gregor, Hieronymus, Ambrosius, Augustinus, Barbara, Lucia, Anna und allen Heiligen geweiht.3) Eine mit 100 Gulden ausgestattete Kommende war für zwei wöchentliche Messen bestimmt; der Inhaber der Kommende wurde von der Familie von Zerssen eingesetzt. Zusätzlich stiftete der Kaplan Claus Frydach im Jahr 1597 eine jeweils donnerstags an diesem Altar abgehaltene Messe, für deren regelmäßigen Besuch ein Ablass gewährt wurde.4)

Die Verehrung der Eulalia, einer spanischen Märtyrerin, war in Norddeutschland nicht sehr verbreitet.5) Vermutlich geht die Förderung des Eulalia-Kultes in Obernkirchen auf den Propst Gottfried von Lenthe zurück, in dessen Amtszeit die Stiftung des Eulalia-Altars fiel. Aus dem Nachlass Gottfried von Lenthes wurde 1481 im Mindener Dom ein Beneficium zu Ehren der Eulalia gestiftet, in das unter anderem Einkünfte aus von Lenthes Besitz in Hohenrode flossen.6)

Die Schnitzereien und Tafelgemälde des Altars werden von der kunsthistorischen Forschung aufgrund stilkritischer Merkmale in die Zeit zwischen 1510 und 1520 eingeordnet. Die Gemälde sind möglicherweise vom selben Künstler geschaffen wie die Gemälde des Hochaltarretabels (vgl. Nr. 116).7) Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Retabel erst einige Jahre nach der Weihe der Altarmensa angefertigt wurde. Anhand der Schriftmerkmale lässt sich keine genaue Datierung gewinnen.

Anmerkungen

  1. Gmelin, Spätgotische Tafelmalerei, Nr. 67, S. 260.
  2. Zwischenzeitlich befand sich in der Mitte des Altarschreins eine thronende Madonna mit Kind aus dem 14. Jahrhundert (vgl. Kdm. Kreis Grafschaft Schaumburg, Tafel 103). Die jetzt in der Mitte des Altarschreins aufgestellte Madonna dürfte die ursprüngliche sein. – Die Crux geminata des Augustinus geht auf eine falsche Ergänzung im Rahmen einer Restaurierung zurück.
  3. UB Obernkirchen, Nr. 461.
  4. Brosius, Stift Obernkirchen 1167–1565, S. 106.
  5. Immerhin besaßen das Kloster Herzebrock (Kreis Gütersloh, Nordrhein-Westfalen) und das Reichsstift Gandersheim Reliquien der Eulalia; zu Herzebrock Ilisch/Kösters, Patrozinien Westfalens, S. 237; zu Gandersheim Christian Popp, Der Schatz der Kanonissen. Heilige und Reliquien im Frauenstift Gandersheim (Studien zum Frauenstift Gandersheim und seinen Eigenklöstern 3), Regensburg 2010, S. 147.
  6. Münster, Landesarchiv NRW, Abteilung Westfalen, A 205 Fürstentum und Domkapitel Minden – Urkunden, Nr. 327 (nach Findbuch); vgl. Ilisch/Kösters, Patrozinien Westfalens, S. 236.
  7. Gmelin, Spätgotische Tafelmalerei, Nr. 67, S. 258 u. 260f.; Rosenfeld, Holzskulpturen im Weserraum, S. 158f. Suckale, Stift Obernkirchen, S. 25f.

Nachweise

  1. Kdm. Kreis Grafschaft Schaumburg, Tafel 103,1 (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 118 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0011806.