Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)
Nr. 89 Lindhorst, St. Dionysius 1509
Beschreibung
Mittelteil eines Altarretabels. Holz, farbig gefasst. Das Retabel aus Schnitzfiguren, das oben getreppt abgeschlossen wird, zeigt im mittleren Feld unter vergoldeten Schleierbrettern Christus und die zwei gekreuzigten Schächer. Am Kreuz Christi auf einem an den Enden eingerollten Schriftband der Titulus A. Die Inschrift ist mit schwarzen Buchstaben und roten Worttrennern auf hellem Grund aufgemalt. Links des Kreuzstamms außen Longinus, der Jesus mit der Lanze in die Seite sticht, rechts daneben Maria, rechts des Kreuzstamms Johannes, neben ihm der Hauptmann. Auf dem Gewandsaum der Maria in Gold auf blauen Grund gemalt die Inschrift B, beginnend an ihrem linken Ärmel. Die Worte sind zunächst von oben nach unten zu lesen. MATER ist spiegelverkehrt ausgeführt mit Ausnahme des R. Von dort springt die Inschrift an den linken unteren Rand des Gewands und ist dann von links nach rechts zu lesen.1)
Zu beiden Seiten der Kreuzigungsszene in übereinander angeordneten Feldern je zwei Heiligenfiguren, die ebenfalls unter vergoldeten Schleierbrettern stehen: links oben Dionysius, rechts oben Anna selbdritt, links unten ein Kardinal, rechts unten ein Diakon, möglicherweise Laurentius.2) Das Retabel wurde restauriert; eine zwischenzeitlich aufgebrachte Farbfassung, die noch im Katalog Kunst und Kultur im Weserraum zu sehen ist,3) wurde dabei entfernt, ebenso eine Übermalung des Titulus A. Die Rückwände aller fünf Felder sowie Teile der Kleidung der Figuren sind vergoldet.
Ende des 19. Jahrhunderts war in einem heute nicht mehr vorhandenen Aufsatz die Kreuztragung zu sehen.4) Ebenfalls fand Schönermark zu dieser Zeit noch den rechten Flügel des Tryptichons sowie die Predella vor, die jedoch bereits vom Mittelfeld getrennt aufbewahrt wurden. Auf der Predella war Christus mit der Weltkugel zwischen sechs Aposteln aufgemalt.5) Der rechte Flügel des Retabels, der sich heute im Focke-Museum in Bremen befindet und 1966 restauriert wurde, zeigt in vier Feldern Grablegung (l. o.), Auferstehung (l. u.) und das Erscheinen Christi vor Thomas (r. u.), das rechte obere Feld war schon Ende des 19. Jahrhunderts leer.6) Im verlorenen linken Flügel waren vermutlich weitere Passionsszenen dargestellt.
Maße: H.: 206,5 cm; B.: 201,5 cm; Bu.: ca. 4 cm (A), ca. 3 cm (B).
Schriftart(en): Gotische Minuskel (A), Frühhumanistische Kapitalis (B).
- A
· i(esus) · n(azarenus) · r(ex) · i(udaeorum) ·a)7)
- B
IMA(CVLATA)8) VIR[G(O)]b) / MARIAc) / MATERd) // CHRISTIe) [M]VNDIf) D(OMI)NI
Übersetzung:
Die unbefleckte Jungfrau Maria, Mutter Christi, des Herrn der Welt. (B)
Textkritischer Apparat
- Die Abbildung bei Stuttmann/von der Osten (Niedersächsische Bildschnitzerei, Tafel 26) zeigt die im Zuge einer Übermalung entstandene Fassung I.N.R.I.
- Das Ende des Worts in einer Gewandfalte.
- M auf dem Kopf stehend; möglicherweise Fehlrestaurierung.
- MATER] rückläufig zu lesen; E spiegelverkehrt.
- Nach CHRISTI ein überzähliger Schaft.
- [M]VNDI] von dem ursprünglich wohl byzantinischen M sind nur die beiden Schäfte und die linke Hälfte des Mittelteils vorhanden.
Anmerkungen
- Die Reihenfolge mater Christi mundi domini ist wahrscheinlicher als die Annahme, dass die letzten drei Wörter in umgekehrter Reihenfolge von rechts nach links gelesen werden müssen. Die Wendung mundi dominus ist in dieser Reihenfolge auch anderweitig belegt (z. B. Analecta hymnica 21, Nr. 20, S. 24). Auch scheint es plausibler, wenn der Genitiv des Eigennamens Christi unmittelbar hinter mater steht, dann erst die Apposition mundi domini folgt.
- Dafür spricht die Handhaltung seiner Linken, mit der er vermutlich einen Rost hielt (Stuttmann/von der Osten, Niedersächsische Bildschnitzerei, S. 33).
- Katalog Kunst und Kultur im Weserraum, Bd. 2, Abb. 135.
- Im Katalog Kunst und Kultur im Weserraum, Bd. 2, Kat. Nr. 79, S. 379ff. wird die Kreuztragung dem linken Altarflügel als Bild rechts unten zugeordnet.
- Kdm. Kreis Schaumburg-Lippe, S. 114.
- Vgl. Kdm. Kreis Schaumburg-Lippe, S. 114; Stuttmann/von der Osten, Niedersächsische Bildschnitzerei, Kat. Nr. 24, S. 33f.; Katalog Kunst und Kultur im Weserraum, Bd. 2, Kat. Nr. 79, S. 379ff.
- Io 19,19.
- Vgl. zum Formular ein Altarretabel aus der Kirche St. Jacobi in Einbeck (jetzt Landesgalerie Hannover), das aus dem Jahr 1500 stammen soll (DI 42 (Stadt Einbeck), Nr. 32): Dort trägt der Nimbus der Maria die Inschrift S(ANC)TA MARIA IMA(CVLATA).
- Es handelt sich hierbei um eine Eintragung des Lindhorster Pastors Rabanus Wilhelm Friemel ins Lindhorster Kirchenregister aus dem Jahr 1729 (zit. n. Stuttmann/von der Osten, Niedersächsische Bildschnitzerei, Kat. Nr. 24, S. 34).
- Stuttmann/von der Osten, Niedersächsische Bildschnitzerei, Kat. Nr. 24, S. 33f.; Katalog Kunst und Kultur im Weserraum, Bd. 2, Kat. Nr. 79, S. 380.
- DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 275; DI 66 (Lkr. Göttingen), Nr. 114.
- DI 42 (Stadt Einbeck), Nr. 34.
- Z. B. DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 314; vgl. dazu DI 88 (Lkr. Hildesheim), Nr. 124.
- Stuttmann/von der Osten, Niedersächsische Bildschnitzerei, Kat. Nr. 24, S. 34.
- Bentrup, Kirchen in Schaumburg, S. 101.
Nachweise
- Katalog Kunst und Kultur im Weserraum, Bd. 2, Kat. Nr. 79, S. 379ff. (ohne Wiedergabe der Inschrift) u. Abb. 135.
Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 89 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0008907.
Kommentar
Einige der Buchstaben der frühhumanistischen Kapitalis weisen in Kontur ausgeführte Nodi auf, z. B. am Schaft des R oder am Deckbalken des ersten A in MARIA. Der Schrägschaft des N und der Balken des H mit Ausbuchtung. A mit Deckbalken und gebrochenem Mittelbalken. Byzantinisches M. Epsilonförmiges E. Kapitales und unziales D treten nebeneinander auf.
Einer chronikalischen Notiz aus dem 18. Jahrhundert zufolge wurde der Altar für 230 Mark in Hildesheim erworben;9) vermutlich war er in einer Hildesheimer Werkstatt hergestellt worden. Ungeklärt ist, ob es sich um ein Werk des Hildesheimer Epiphaniusmeisters handelt.10) Der epigraphische Befund erlaubt hier keine sichere Werkstattzuschreibung. Für den Epiphaniusmeister sind Gewandsauminschriften in frühhumanistischer Kapitalis zwar typisch, die meisten Inschriften auf seinen Plastiken sind jedoch punziert,11) nicht gemalt, so dass ein Buchstabenvergleich nur bedingt aussagekräftig ist. Am ehesten vergleichbar ist die gemalte Gewandsauminschrift auf der Figur des Erasmus auf dem Marienaltar in St. Alexandri in Einbeck; dort werden ebenfalls byzantinisches M, epsilonförmiges C und unziales D verwendet.12) Allerdings waren Gewandsäume in frühhumanistischer Kapitalis mit ihrer dekorativen Wirkung im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts auch bei anderen Werkstätten verbreitet.13)
Stuttmann und von der Osten nehmen eine Entstehung des Lindhorster Altarretabels um 1515 an.14) Werner Bentrup nennt, allerdings ohne Angabe einer Quelle, als Entstehungszeitpunkt das Jahr 1509.15)