Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 214 Bad Grund, St. Antonius 2.–3. V. 17. Jh.

Beschreibung

Gemälde. Öl auf Leinwand, aufgezogen auf Holz. Darstellung Luthers, aufgehängt an der nördlichen Chorwand. Das ganzfigurige Bild zeigt unter einem Rundbogen den frontal stehenden Luther in Schaube mit rotem Bandabschluss und weißem Umlegekragen, der Kopf ist (vom Betrachter aus) leicht nach rechts gewandt. Zu seinen Füßen ein nach rechts blickender Schwan. Auf der oberen Schmalseite des Rahmens Inschrift A, weiß auf schwarz gemalt. Rechts neben Luther in Kopfhöhe in einem Schild sein Wappen. Auf einem Tisch rechts neben Luther eine große Bibel mit Schließen; auf dem vorderen Schnitt Inschrift B, hellbraun auf hellen Untergrund gemalt. In den Händen hält Luther ein Buch mit offenen Bandschließen, das auf der nach vorne gerichteten Rückseite Inschrift C trägt, schwarz auf den roten Einband gemalt. Vor der Bibel liegt auf dem Tisch noch ein kleines Buch; auf dem oberen Schnitt Inschrift D, schwarz auf hellem Untergrund gemalt.

Maße: H.: 184 cm; B.: 98 cm (jeweils mit Rahmen); Bu.: 1,5 cm (A), 3 cm (B), 0,8 cm (C), 0,7 cm (D).

Schriftart(en): Kapitalis (B), Minuskel mit Versalien (A, C, D).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg H. Lampe) [1/5]

  1. A

    D(octor) Martin Luther ist gebohren zu Eisleben in Der Graffschafft Mansfeld

  2. B

    BIBLIA

  3. C

    Augspursche Cun/Fession

  4. D

    Gegen den / Ablas.

Wappen:
Luther1)

Kommentar

Die Figur Luthers beruht auf dem in der Cranachschule etablierten Typus des standfesten Predigers, der das Lutherbild vom 16. Jahrhundert an bestimmte. Zu nennen sind vor allem ein Holzschnitt Lukas Cranachs d. Ä. von 1546, der die Vorlage für die Grabplatte Luthers lieferte, die 1571 in Jena aufgestellt wurde.2) Die bildliche Verbindung Luthers mit dem Schwan, die auf Äußerungen des Reformators seit den 1530er Jahren zurückgeht, wird in der Literatur zuerst auf einem Gemälde in St. Petri in Hamburg aus dem Jahr 1603 verwirklicht gesehen.3) Möglicherweise ist aber bereits ein (allerdings nur als Kopie überliefertes) Gemälde in Lüneburg, das nach der Überlieferung die Jahreszahl 1574 trug, ein fast dreißig Jahre früherer Beleg.4)

Um die Entstehung des vorliegenden Gemäldes zeitlich einzugrenzen,5) muss man die Details auf dem Bild zusammen mit den Inschriften in Betracht ziehen, die sich in mehreren Versionen des Bildtypus im 17. Jahrhundert in Variationen finden lassen. Zu berücksichtigen sind dabei außer einem Stich des späten 16. Jahrhunderts6) eine um 1620 in Goslar für eine Bibelausgabe geschaffene Grafik,7) die Luther in eine Studierstube mit Fenster stellt, sowie vor allem der auf dieser Grafik beruhende, möglicherweise bereits um 1630 entstandene Stich des Niederländers François Stuerhelt (gest. 1652)8) und dessen Pendants von Jacob Sandrart (Nürnberg 1655)9) und David Tscherning (Breslau 1655),10) die den Hintergrund der Studierstube abwandeln.

Die Körperwendung nach rechts (vom Betrachter aus) ist die Haltung, die Luther auf dem Cranach-Stich von 1546, der Grabplatte in Jena und auch auf dem Hamburger Gemälde von 1603 einnimmt. Dagegen zeigen alle anderen Stiche und Gemälde bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, mit Ausnahme von Tschernings Stich, eine spiegelbildliche Wendung nach links. Das Buch, das Luther in der Hand hält, findet sich in der vorliegenden Form, bei der der Daumen der linken bzw. rechten Hand am oberen Schnitt anliegt, seit dem Goslarer Stich (um 1620) in der Druckgrafik. Die Aufschrift C verballhornt den Titel, der sich in der Form Augspurgische Confession auch bei Stuerhelt, Sandrart und Tscherning findet. Die Bibel, die mit dem Schnitt nach vorn in Bad Grund in Armhöhe auf dem Tisch steht, steht zumeist zu Füßen Luthers, der Schnitt weist – mit Ausnahme des Stiches aus dem späten 16. Jahrhundert – nach vorn. Die Aufschrift BIBLIA (B) steht in diesem Stich auf dem oberen Schnitt des Buches in Luthers Hand, auf dem Goslarer steht sie auf dem oberen Schnitt der Bibel. Bei Stuerhelt, Sandrart und Tscherning ist sie, wie im vorliegenden Fall, in Kapitalis auf dem vorderen Schnitt angebracht. Das kleine Büchlein neben der Bibel mit der Aufschrift D hat der Maler offenbar von der Fensterbank kopiert, auf der bei Stuerhelt, Sandrart und Tscherning mehrere Bücher mit Aufschriften liegen.

Der Wappenschild mit der Lutherrose, der die Grabplatte schmückt,11) wird auf dem Stich des späten 16. Jahrhunderts (wie Anm. 6) und den mit ihm zusammenhängenden Gemälden in Lüneburg und Parchim (wie Anm. 4) übernommen; im Goslarer Bibel-Stich von 1620 (wie Anm. 7) ist er in die Mitte des oberen Schmuckrands gerutscht. In den drei Stichen aus der Mitte des 17. Jahrhunderts fehlt das Wappen dagegen. Unter diesen Stichen findet sich stattdessen ein zusätzliches Feld mit biografischen Angaben zu Luther. Inschrift A entspricht bis in die übereinstimmende Schreibung dem Anfang der Unterschrift bei Sandrart (wie Anm. 9); bei Tscherning (wie Anm. 10) ist der biografische Text verändert. Bei Stuerhelt folgt auf eine lateinische Unterschrift ein dieser nicht kongruenter niederländischer Text, der der deutschen Unterschrift bei Sandrart und auf dem vorliegenden Gemälde (A) entspricht.12)

Insgesamt ergibt sich aus dem Vorstehenden eine große Nähe des vorliegenden Bildes zu den in der Mitte des 17. Jahrhunderts entstandenen Stichen, besonders zu dem von Stuerhelt. Die Bewahrung der Lutherrose, die die Stiche nicht mehr zeigen, sowie die Körperausrichtung des Reformators, die der der Stiche entgegengesetzt ist, deuten allerdings darauf hin, dass dem Maler des Bad Grunder Bildes eine andere Grafik vorgelegen hat, die sachlich und wohl auch zeitlich zwischen dem Stich der Goslarer Bibel von 1620 und dem Stich von Stuerhelt (um 1630?) anzusetzen ist. Eine solche Vorlage würde auch die Kongruenz von Inschrift A mit dem deutschen Text bei Sandrart (1655) und dem niederländischen bei Stuerhelt erklären. Es scheint daher sehr gut möglich, dass das vorliegende Bild, das keine Zeichen einer „Barockisierung“ aufweist, noch vor 1650 entstanden ist.

Anmerkungen

  1. Wappen Luther (Rose, belegt mit einem Herz, darin ein lateinisches Kreuz).
  2. Kat. Luther mit dem Schwan, S. 34 (mit Abb. 8). Zur Folgewirkung vgl. Kat. Luther mit dem Schwan, Abb. 9–12, S. 36–38 u. bes. Ruth Slenczka, Bemalte Bronze hinter Glas? – Luthers Grabplatte in Jena 1571 als „protestantische Reliquie“, in: kunsttexte.de, 4/2010, S. 1–20, hier bes. S. 1–8 (20.07.2017).
  3. Kat. Luther mit dem Schwan, Nr. 5, S. 84. Theodor Knolle, Der Prototyp des Lutherbildes mit dem Schwan, in: Forschungen zur Kirchengeschichte und zur christlichen Kunst, hg. von Walter Elliger, Leipzig 1931, S. 222–242.
  4. Vgl. DI 100 (Stadt Lüneburg), Nr. 481. Die Kopie aus der Mitte des 18. Jahrhunderts (der als Auftraggeber genannte Stadtbaumeister amtierte seit 1737; Kat. Luther mit dem Schwan, S. 150) befindet sich heute in St. Johannis, das Original stammte aus St. Lamberti. Die heutige Kopie weist große Übereinstimmungen mit einem für St. Georg in Parchim 1612 entstandenen Gemälde auf; vgl. Kat. Luther mit dem Schwan, Nr. 8, S. 86.
  5. Das Bild wurde im Bestandskatalog der Ausstellung „Luther mit dem Schwan“ aufgenommen und dort zeitlich als „1730 (?)“ eingeordnet; Kat. Luther mit dem Schwan, S. 141. Ursache dafür ist vermutlich, dass eine Abhängigkeit von einem 1730 von Michael Kauffer in Augsburg zum Reformationsjubiläum geschaffenen Kupferstich (ebd., Nr. 24, S. 93f.) angenommen wurde; dies ist aber nicht notwendig, da der Kauffer-Stich in der Nachfolge der hier diskutierten früheren Werke steht.
  6. Kat. Luther mit dem Schwan, Nr. 7, S. 86.
  7. Ebd., Nr. 10, S. 87f.; vgl. auch ebd., Nr. 11 u. 12, S. 88.
  8. Ebd., Nr. 13, S. 89 (ohne Abb.). Das Werk von Stuerhelt ist im Katalog mit „um 1630“ verzeichnet. Im British Museum (Registration number: 1877, 0210.374) gibt es allerdings ein Exemplar von Stuerhelts Stich, das von dem jüngeren Stecher Cornelis Visscher (1629–1662) – und somit frühestens Ende der 1640er Jahre gedruckt (CF Vißcher Excudit) wurde; http://www.britishmuseum.org/research/collection_online/collection_object_details.aspx?objectId=3513887&partId=1&people=106127&peoA=106127-2-60&page=1 (20.07.2017).
  9. Kat. Luther mit dem Schwan, Nr. 15, S. 90.
  10. Ebd., Nr. 22, S. 93 (seitenverkehrt zu Stuerhelt und Sandrart).
  11. Vgl. z. B. Kat. Luther mit dem Schwan, Abb. 9–12, S. 36–38. Slenczka, Bemalte Bronze (wie Anm. 2), Abb. 1–3, S. 2–5.
  12. Doctor Martinus Luther is geburen tot Eysleben int Graffscap Mansfeldt in t’jaer 1483 …; nach dem Exemplar aus dem British Museum (wie Anm. 8).

Nachweise

  1. Kat. Luther mit dem Schwan, S. 141 (A).

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 214 (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0021408.