Inschriftenkatalog: Regensburger Dom (I)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 74: Inschriften des Regensburger Doms (I) (2008)

Nr. 2(†) Domkreuzgang, Allerheiligenkapelle Mitte 12. Jh.

Beschreibung

Bischof Hartwig II. von Sponheim (1155-1164) ließ die Allerheiligenkapelle an der Ostseite der Kreuzgangmittelhalle als seine Grabkapelle von einem lombardischen Bautrupp errichten. Der Zentralbau gilt als eines der Hauptwerke der romanischen Architektur in Süddeutschland, der seine ursprüngliche Ausstattung einschließlich der heute ruinösen Wandmalereien bewahrt hat1). Diese Wandmalereien wurden seit der Barockzeit von einer schützenden Putzschicht überdeckt und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgedeckt, sorgfältig restauriert und ergänzt. Im Jahr 1955 wurde diese Restaurierung rückgängig gemacht, um den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen, was sich im Rückblick als äußerst verhängnisvoll erwiesen hat. Die Inschriften dieser Wandbemalungen können bis auf wenige Fragmente nur noch aufgrund des Photomaterials aus der Zeit vor 1955 rekonstruiert werden2). Die zahlreichen Schriftbänder mit heute kaum mehr vorhandenen Inschriften könnten wohl Aufschluss geben über das komplexe ikonographische Programm, dessen Sinngehalt bis heute nicht endgültig geklärt ist.

Das Innere der Kapelle ist mit Achtecktambour und Kuppel in einen himmlischen Teil gegliedert, Würfel und Konchen repräsentieren den irdischen Teil3). Im Zentrum der Kuppel ist Christus als Pantokrator dargestellt im kreisrunden Medaillon, umgeben von einem runden Rahmen mit Inschrift zwischen zwei dunklen Linien (Inschrift I). In seiner linken Hand hält Christus ein Spruchband mit nicht mehr vorhandener Inschrift. Ein großer konzentrischer Kreis, geteilt in acht Segmente mit acht Engeln, umgibt die Darstellung. Ein neunter Engel befindet sich in der östlichen Tambourseite. Sowohl um den großen Kreis als auch in den Spruchbändern, die von den Engeln gehalten werden, sind Texte eingeschrieben (Inschriften II u. III). Die Spruchbänder enden in den Schnäbeln von acht Tauben an den Scheiteln der Tambourfenster. Drei Heilige sind jeweils in der Tambourfensterzone dargestellt. Über jeder Gruppe befindet sich eine Inschrift (Inschrift IV). Hier sind die Tugenden benannt, deren es bedarf, um die Heiligen in die Gemeinschaft der neun Engelschöre einzubeziehen. Die drei Märtyrer Laurentius, Mauritius, Georg und rechts im Tambouroktogon das Martyrium des Hl. Stephan (Inschrift V) zeigen bildhaft die acht Seligpreisungen4).

Gegenüber dem Eingang der Kapelle zwischen zwei Diagonalfenstern füllt die Darstellung eines großen Engels, der auf einer Sonnenscheibe steht, die Wandfläche. In seiner rechten und linken Hand hält der Engel mehrfach geknickte Spruchbänder, auf denen noch Inschriftenfragmente zu erkennen sind (Inschrift VI). Dieser Engel des Jüngsten Gerichtes gilt als wichtiger Teil des Bildprogramms, denn er befiehlt den vier Engeln in den vier Ecken der Erde, die vier Winde zurückzuhalten, bis die Knechte Gottes, die zwölf Stämme Israels, mit einem Zeichen an der Stirn versiegelt seien (Apc. 7,1-3). Die vier Windengel vermitteln zwischen dem himmlischen und irdischen Bereich. Die vier Enden der Welt stehen bildhaft auch für die vier Ecken des Kirchengebäudes. Die antiken Weltreiche der Chaldäer, Perser, Griechen und Römer sind personifiziert als Halbfiguren in Medaillons jeweils im Scheitel der vier Rundbögen. Über dem Windengel in der Nordostecke ist die Inschrift VII zu erkennen.

In der nördlichen Seitenapsis ist eine sitzende gekrönte weibliche Gestalt dargestellt, hinter deren Kopf sich ein Schriftband teilt, das von der Taube des Heiligen Geistes ausgeht und im unteren Bereich von je vier ganzfigurigen Gestalten gehalten wird (über dem Haupt Inschrift VIII, Schriftband unten rechts mit Inschrift IX, auf dem Schriftband unten links ist nichts mehr zu erkennen). Im Gewände im oberen Bereich eine nimbierte Gestalt, die ein auf die Spitze gestelltes Quadrat mit der Darstellung der Taube des Hl. Geistes berührt, in dem sich die Inschrift X befindet; in der Umrandung sind ebenfalls noch einige Buchstaben zu erkennen (Inschrift XI). In der südlichen Apsis eine analoge Darstellung, das Schriftband, auf dem nichts mehr zu erkennen ist, geht hier von einem Brustbild Christi aus. An der Umrandung der linken Wand des Vorjochs sind noch Reste einer Inschrift zu erkennen (Inschrift XII).

Die beiden weiblichen Figuren werden gedeutet als Personifikationen der Maria-Ecclesia, durch ihre Schriftbänder evtl. Verbindung mit dem jeweiligem Bräutigam Gott-Christus-Hl. Geist.

In der Eingangstonne zwei männliche Gestalten, die eine Schriftrolle halten, auf der noch der Buchstabe A erkennbar war.

Die Grabinschrift für den Erbauer der Allerheiligenkapelle befindet sich auf einer gemalten Inschriftentafel unterhalb der Sonnenscheibe an der Wand der Ostapsis (Inschrift XIII). Sie ist fünfzeilig zwischen scharfen Linien aufgemalt.

Text nach Photomaterial vor 1955:

Maße: Bu. ca. 5 cm.

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

  1. I.

    – – –]VS ∙ O[– – –]LOV[– – –

  2. II.

    – – –]IDATOS · AC PE[– – –]G[– – –]S[– – –]IBTE[– – –]FEC[– – –]PIT OS[– – –]PATE[– – –

  3. III.

    – – –]OS A[…]O

  4. IV.

    FIDES · SPES · KARITAS ·

  5. V.

    LAPIDA[TIO SANCTI STEPHANI] a)

  6. VI.

    – – –]LI[– – –]OCESE[– – –]RRE · N[– – – b)

  7. VII.

    ANGELVS ·

  8. VIII.

    LEX SP(IRITUALI)S

  9. IX.

    EGO // c) GRA[T]IA · [– – –]I // c) BO // c) […]O · GRAT(IA) · S[– – –

  10. X.

    SP(IRITV)S

  11. XI.

    – – –]MEDI[– – –

  12. XII.

    – – –]EI[--]RAL[– – –

  13. XIII.

    – – –] O(BIIT) HARTWIG(VS) [– – –]CONF[– – –]ES[– – –

Kommentar

Bischof Hartwig II. von Sponheim (1155-1164), Salzburger Domherr, war der Nachfolger von Heinrich I. von Wolfratshausen. Sein kurzes Episkopat wird in der Forschung als relativ unbedeutend charakterisiert. Im Gedächtnis der Nachwelt ist er vor allem präsent durch die Erbauung der romanischen Allerheiligenkapelle in den Jahren 1163/64. Er ist der erste Regensburger Bischof, der nicht in St. Emmeram, sondern im Bereich des Domes bestattet wurde5).

Die weiße trapezförmige Grabplatte, die Schuegraf im 19. Jahrhundert noch vorgefunden hatte, befand sich vor dem Altar der Allerheiligenkapelle im Boden eingelassen. Sie war ca. 182 cm (6 ¼ Werkschuhe) hoch und ca. 51 cm (1 ¾ Schuhe) breit, am Kopfende ca. 58 cm (2 Schuhe). Sie trug weder Inschrift noch die Attribute eines Bischofs6). Seit dem Jahr 1838, als der gotische Dom renoviert wurde, ist die Grabplatte verschwunden7). Bei einer Grabung im Boden der Allerheiligenkapelle im Jahr 1881 in Gegenwart des Bischofs Ignatius von Senestrey fand man einen wohl früher bereits geöffneten Steinsarkophag mit den Überresten des Leichnams. Die Gebeine wurden in ein von einer Zinnplatte verschlossenes Holzbehältnis gelegt, das die Aufschrift trägt: Ossa haec A(nno)D(omini) MDCCCLXXXI die 16. Dec(embris) praesente Ignatio, Rat(isbonensis) Ep(iscop)o in hoc sarcophago quondam effracto inordinate composita reperta et denuo in theca lignea recondita sunt. De nomine sepulti nil certum8).

Textkritischer Apparat

  1. Ergänzt nach Morsbach, Domkreuzgang 40 (Anm. 50).
  2. Endres, Allerheiligenkapelle 46 ergänzt nach Apc 7,3: Nolite nocere terrae et mari neque arboribus, quoadusque signemus servos Dei nostri in frontibus eorum; vgl. Traeger, Mittelalterliche Architekturfiktion 56; Morsbach, Domkreuzgang 40 (Anm. 51).
  3. Knick im Schriftband.

Anmerkungen

  1. Schuegraf, Dom I, 50f., II, 90f.; Kdm Regensburg I, 216-220; Traeger, Mittelalterliche Architekturfiktion (mit ausführlicher Zusammenfassung der Quellen und der älteren Literatur); ders., Die Allerheiligenkapelle im Regensburger Domkreuzgang. Architektur, Funktion, Ikonologie, in: Romanik in Regensburg . Kunst, Geschichte, Denkmalpflege, hg. von Helmut-Eberhard Paulus, Hermann Reidel und Paul W. Winkler, Bd. 2, Regensburg 1996, 97-107; Morsbach, Domkreuzgang, 32f.: Im Jahre 1146 sind oberitalienische Bauleute an mehreren Bauten in Regensburg nachweisbar. Paulus, Romanische Architektur; vgl. hierzu auch Strobel, Romanische Architektur 93-100; Dehio, Regensburg und die Oberpfalz 464f.; Stein-Kecks, Romanik in Regensburg 1063-1065.
  2. Das Photomaterial ist publiziert bei Traeger, Mittelalterliche Architekturfiktion; vgl. Morsbach, Domkreuzgang 33.
  3. Traeger, Mittelalterliche Architekturfiktion, Himmel: 35-55, Erde: 56-64.
  4. Morsbach, Domkreuzgang 40 (Anm. 50).
  5. Cranner 47; Janner, Bischöfe I, 463-465, Hausberger, Geschichte I, 111-113; Freund, Regensburger Bischöfe 79f.
  6. Schuegraf, Dom II, 91f. (Abb. Anhang VIII); Traeger, Mittelalterliche Architekturfiktion 15f. (Abb. Tafel 28). Eine Zeichnung Schuegrafs aus dem Jahr 1835 gibt Aufschluss über die Gestaltung der Grabplatte. Sie ist gegliedert durch neun vertikale Streifen über die gesamte Länge des Steines, von denen die fünf mittleren jeweils gedoppelt sind. Der Deutung dieser seltenen Darstellung, die bereits Schuegraf publizierte, schließt sich die moderne Forschung an. So versinnbildlichen die beiden rechten Streifen das Amt des Subdiakons, die beiden linken das Amt des Diakons, die zwei rechten Doppelstreifen das Priesteramt und die restlichen drei Doppelstreifen das Bischofsamt.
  7. Schuegraf, Dom I, 52; Kdm Regensburg I, 220.
  8. Traeger, Mittelalterliche Architekturfiktion 10.

Zitierhinweis:
DI 74, Inschriften des Regensburger Doms (I), Nr. 2(†) (Walburga Knorr, Werner Mayer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di074m013k0000204.