Inschriftenkatalog: Regensburger Dom (I)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 74: Inschriften des Regensburger Doms (I) (2008)

Nr. 287 Dom, Südseite außen, Stirnwand des Strebepfeilers zwischen dem Turmjoch und dem 2. Joch von Westen 1487

Beschreibung

In der Höhe der ersten Fensterreihe am südwestlichen Pfeiler befinden sich, untereinander angeordnet, zwei Sonnenuhren, die beide in den Stein eingehauen und deren Lettern und Zahlzeichen in roter Farbe ausgemalt sind. Die obere Sonnenuhr wurde 22 Jahre nach der unteren Sonnenuhr eingehauen und ist 1509 datiert1).

Die Zahlen der Stundenanordnung und die über dem Gnomon angebrachte Inschrift füllen fast die ganze Breitseite des Pfeilers. Über der Uhr ist die einzeilige Inschrift I eingehauen, darunter die Symbole von fünf der damals sechs bekannten Planeten. Senkrecht zur rechten und linken Pfeilerkante sind jeweils analog untereinander die neun arabischen Ziffern von 8 bis 16 angeordnet, die die Tageslängen von acht Stunden im Winter bis 16 Stunden im Sommer bezeichnen (Inschrift II). In den bogenförmigen Stundenfeldern die Zahlen von 1 bis 12 (Inschrift III). Unter der Uhr befindet sich die Jahreszahl in arabischen Ziffern (Inschrift IV).

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis (I).

  1. I.

    LONGI(TV)DO a) ∙ DIERV(M) ∙ HOR(A)E ∙ INEQ(VA)LES b)

  2. II.

    8 / 9 / 10 / 11 / 12 / 13 / 14 / 15 / 16 c)

  3. III.

    1 // 2 // 3 // 4 // 5 // 6 // 7 // 8 // 9 // 10 // 11 // 12

  4. IV.

    1487

Übersetzung:

Die Länge der Tage, ungleich lange Stunden. (I)

Kommentar

Der Gnomon der Sonnenuhr ragt in rechtem Winkel aus der Wandfläche heraus, unabhängig von der geographischen Breite seines Anbringungsortes. Nur wenn das Ende des Schattens, den der Gnomon wirft, in eines der Felder fällt, ist das Ablesen der Stunden möglich, allerdings in einer anderen Weise, als dies bei der äquinoctialen Stundenauffassung geschieht. Die hier zu Grunde liegende Theorie der Zeitmessung ist die antike, die temporale Stundenauffassung, bei der ein Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang unabhängig von der Dauer der einzelnen Stunde, mit zwölf Stunden gerechnet wird.

Die Stundenbezeichnung mit der Zahl 1 beginnt im oberen linken Feld, setzt sich fort bis zu den Zahlen 6 und 7 in der Mitte des Ziffernblattes und endet mit der 12, der letzen Tagesstunde, rechts oben. Diese Zahlen in der Mitte des Ziffernblattes werden flankiert von den seitlichen Zahlen, beginnend von der Zahl 8 bis 16. Sie bezeichnen mit den auf sie hinführenden Linien die Tageslänge in den heute üblichen Äquinoctialstunden. Wenn nun das Ende des Schattens auf eine dieser Linien trifft, so kann die Länge des Tages an der Zahl abgelesen werden, die an dieser Linie endet.

Fällt nun der Schatten auf die unterste Stundenmarkierung, also auf die 16, so bedeutet dies, dass die Sonne ihren Sommerhöchststand erreicht hat, der Tag dauert 16 Stunden, die Sonne geht um vier Uhr auf und der Sonnenuntergang erfolgt um 20 Uhr. Der Tag hat 16 Stunden, die einzelne temporale Stunde eine Dauer von 80 Minuten. So gleichen sich die Stundenlängen der äquatorialen und der temporalen Stunden nur zu den beiden Tag- und Nachtgleichen im Jahr, zu Frühlingsbeginn und zum Herbstanfang. An allen anderen Tagen ist die Dauer einer Stunde unterschiedlich lang, worauf die Inschrift hinweist.

Zur rechten und zur linken Seite des Gnomons sind im Bogen die Symbole der sieben klassischen Planeten, der antiken Wanderer, angebracht. Links außen die Sonne, es folgen die Zeichen für Venus, Merkur, Mond und Saturn.

Auf der rechten Seite des Gnomons sind die Zeichen für Venus, Merkur, Mond und Saturn dargestellt. Die Sonne fehlt auf dieser Seite, so waren die erste und die achte Stunde des Tages der Sonne geweiht, die fünfte und die letzte Stunde dem Saturn. Jupiter und Mars fehlen auf dieser Sonnenuhr, Jupiter herrscht über die sechste und Mars über die siebte Stunde des Tages. Die Reihenfolge der Planeten entspricht der Länge ihrer Zyklen. Den kürzesten Zyklus hat der Mond mit 29 Tagen, gefolgt von Merkur mit etwa drei Monaten, der Venus mit acht Monaten und der Sonne mit einem Jahr. Etwa zwei Jahre beträgt der Zyklus des Mars, Jupiter kehrt nach zwölf Jahren wieder und Saturn nach 29 Jahren.

Bei der Sonnenuhr am Dom aus dem Jahr 1487 wird die antik-mittelalterliche Zeitauffassung erkennbar, Zeit nicht als Maß sondern als Inhalt2).

Die Sonnenuhr wurde von dem Eichstätter Dombaumeister Hans Paur angefertigt, dessen Werkstattmarke sich unter rechts neben der Jahreszahl befindet3).

Im Jahr 1982 erfuhr sowohl die Sonnenuhr von 1487 als auch die von 1509 eine unfassende Restaurierung4).

Textkritischer Apparat

  1. Die Buchstaben DO sind hochgesetzt.
  2. Der Buchstabe N ist spiegelverkehrt. Das Kürzungszeichen über dem Q besteht aus zwei nebeneinanderstehenden Quadrangeln; die Trennzeichen sind Quadrangeln, das Zierzeichen am Schluss ist ein Quadrangel mit rechts angehängtem Zierhäkchen.
  3. Diese Zahlenreihe erscheint sowohl an der rechten als auch der linken Pfeilerkante.

Anmerkungen

  1. Kdm Regensburg I, 76; Bauer, Regensburg 414 (mit Abbildung). Die obere der beiden Sonnenuhren wird im Band Dom II behandelt werden. Eine dritte Sonnenuhr aus dem Jahr 1606 findet sich aufgemalt an der Südwestecke des südlichen Domturms.
  2. Diese Ausführungen sind zusammengefasst nach Kroll, Sonnenuhren. Die Süduhren am Dom zu Regensburg (o. S.); vgl. auch Schuegraf, Dom II, 50-54; Zahn, Dom 75f.; Schlieben, Zwei alte Sonnenuhren 141-156; Grotefend, Zeitrechnung 24.
  3. Bauer, Regensburg 414.
  4. Ebenda 415.

Nachweise

  1. Schuegraf, Dom II, 53; Schlieben, Zwei alte Sonnenuhren, Abb. III; Zahn, Dom 76; Bauer, Regensburg 414.

Zitierhinweis:
DI 74, Inschriften des Regensburger Doms (I), Nr. 287 (Walburga Knorr, Werner Mayer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di074m013k0028707.