Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

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DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 1 Möllenbeck, ref. Klosterkirche 2. H. 12. Jh.?

Beschreibung

Fragment einer Tumbendeckplatte. Stein. Das Fragment ist in der Vorhalle der Kirche in die Nordwand eingemauert1) und zeigt in einem vertieften Feld das etwa bis zum Becken erhaltene Relief einer weiblichen Figur mit einer Krone auf dem Kopf und langen, geflochtenen Zöpfen. Beide Hände sind abgeschlagen, mit der ehemals Rechten hält sie ein zum Betrachter hin aufgeschlagenes Buch mit der Inschrift A. Am rechten Rand des Fragments zwischen zwei vertieften Linien die Inschrift B. Beide Inschriften sind eingehauen.

Maße: H.: 68,5 cm; B.: 55,5 cm; Bu.: 3,4–4,4 cm (A), 4,5 cm (B).

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Katharina Kagerer) [1/1]

  1. A

    [M]OLEN/BECH2)

  2. B

    [ - - - ]CITa) · IN ISTO · A[V - - - ]

Versmaß: Hexameter? (B)

Kommentar

In Inschrift A liegt eine romanische Majuskel mit leicht gegabelten Sporen vor. Kapitales und unziales E treten nebeneinander auf; ansonsten zeigt die Inschrift keine gerundeten Formen. Die drei Balken des kapitalen E sind gleich lang. Weit offenes C und unziales E, das zwar ausgeprägte Sporen aufweist, aber nicht durch einen Abschlussstrich geschlossen ist. In Inschrift B rundes N und T. Das A ist trapezförmig. Das C ist nicht mehr weit offen. Möglicherweise haben die beiden Inschriften zwei verschiedene Steinmetzen zum Urheber. Der schriftgeschichtliche Befund macht eine Datierung ins 12. Jahrhundert plausibel.

Mit einer solchen Datierung steht auch die bildliche Darstellung nicht im Widerspruch. Die Figur zeigt in ihrem Körper keine Bewegung. Eine gewisse Ähnlichkeit des Möllenbecker Fragments lässt sich zur Darstellung der Geva, der Gründerin des Stifts Freckenhorst (Kreis Warendorf, Nordrhein-Westfalen), feststellen.3) Dieses Grabdenkmal wird in die Mitte des 13. Jahrhunderts datiert.4) Eine weitere Parallele bildet eine nicht näher zu datierende figürliche Grabplatte, die 1981 in der Kirche von Trebsen/Mulde (Lkr. Leipzig, Sachsen) zutage kam. Auch diese Figur hält ein Buch mit Inschrift in ihren Händen und trägt Zöpfe.5) Die auffälligen Zöpfe des Möllenbecker Fragments kehren auch bei der thronenden Madonna im Erfurter Dom (um 1160)6) sowie bei den Mariendarstellungen auf den Chorschranken der Hildesheimer Michaeliskirche und der Halberstädter Liebfrauenkirche (um 1200) wieder. Allerdings finden sich ähnliche Zöpfe auch noch auf der Doppelgrabplatte für Adolf VII. von Schaumburg († 1353) und seine Ehefrau Heilwig zur Lippe in der Stiftskirche von Fischbeck (Lkr. Hameln-Pyrmont).7)

Beim vorliegenden Steinfragment dürfte es sich um die Deckplatte des Grabs der Stifterin Hildburg (vgl. Nr. 44) handeln. Bei Ausgrabungen in den 1950er-Jahren wurde in der Krypta des Stifts das Grab einer Frau gefunden – die einzige Bestattung in der Krypta –, so dass auf eine herausgehobene Stellung der Bestatteten zu schließen ist. Dies führte zu der Vermutung, das vorliegende Fragment, das jedoch bereits um 1900 sekundär in einen Pfeiler eingemauert war, habe ursprünglich zur Abdeckung dieses Frauengrabs gehört.8) Freilich sind die ursprünglichen Maße der Platte, deren Teil das Fragment ist, nicht eindeutig zu rekonstruieren, so dass diese These spekulativ bleibt.9) Das vorliegende Fragment stammt wahrscheinlich aus dem 12. Jahrhundert und wurde somit weit nach dem Tod Hildburgs angefertigt, die das Stift Möllenbeck vor 896 gestiftet hatte und vermutlich in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts starb. Dass zu einem späteren Zeitpunkt noch ein Grabdenkmal für Hildburg angefertigt wurde, ist gut vorstellbar; die Erneuerung eines Grabdenkmals als Form des Gedenkens und der Verehrung eines Klostergründers ist im Hochmittelalter ein verbreiteter Vorgang.10) Hinzu kommt, dass im Jahr 1182 oder 1183 von Papst Lucius III. ein Schutzprivileg für das Stift Möllenbeck ausgestellt wurde, das auf die Gründung durch Hildburg Bezug nimmt.11) Es erscheint plausibel, dass in einer Phase verstärkter Rückbesinnung auf die Anfänge auch die vorliegende Grabplatte angefertigt worden sein könnte.12)

Die Darstellung eines Stifters bzw. einer Stifterin mit einem Buch anstelle eines Kirchenmodells in den Händen ist zwar eher ungewöhnlich,13) aber die Aufschrift MOLEN/BECH dürfte auf den Stiftungsakt hinweisen, in dem Hildburg und der Priester Folkart das Dorf Möllenbeck dem neu errichteten Stift übertrugen.14) In ähnlicher Weise symbolisiert in einer Anfang des 13. Jahrhunderts entstandenen Handschrift, die eine Darstellung der Gründung des Augustinerchorherrenstifts Dießen enthält, ein Buch in der Hand des Bischofs Otto II. von Bamberg „den Grundbesitz, den der Bischof anläßlich der Kirchweihe dem Stift übertragen hatte“.15)

Erklärungsbedürftig ist ferner die Krone, die die Frauenfigur auf dem Kopf trägt,16) doch vermutlich sollte sie schlicht die adelige Abkunft der Stifterin herausstellen und ihre Würde erhöhen.17)

Textkritischer Apparat

  1. [ - - - ]CIT] möglicherweise QVIESCIT oder REQVIESCIT (vgl. Heutger, Sauer).

Anmerkungen

  1. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschreiben Siebern und Brunner ein „Bruchstück eines Reliefs, das Brustbild einer gekrönten Jungfrau“ (Kdm. Kreis Grafschaft Schaumburg, S. 74), das in einen Strebepfeiler des Chors eingemauert gewesen sei. Dabei handelt es sich höchstwahrscheinlich um das vorliegende Steinfragment.
  2. Die Form Molenbech „findet sich in den Urkunden des Klosters bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts nicht. Hier setzt sich nach einigen Variationen in den früheren Kaiser- und Papsturkunden im 13. Jahrhundert schließlich der niederdeutsche Ortsname ‚Molenbeke‘ durch, jedoch ist es seit mittelniederdeutscher Zeit nicht ungewöhnlich, wenn wie in der Inschrift im Nebenton und Auslaut -ch statt -k gesetzt wird.“ (Finck, Gemalte Gelehrsamkeit, S. 75 mit Anm. 18).
  3. In der Krypta von St. Bonifatius. Finck weist insbesondere auch auf die Gestaltung der Gesichtszüge hin; jedoch wurden die Gesichtszüge der Geva im 19. Jahrhundert durch eine Restaurierung stark überformt (Böhm, Mittelalterliche figürliche Grabmäler in Westfalen, S. 78). Auch Geva trägt ein – allerdings aufwändiger gefälteltes – Gewand, das „von einer Borte am Hals in Falten herabfällt“ (Finck, Gemalte Gelehrsamkeit, S. 75).
  4. Bauch, Das mittelalterliche Grabbild, S. 99; vgl. Böhm, Mittelalterliche figürliche Grabmäler in Westfalen, S. 80f.
  5. Friedrich Karl Azzola, Frühe mittelalterliche Steinbildwerke im Werra-Meißner-Kreis, in: Land an Werra und Meißner. Ein Heimatbuch, hg. von der Historischen Gesellschaft des Werralandes mit Unterstützung des Werra-Meißner-Kreises, 3. überarb. Aufl. Korbach 1990, S. 105–113, dort S. 112f. (mit Abb.).
  6. Darauf hat bereits Heutger hingewiesen (Heutger, Stift Möllenbeck, 21987, S. 10).
  7. Abb. in Kdm. Kreis Grafschaft Schaumburg, Tafel 57.
  8. Heutger, Stift Möllenbeck, 21987, S. 9f. u. Abb. S. 275f.
  9. Finck, Gemalte Gelehrsamkeit, S. 73.
  10. Finck, Gemalte Gelehrsamkeit, S. 77; vgl. Hedwig Röckelein, Gründer, Stifter und Heilige – Patrone der Frauenkonvente, in: Krone und Schleier. Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern. Katalog der Ausstellung im Ruhrlandmuseum Essen und in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, 19.3.–3.7.2005, München 2005, S. 66–77, dort S. 70; Sauer, Fundatio und Memoria, S. 128–148.
  11. UB Möllenbeck, Nr. 70; vgl. Regesta Imperii IV,4, Teil 4, Lieferung 1, bearb. von Katrin Baaken / Ulrich Schmidt, Köln Weimar Wien 2003, Nr. 525.
  12. Sauer, Fundatio und Memoria, S. 104.
  13. Finck hat deshalb an ein Äbtissinnengrab gedacht und verweist auf die Gräber der Quedlinburger Äbtissinnen Adelheid I., Beatrix und Adelheid II. in der Quedlinburger Stiftskirche, die wahrscheinlich nach 1095 entstanden sind (Finck, Gemalte Gelehrsamkeit, S. 75). Allerdings wäre für eine Religiose wohl ein Schleier zu erwarten, auch wenn es sich bei Möllenbeck um ein Kanonissenstift ohne Ordensregel handelte (Brosius, Möllenbeck, S. 1062).
  14. UB Möllenbeck, Nr. 71 vom 13. August 896.
  15. Sauer, Fundatio und Memoria, S. 48 u. Abb. 2. Sauer bespricht auch eine Stifterdarstellung, auf der die Übergabe eines Schutzprivilegs zu sehen ist (ebd., S. 75f. u. Abb. 6f.).
  16. Finck (Gemalte Gelehrsamkeit, S. 76) zieht eine Deutung als Mariendarstellung in Erwägung, so dass man das Buch als Buch des Lebens deuten könnte. Allerdings lässt sich eine Mariendarstellung nur schwer damit in Einklang bringen, dass das vorliegende Stück mit seiner umlaufenden Inschrift offenkundig als Teil einer Grabplatte anzusehen ist.
  17. Vgl. Sauer, Fundatio und Memoria, S. 104, Anm. 54.

Nachweise

  1. Kleßmann, Baugeschichte der Stiftskirche zu Möllenbeck, S. 22 (A).
  2. Katalog Kunst und Kultur im Weserraum, Bd. 2, Kat. Nr. 3, S. 333.
  3. Heutger, Stift Möllenbeck, 21987, S. 10.
  4. Sauer, Fundatio und Memoria, S. 104.
  5. Pötter, Möllenbeck, S. 229 (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 1 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0000106.