Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 200(†) Osterode, St. Aegidien 1645, 1646

Beschreibung

Orgel. Reste vom Prospekt bzw. der Empore der früheren Orgel. Holz.

I. Wappenschild, seit 1862 an der vorspringenden Brüstung der Orgelempore aufgehängt. An den Schrägseiten rechts und links davon zwei Trompete blasende Engel. Unter dem von einem Lorbeerkranz umgebenen Wappen auf einem an den Enden eingerollten Schriftband die erhaben in vertiefter Zeile ausgeführte, farbig gefasste Inschrift I, die von einem unten den Lorbeerkranz bedeckenden Putto unterbrochen wird. Links ist ein Stück mit Verlust von zwei Buchstaben abgebrochen.

II. u. III. Drei Skulpturen, heute aufgehängt an der Wand über der Südempore. Auf den mit Ohrmuschelwerk verzierten Trägern finden sich: ein Laute spielender Engel, auf dem Sockelfeld die Initialen II; außerdem ein Geige spielender Engel mit den Initialen III auf dem Sockelfeld. Beide Inschriften erhaben geschnitzt und golden gefasst. Auf dem Sockel unter einem Harfe spielenden König David, der ursprünglich die Orgel bekrönte,1) eine gewölbte Inschriftenkartusche ohne Text. An der Nordwand des Chores eine Christusfigur ohne Inschrift. Der Orgelprospekt wurde beim Umbau der Orgel im Jahr 1862 beseitigt und nur der Wappenschild (I) wieder aufgehängt. Die Figuren entdeckte der damalige Organist Schäfer 1935 im Heimatmuseum; sie wurden nach der Renovierung des Innenraums 1953 an den heutigen Stellen angebracht.2)

IV. Zierbrett. Das unterhangartig gestaltete, heute vor der Säule unter der Orgelempore angebrachte Zierbrett ist mit Ohrmuschelwerk und einem Putto versehen. Unter dem Putto ein großes, gewölbtes Inschriftenbrett. Darauf in Gold auf schwarzem Hintergrund die 1862 in einer Kursive neu aufgemalte, aber auch bei Spangenberg und Renner im frühen 19. Jahrhundert überlieferte Inschrift IV.3)

Inschrift IV nach Kopie auf dem originalen Träger.

Maße: H.: 55 cm (I), ca. 60 cm (II, III), 107 cm (IV); B.: 46 cm (I), ca. 65 cm (II, III), 224 cm (IV); Bu.: 3,7 cm (I), ca. 4 cm (II, III).

Schriftart(en): Schrägliegende Kapitalis (I–III).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg H. Lampe) [1/3]

  1. I

    [AN]NO // 1645

  2. II

    H · D

  3. III

    H · V · S

  4. IV †

    <Zua) Gottes Nahmens Ehr / ist dieses Werk gebawetb) / Dir allerhöchster Gott / Dir sei es anvertrawetc)/ Hier hat der Rath gesetzt / Ein recht christliches Pfand / Hier leuchtet als das Gold / Der Bürger milde Hand / 1646>

Wappen:
Stadt Osterode4)

Kommentar

Die Orgel der Aegidienkirche war 1581, nach der Wiederherstellung des Turmes in den Jahren 1578/79, gebaut worden.5) Im Dezember 1643 vereinbarte der Rat mit Meister Andreas Weiß (1596–1670) aus Meiningen eine Erweiterung der Orgel mit einem Rückpositiv (dessen Standort die hervorspringende Brüstung der Orgelempore noch erkennen lässt), sowie die Erneuerung des Prospektes. Beides wurde in den Jahren 1644 und 1645 ausgeführt.6) Bei den Initialen (II) und (III) könnte es sich um die von Stiftern handeln. Die stilkritisch begründete Zuschreibung der Figuren vom Prospekt an den in den 1640er und 1650er Jahren in Osterode tätigen Bildschnitzer Andreas Gröber (1600/10–1661)7) setzt voraus, dass dieser als Subunternehmer für den Orgelbauer Andreas Weiß tätig wurde. Möglicherweise gehört auch noch ein Medaillon mit einem Psalmenzitat Nr. 201, das sich heute im Museum befindet, zu den Resten des Orgelprospekts.

1646 erhielt der Orgelbauer Heinrich Herbst aus Hildesheim den Auftrag, das Hauptwerk der Orgel von 1581 zu überholen und teilweise zu erneuern.8) Den Abschluss dieser Arbeiten feiert Inschrift IV. Der letzte Vers Hier leuchtet als das Gold / Der Bürger milde Hand bezieht sich darauf, dass die Arbeiten wesentlich von Bürgern finanziert worden waren. Der Zeitgenosse Heinrich Wendt resümierte die Erneuerung der Kirchenstühle und des Orgelprospektes (sowie die Errichtung des 1660 gestifteten Altars) mit den der Inschrift ähnlichen Worten, dass die Kirche jetzt von Golde gleichsam gläntzend geworden sei.9) Neben dem Stadtwappen waren am Orgelprospekt, vermutlich ebenfalls als Erinnerung an Stifter, auch 12 Gildewappen angebracht, nämlich die der Schuhmacher, der Schmiede, der Schneider, der Bäcker, der Knochenhauer, der Zimmerleute, der Leineweber, der Kürschner, der Kleinbinder, der Tischler, der Kaufleute und der Schützen.10) Diese wurden beim Umbau der Orgel entfernt; nur das zuletzt genannte Wappen soll ins Schützenhaus gekommen sein.11) Außerdem soll sich am Prospekt noch das Wappen des Valentin Reinhardt (vgl. Nr. 189) mit Namensbeischrift12) befunden haben; dies wird nach 1660 entstanden sein, da der Pulvermacher Reinhardt erst 1663 das Bürgerrecht erwarb.13)

Textkritischer Apparat

  1. Zu] Ebenso Renner, In Spangenberg.
  2. gebawet] gebaut Spangenberg, erbaut Renner.
  3. anvertrawet] anvertraut Spangenberg. Die Zeile Dir allerhöchster Gott / Dir sei es anvertrawet fehlt bei Renner.

Anmerkungen

  1. Schäfer, Osteroder Orgelchronik, S. 14.
  2. Ebd., S. 21.
  3. Belegt durch eine Renovierungsinschrift unterhalb eines waagerechten Strichs am Ende: Erneuert Anno 1862.
  4. Wappen Stadt Osterode (Löwe, über einem bekrönten, links nach innen eingebogenen O). Helmzier: Kreuz zwischen zwei Rundtürmen.
  5. Schäfer, Osteroder Orgelchronik, S. 7–10. Vgl. Wendt, Geschichte, S. 224.
  6. Schäfer, Osteroder Orgelchronik, S. 11–14. Vgl. Wendt, Geschichte, S. 225.
  7. Meyer, Verzeichnis, S. 54. Wenn Gröber der Schnitzer der Figuren war, dann fällt ihre Entstehung allerdings nicht in das Jahr 1643, wie Meyer schreibt: Der Vertrag mit dem Orgelbauer Weiß wurde erst im Dezember 1643 geschlossen; 1643/44 scheint Gröber außerhalb von Osterode tätig gewesen zu sein, weswegen sein in diesen Jahren geborener Sohn Johann Andreas nicht im Kirchenbuch von Aegidien verzeichnet ist, anders als dessen 1641 geborene Schwester Marie und der Bruder Andreas Bartholdus (geb. 1645); vgl. Bornschein, Holzbildhauer Johann Andreas Gröber, S. 59f.; Schimpf, Bildschnitzer Andreas Gröber, S. 45. 1645 wäre demnach wahrscheinlich das Jahr der Entstehung der Figuren vom Orgelprospekt.
  8. Schäfer, Osteroder Orgelchronik, S. 14. Vgl. Wendt, Geschichte, S. 225f.
  9. Vgl. Wendt, Geschichte, S. 225f., das Zitat S. 225. Schäfer, Osteroder Orgelchronik, S. 14f.
  10. Renner, Nachrichten, S. 270f. Schäfer, Osteroder Orgelchronik, S. 13.
  11. Schäfer, Osteroder Orgelchronik, S. 21.
  12. Waltin Reinhardt; Renner, Nachrichten, S. 271. Entgegen der Vermutung Renners war Reinhardt kein Orgelbauer.
  13. Granzin, Bürgerbuch, S. 27. Valentin Reinhardt aus Witzenhausen kaufte zwischen 1660 und 1666 (wahrscheinlich vor 1663) die vor der Stadt angelegte Pulvermühle; Struve, Pulvermühle, S. 34f.

Nachweise

  1. [Spangenberg], Nachtrag, Sp. 153f. (IV).
  2. Renner, Nachrichten, S. 270 (IV).
  3. Schäfer, Osteroder Orgelchronik, S. 15 (IV).
  4. Ungewitter, Baugeschichte, S. 20 (IV).
  5. Mühlefeld, Osteroder Kirchen von innen, S. 16 (IV).

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 200(†) (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0020004.