Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 209 Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum 1649

Ergänzung zur Standortangabe: Der Pokal wechselt seinen Standort zwischen dem Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig und dem Residenzmuseum in Celle. Gegenwärtig (2021–2023) ist er wieder in Celle zu sehen; https://celler-presse.de/2021/05/07/ein-huldigungspokal-zu-besuch-in-celle/ (02.05.2022)

Beschreibung

Deckelpokal. Silber, vergoldet. Der Pokal mit vier Deckelbechern wurde als Huldigungspokal für Herzog Christian Ludwig von Braunschweig-Lüneburg (reg. in Celle 1648–1665) vom Goldschmied Christoph Uder in Osterode gefertigt. Der gewölbte Dreipassfuß mit Standring und getriebenen floralen Mustern verjüngt sich zu einem kurzen Schaft, über dem sich eine sich wieder verbreiternde, leicht gewölbte Basis erhebt. Aus dieser erwächst ein Paradiesbaum, der drei mit farbig bemalten Blättern und Blütenknospen geschmückte Äste bildet, die jeweils einen größeren Becher tragen. Der zwischen diesen durchwachsende Stamm trägt als Spitze den vierten, kleineren Becher. Auf den Deckeln der mit Buckeln in Form stilisierter Äpfel versehenen Becher Vasen mit farbig bemalten Blüten. Am Stamm stehen Adam und Eva, die Adam mit der rechten Hand den Apfel reicht. Aus der Astgabel schlängelt sich die Schlange zum Kopf Adams herab. Um das Gesäß von Adam und Eva ein Band mit Blüten. Auf dem Standring unterhalb von Adam das Osteroder Beschauzeichen und eine Meistermarke;1) beide wiederholen sich am Trinkrand eines der drei großen Becher (in der Ausstellung verdeckt durch den Deckel).2) Auf der Wölbung des Fußes unterhalb von Eva die in Punktpunzierung und teilweise in Kontur ausgeführte Inschrift, unterbrochen vom Osteroder Stadtwappen.

Der Pokal gehörte zu einer Gruppe von drei Huldigungspokalen aus der Silberkammer der Celler Herzöge, die nach dem Tod Georg Wilhelms (reg. in Celle 1665–1705), des jüngeren Bruders von Christian Ludwig, nach Hannover gebracht wurden. Von dort gelangten sie 1866/67 in die Exilresidenz des letzten Königs von Hannover, Georg V., in Gmunden in Österreich, dessen Nachkommen sie in den 1920er Jahren verkauften. 2009 wurden sie in der Auktion der Sammlung von Yves Saint-Laurent und Pierre Bergé, die die Pokale etwa neun Jahre zuvor aus dem Kunsthandel erworben hatten, versteigert. Mithilfe der Kulturstiftung der Länder konnten sie von einem Eigentümerkonsortium unter Führung des Landes Niedersachsen erworben werden.3) Zunächst im Schlossmuseum Celle ausgestellt, befindet sich der Pokal seit 2016 im Herzog Anton Ulrich-Museum. Dort konnte er nur in der Vitrine angesehen, nicht aber herausgenommen werden.

Inschrift nach Fotos des Landesmuseums Hannover.4)

Maße: H.: 56 cm; Dm.: ca. 14 cm (Fuß);5) Bu.: ca. 0,5 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

  1. STADT // OSTERODA / 16//49

Wappen:
Stadt Osterode6)

Kommentar

Der Huldigungspokal, der, wie in der Mitte des 17. Jahrhunderts zunehmend üblich, auf Aufforderung des Herzogs angefertigt wurde,7) dokumentiert die knapp fünfzig Jahre (1617–1665) andauernde Zugehörigkeit des Fürstentums Grubenhagen zu der in Celle residierenden Linie des Welfenhauses. Dieser Zusammenhang endete nach dem Tod Christian Ludwigs, als bei der Neuverteilung der Territorien zwischen dessen jüngeren Brüdern Georg Wilhelm und Johann Friedrich Grubenhagen an den in Hannover residierenden Calenberger Herzog kam. Die Anbringung von Wappen und dem Namen der überreichenden Körperschaft (Stadt oder auch Amt) auf dem Huldigungsgeschenk nahm im 17. Jahrhundert zu und diente der dauerhaften Erinnerung an den Huldigungsakt; zugleich war der Pokal wegen seines Silbergewichts auch eine Kapitalreserve, die im Bedarfsfall eingeschmolzen werden konnte – weswegen nur ein Bruchteil der Huldigungsgeschenke erhalten blieb.8) Ein etwa gleich schwerer (und damit gleich wertvoller) Huldigungspokal, den Herzog Johann Friedrich 1671 erhielt, kostete laut Kämmereirechnung 65 Reichstaler; diesem waren noch 100 Rtlr. in einem Beutel beigegeben.9)

Funktional gehört der Pokal, dessen drei untere Becher durch kommunizierende Röhren in den „Ästen“ miteinander verbunden sind und die daher gemeinsam geleert werden konnten, zu den Scherzgefäßen, mit denen die Teilnehmer im Rahmen barocker höfischer Festlichkeiten ihre Geschicklichkeit und Ausdauer bei Trinkritualen unter Beweis stellen konnten (oder mussten). Künstlerisch steht der Pokal in der Tradition der sogenannten „Drillingsbecher“ Nürnberger Goldschmiede, die den Baum der Erkenntnis in Szene setzten.10)

Christoph Uder (um 1598–1667) stammte aus einer Osteroder Ratsfamilie. Ein anderer Christoph Uder, möglicherweise sein Großvater, war 1576 Ratsherr.11) Bartolt Uder erwarb 1621 das Bürgerrecht und war von 1630 bis zu seinem Tod um 1662 ebenfalls Ratsmitglied.12) Der jüngere Christoph Uder heiratete am 4. Juni 1627 Dorothea Otte13) und erhielt am 14. Dezember 1627 das städtische Bürgerrecht;14) spätestens 1646 lebte er im heutigen Haus Martin-Luther-Platz 7.15) Ob er eine Lehrzeit in Nürnberg absolvierte, worauf die Formen des Deckelpokals hindeuten, lässt sich nicht feststellen. Christoph Uder starb am 22. November 1667 im Alter von 69 Jahren.16) Eine undatierte Rechnung aus der Zeit nach 1645 belegt, dass Christoph Uder für die in Herzberg residierende Herzoginwitwe Anna Eleonore silberne Tischgerätschaften anfertigte bzw. überarbeitete.17) Sein Sohn Johann (1629–1690) wurde 1660 Bürger; bei dessen Heirat 1664 werden der Bräutigam und der Vater im Kirchenbuch als Goldschmiede bezeichnet.18) Scheffler weist zwei weitere Mitglieder der Familie Uder als Goldschmiede im 18. Jahrhundert nach.19)

Der in Scharzfeld befindliche Kelch Nr. 211 wurde ebenfalls von Christoph Uder angefertigt sowie wahrscheinlich 1644 eine Weinkanne und eine Oblatendose (heute in St. Aegidien, Nr. 197 u. 198) und 1647 ein Kelch für St. Jacobi (204) in Osterode.20)

Anmerkungen

  1. CV für Christoph Vder; Foto Landesmuseum Hannover. Meistermarke und Beschauzeichen werden angeführt bei Rosenberg, Goldschmiede Merkzeichen (R3), Bd. 3, S. 275, Nr. 4361 u. 4356. Vgl. Abb. 166 in diesem Band.
  2. Foto Landesmuseum Hannover; Ausschnitt abgedruckt in: Fünf Meisterwerke. Glanzlichter aus der Silberkammer der Celler Residenz, Celle 2014, S. 36; Kreckmann, Pokal, S. 9.
  3. Fünf Meisterwerke (wie Anm. 2), bes. S. 4f. u. 29 (Juliane Schmieglitz-Otten). Seelig, Katalog der Huldigungspräsente, Kat. Nr. 15, S. 63. Der Pokal erzielte auf der Auktion einen Preis von 710.000 Euro; Kreckmann, Pokal, S. 8 u. 10. Vgl. auch https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/der-zweite-auktionstag-denkmal-fuer-das-art-deco-1772657.html (Bericht v. 25.02.2009; zuletzt benutzt 29.11.2017).
  4. Mein Dank für die Überlassung von Ausdrucken der Fotos und eine gemeinsame Inaugenscheinnahme des Pokals gilt Martina Minning vom Herzog Anton Ulrich-Museum.
  5. Höhe nach Seelig, Katalog der Huldigungspräsente, Kat. Nr. 15, S. 63. Durchmesser des Fußes danach geschätzt.
  6. Wappen Stadt Osterode (bekröntes, links eingedrücktes O).
  7. Seelig, Huldigungspräsente, bes. S. 26–28. Fünf Meisterwerke (wie Anm. 2), S. 28f. (Juliane Schmieglitz-Otten).
  8. Seelig, Huldigungspräsente, bes. S. 12, 18–25 u. 30.
  9. Seelig, Katalog der Huldigungspräsente, Kat. Nr. 15, S. 65. Der vorliegende Pokal wiegt 1556 g; in Inventaren von 1706 und 1747 wird er mit 6 Mark 6 5/8 Loth bzw. 6 Mark 6 9/16 Loth (entspricht etwa 1500 g) verzeichnet; der Pokal von 1671 wog 6 Mark 8 Lot; ebd., S. 63 u. 65.
  10. Seelig, Katalog der Huldigungspräsente, Kat. Nr. 15, S. 64. Fünf Meisterwerke (wie Anm. 2), S. 35f. (Juliane Schmieglitz-Otten).
  11. Vgl. Wendt, Geschichte, S. 310 u. 331. Renner, Nachrichten, S. 182. Kreckmann führt auch Christoph d. Ä. als Goldschmied, allerdings ohne Beleg; Kreckmann, Goldschmiedehandwerk, S. 99.
  12. Granzin, Bürgerbuch, S. 12. Ein weiterer Eintrag für (denselben?) Bartold Uder aus dem Jahr 1606: ebd., S. 6; 1630 wird Tile Uder Bürger; ebd., S. 15.
  13. Schubert, Trauregister, Bd. 1,10, S. 951 (Nr. 864).
  14. Granzin, Bürgerbuch, S. 14.
  15. Ekkehard Eder, Das „Thörmersche“ Haus in Osterode, in: HbllHarzRd 61, 2005, S. 56–69, hier S. 59. Kreckmann, Pokal, S. 9. Kreckmann, Goldschmiedehandwerk, S. 100.
  16. Kreckmann, Pokal, S. 9.
  17. NLA HA Cal. Br. 22, Acc. 2011/142, Nr. 43, Bl. 1: eigenhändige Rechnung des Christoffel Vder. Den größten Teil von Silber- und Goldschmiedearbeiten bezog die Herzogin vom Silberschmied Nikolaus Kanne in Hamburg; ebd., passim (52 Bll.).
  18. Kreckmann, Goldschmiedehandwerk, S. 100 u. 102. Vgl. Granzin, Bürgerbuch, S. 24. Schubert, Trauregister, Bd. 1,10, S. 974 (Nr. 1796). – Johann Uder dürfte der Nautiluspokal in Kassel zuzuschreiben sein, der das Osteroder (nicht: Oschatzer!) Beschauzeichen und die Marke IV aufweist: vgl. Rudolf-Alexander Schütte, Die Silberkammer der Landgrafen von Hessen-Kassel. Bestandskatalog der Goldschmiedearbeiten des 15. bis 18. Jahrhunderts in den Staatlichen Museen Kassel, Kassel 2003, Nr. 55, S. 244. Meine Ansicht des Beschauzeichens kehrt gegen Scheffler (Goldschmiede, Bd. 2, S. 1028) zur Meinung von Rosenberg (Rosenberg, Goldschmiede Merkzeichen (R3), Bd. 3, Nr. 4357) zurück.
  19. Scheffler, Goldschmiede, Bd. 2, S. 1029f.
  20. Granzin zufolge hat der Rat „1615“ den Osteroder Goldschmied Christoph Uder beauftragt, für 33 Taler und 4 Pfennig einen Pokal von 24 ½ Lot Silber für Philipp Sigismund Cludius anzufertigen; dabei muss aber ein Lese- oder Druckfehler vorliegen. Philipp Sigismund Cludius, Sohn von Andreas Cludius, der am 29. August 1596 getauft wurde (vgl. Matrikel Helmstedt, S. 394), kann aufgrund seines Alters 1615 nicht der Adressat eines solchen Auftrages gewesen sein; [Martin] Granzin, Stadt Osterode gibt 1613 drei Goldpokale in Auftrag, in: Unter dem Harze 759 v. 3.12.1966. Möglicherweise fällt der Auftrag in das Jahr 1645. 1646 war Ph. S. Cludius Wolfenbütteler „Rat von Haus aus“; NLA WO 4 Alt 19, Nr. 634 (zit. nach Online-Findbuch).

Nachweise

  1. Fotos des Landesmuseums Hannover.
  2. Seelig, Katalog der Huldigungspräsente, Kat. Nr. 15, S. 63.
  3. Fünf Meisterwerke. Glanzlichter aus der Silberkammer der Celler Residenz, Celle 2014, S. 36.
  4. Kreckmann, Pokal, S. 8.

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 209 (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0020904.