Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)
Nr. 100 Rinteln, Marktplatz 8 1516
Beschreibung
Haus. Fachwerk. „Goldener Stern“.1) Das zweigeschossige Eckhaus ist an der Traufseite zur Engen Straße hin elf Gefache lang und kann als großbürgerliches Haus angesehen werden. Die Fachwerkzier beschränkt sich auf Taustab an den Knaggen. Die Inschriften verlaufen hintereinander auf dem Schwellbalken des vorkragenden ersten Obergeschosses an der Traufseite des Hauses. Sie sind erhaben in vertiefter Zeile gearbeitet und in Gold auf grünem Grund gefasst. Die Schriftzeile von Inschrift A ist von einer Rosette unterbrochen. Zwischen den Inschriften A und B sind nebeneinander folgende fünf Elemente angeordnet: ein Wappenschild mit der Hausmarke H2, ein Wappenschild, ein rundes Ornament, ein Wappenschild mit der Hausmarke H3, zwei polygonale Felder mit den Hausmarken H4 und H5. Nach Inschrift B zwei rechteckige vertiefte Felder mit den Hausmarken H6 und H7. Vor dem Beginn der heute sichtbaren Inschrift A sind die unteren Reste weiterer, erhaben in vertiefter Zeile ausgeführter Inschriften zu erahnen.
Maße: Bu.: ca. 7 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versal.
- A
[ - - - ]erschara) · de wylsenack hebben gesocht gode or offer brochtden hervest vnde wy(n)ter synt begravenxviii styghe x darenbaven // de levendyghen bidden den doden gnadewente se weten svlven nychtb) wo drade
- B
Sich vor dych trive ys myslych2)
Übersetzung:
[…] die Wilsnack aufgesucht und Gott ihr Opfer dargebracht haben. Den Herbst und Winter wurden begraben 18 Stiege (= 360) und zehn darüber hinaus. Die Lebendigen bitten um Gnade für die Toten, weil sie selbst nicht wissen, wie schnell [der Tod kommt]. (A)
Sieh dich vor, Treue ist unsicher. (B)
Versmaß: Deutsche Reimverse.
?,3) ?,4) ?5) |
Textkritischer Apparat
- [erschar]] (X)XII yar Ande; [ - - - ] Yar Erdniß; ii (?) yar Heutger/Maack u. Maack. da (?) den (?) g[an(t)zen somer de] schar Mentz. Mentz macht folgenden Vorschlag zur Ergänzung des nicht mehr vorhandenen Inschriftenanfangs: „[Dyt hus hat (Vor- und Zuname des Bauherrn)] [buwen laten – – ] [in des Herrn 1516. jar,]“.
- svlven nycht] nyct syl ven Erdniß; sylven nycht Heutger, Mentz, Künkel.
Anmerkungen
- Früher Assekuranz-No. 157 (Weserstraßenviertel).
- Wander, Sprichwörterlexikon, Bd. 4, Sp. 506, Nr. 114; vgl. Nr. 285. Das Zitat ist wiederholt als Gießerspruch zu finden, insbesondere auf Geschützen, z. B. auf einem Geschütz aus dem Jahr 1541 aus Einbeck (DI 42 (Stadt Einbeck), Nr. 47), einem von Cord Mente gegossenen Geschütz von 1549 (DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 361) oder einem von Dietrich Mente gegossenen Geschütz aus dem Jahr 1610 (DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 601).
- Wappen ? (Hausmarke
H2 ). - Wappen ? (drei bezungte Wildschweinköpfe 2:1).
- Wappen ? (Hausmarke
H3 ). - Spangenberg, Chronicon, S. 244.
- Dazu zuletzt insbesondere Hartmut Kühne/Anne-Katrin Ziesak (Hg.), Wunder. Wallfahrt. Widersacher. Die Wilsnackfahrt, Regensburg 2005; Felix Escher/Hartmut Kühne (Hg.), Die Wilsnackfahrt. Ein Wallfahrts- und Kommunikationszentrum Nord- und Mitteleuropas im Spätmittelalter (Europäische Wallfahrtsstudien 2), Frankfurt a. M. u. a. 2006.
- Hartmut Kühne, Unterwegs nach Wilsnack, in: Kühne/Ziesak (Hg.), Wunder. Wallfahrt. Widersacher (wie oben Anm. 7), S. 19–47, dort S. 26–29.
- 1516 grassierte die Pest in vielen Städten Nordostdeutschlands, u. a. in Wittenberg, Rostock und Frankfurt a. d. Oder. Auch für niedersächsische Städte berichtet der Göttinger Geschichtsschreiber Franciscus Lubecus von einer Epidemie, der ein erheblicher Teil der Bevölkerung zum Opfer fiel (vgl. Lubecus, Göttinger Annalen, fol. 197r (ed. Vogelsang, S. 311): In diesem 1516. ist in sehr viln enden und orten, stedten und flecken, durfern und geringen orten in diesem Sechschem lande ein grosser sterbe gwesen unter den menschen, zu Braunswig, Magdeburg, Hamelen, Eimbek, Northeim, also auch zu Gottingen, ja auch im lande zu Hessen. Diser sterbe werete ganze 1½ jar, das bienah der 3. teil kaume ist lebendig pliben.). Daher liegt die Annahme nahe, dass es sich auch in Rinteln um eine Pestepidemie handelte. Vgl. Heutger/Maack, Rintelner Hausinschriften, S. 32 sowie Maack, 114x5 Minuten Stadtgeschichte Rinteln, S. 28.
- Ein ähnlicher inschriftlicher Bericht über eine Wallfahrt (nach Pyrmont) ist aus Hameln überliefert (DI 28 (Stadt Hameln), Nr. 40).
- Sprenger, Bürgerhäuser und Adelshöfe, S. 316.
Nachweise
- Ande, Gasthaus „Zum goldenen Stern“, ohne Seitenzählung.
- Heutger/Maack, Rintelner Hausinschriften, S. 31f.
- Mentz, Zu einigen Rintelner Hausinschriften, S. 59.
- Erdniß, Gang durch Rinteln, S. 7f.
- Maack, Hausinschriften der Stadt Rinteln, S. 123.
- Sprenger, Bürgerhäuser und Adelshöfe, S. 98 u. 317.
- Künkel, Stadt Rinteln Lexikon, S. 429.
Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 100 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0010004.
Kommentar
Ober- und Unterlängen der Inschrift sind wenig ausgeprägt. Auch die für die gotische Minuskel typischen Brechungen sind nicht sehr markant, möglicherweise bedingt durch Restaurierungen. g in der flachgedeckten Form; der Schaft ragt nach oben über den Deckbalken hinaus.
Der Geschichtsschreiber Cyriacus Spangenberg berichtet in seinem Chronicon, dass Anfang Juli 1516 220 Menschen von Rinteln aus zu einer Wallfahrt nach Wilsnack (Lkr. Prignitz, Brandenburg) aufgebrochen seien.6) Das von Rinteln knapp 250 km entfernte Wilsnack war bis 1552 der bedeutendste Wallfahrtsort in Nordeuropa; seit dem Spätmittelalter wurden dort drei Bluthostien verehrt.7) Immer wieder kam es zu Massenwallfahrten nach Wilsnack, ohne dass sich die genauen Ursachen nachvollziehen lassen. Die jüngste bekannte Massenwallfahrt nach Wilsnack ist die in der vorliegenden Inschrift beschriebene.8)
Aus der Inschrift geht nicht klar hervor, ob der Tod von 370 Menschen (möglicherweise durch die Pest9)) der Anlass für die Wallfahrt der Rintelner war, oder ob die Inschrift nur eine rein chronikalische Aufzeichnung aller Ereignisse des Jahres 1516 liefert.10) Das Dachwerk des Gebäudes ist dendrochronologisch auf 1516 datiert,11) so dass man auch die Inschrift vor dem Hintergrund der Angabe bei Spangenberg in das Jahr 1516 oder allenfalls 1517 wird setzen können.